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[OBF-400320-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 18. März, 1940.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Beim Abschied machtest Du mich darauf aufmerksam, daß Du mir vielleicht in der kommenden Woche würdest nicht schreiben können. Ich war es ja auch zufrieden, ich kann auch verstehen, wie Du jetzt in dieser Zeit vor Ostern angehängt bist.

Und trotzdem habe ich nun schon dreimal ein Zeichen von Dir in Händen. Ich hab mich ja so sehr gefreut und ich danke Dir recht sehr dafür, Du! Enstaunt war ich, daß Ihr so einen seltenen Tag wähltet für den Ausgang nach Tetschen. Wir wählten früher nie den Freitag bei Ausfahrten.

Und ich bin auch von mir aus abgeneigt an einem Freitag etwas zu unternehmen. Ich bin innerlich so davon überzeugt, daß der Freitag kein guter Tag ist für mich ist und für meine Unternehmungen, weiß selbst nicht, weshalb. Rede mir aber ja nicht, Du: „ Aberglaube!” Hast du nicht auch gegen manche Tage eine Abneigung?

Ich weiß Du wirst mir alle diese Marotten noch abgewöhnen — und in Geheimen bin ich Dir ja auch dankbar deshalb.

Am kommenden Freitag wollen wir schon den Anfang machen!

Also, Du!, — wundere dich nicht, wenn etwas schief gehen sollte!

Du! Wenn ich das von dir Ausfahrt vorher gewusst hätte — ich würde Dich in Gedanken nicht aus den Augen gelassen haben.

Eifersüchtig ? Ja. Vielleicht. Nein! Du, aber ich hätte sehen mögen, wie Du mit diesen angehenden jungen Damen umgegangen bist. Soviel mir in Erinnerung ist, sind es zwei Mädel, die die Schule verlassen. So, so — Herr [Nordhoff] stolziert mit zwei Damen in Böhmen umher. Alle Achtung, daß er seiner Braut, die wohlbehütet zuhause sitzt, einen Kartengruß zukommen ließ!

Jetzt möchtest Du mir wohl eine runterhauen, ob meines losen Mundwerkes? Ich bin nur noch 1 ½ Monate ungezogen; weißt; dann werde ich 20 und dann beginnt ein neues Leben.

Dann bin ich gesetzt, gesittet und gebildet.

Ach, wenn Du mich nur bald zu dir holst, ich bin zu nichts mehr nütze, sagen sie daheim. Ich hätte bloß Unsinn im Kopf und würde lauter Dummheiten machen. O weh, ich hab heute ein Donnerwetter empfangen von meiner Erziehungsdame.

Gestern Abend, spät habe ich noch Wäsche abgenommen draußen, weil Mutter es so satt hatte und weil ich dachte, es könnte sie, jemand anders' abnehmen. Alles gefroren und ich packte die Sachen aufeinander in den Wäschekorb und schloß ihn ins Waschhaus ein. Heute früh nun will sie Mutter wieder aufhängen —  das Verhängnis wird offenbar — alles ist ausgegangen, ineinandergelaufen, ein grüner Rock war schuld. Du liebe Zeit — ich denke, sie will mich fressen, und ich muß doch immer so sehr lachen, wenn jemand wütend wird! Na, es war alles noch zu retten, wir spülten sofort alles warm durch. Böse sind wir nicht mit, einander, es fällt ihr schwer und mir auch. Ich will ja auch für immer eine Lehre daraus ziehen. Mein Standpunkt ist: Lehrgeld muß jeder zahlen. So ist nun der Sonntag zu Ende gegangen, es gab viel, viel Arbeit, Schelte und Spaß — es war fast wie ein Aprilwetter heute. Die Wäsche ist trocken, bis auf ein paar dicke Sachen.

Wir sind müde und abgespannt. Und ich freue mich, daß wir mein Reisetag immer näher rückt. Du! Ich sehe Dich jetzt so deutlich vor mir. Ich habe Dich so lieb, Du! Wie ich mich nach Dir sehne, mein [Roland]! Ich schriebe in meinem Bettlein, Du! Nun bin ich so müde und ich friere an meine Arme. Gut Nacht, Liebster!  Behüt Dich Gott!

Ich küsse Dich! Deine [Hilde].

Am Montag.

Herzallerliebster! Heute kam Dein Brief, ich hielt es nicht aus im Geschäft bis Mittag. Wie hast Du mich erschreckt. Liebster, sei nur ganz vorsichtig! Hörst Du? Ich habe Angst um Dich.

Daß es so kommen würde einmal, war ja vorauszusehen bei diesem Winter heuer. Aber so schlimm — mein Gott, wenn nur keine Menschen umkommen. Ihr alle wohnt ja so dicht an den Felsen und ich bin noch so wenig vertraut mit Deiner Umgebung dort, daß ich mich beruhigen könnte bei den Gedanken, an einen sicheren Ausweg bei dringender Notwendigkeit. Ich weiß Dich nicht allein, das beruhigt mich ein wenig — Not führt die Menschen zueinander, allein sein müßt Ihr beide nicht in Euren Hause. Meine größter Wunsch ist, daß das Wasser fallen möge. Die Nachrichten meldeten heute Nachmittag, der Wasserstand der Elbe betrüge 8 m, also wieder gestiegen. Bei uns regnet es heute so sehr, ob es dort auch so ist?

Ich habe noch nie gesehen, wenn eine Fluß so schlimmes Hochwasser führt, ich kann mir das Bild garnicht recht vorstellen, welch ungeheure Breite die Elbe jetzt haben wird. Eine Stadt braucht so leicht nichts zu fürchten meine ich, zu ist am Ufer meist durch feste Mauern geschützt, die fast einer richtigen Hafenanlage gleichen. Aber die kleineren, vielen Ortschaften die oft dem Fluß ganz nah liegen, Sie werden wohl schwer heimgeschickt von den Unglück. Wie werdet Ihr die Strecke des Straßenbaus vorfinden, wenn das Wasser zurück geht? Ach, so viel müß am Errungenes vernichtet Wasser erbarmunglos. Schrecklich ist es, wenn man sich alles so ausdenkt. Das arme Vieh, es rennt meist wild durcheinander oder bockt, wenn es aus den Ställen, womöglich noch ein Stück durch Wasser, einen sicheren Orte zugetrieben wird. Hildes Bruder schreibt heute davon, welche Plage er hat mit seinen Kameraden beim Militär. Sie sind als Helfer eingesetzt, bei den Bauerngehöften, die am Rhein liegen, dort ist das Wasser ebenso gestiegen.

Ich glaube, daß in einigen Tagen gemäßigter Wasserstand sein wird, so sehr lange kann es doch nicht mehr so fort gehen, es kommt ja jetzt kein neuer Frost hinzu und die Eis – und Wassermassen müssen doch mal ein Ende nehmen, wenn stunden –, ja tagelang für rasenden Abfluß gesorgt ist.

Du, werden sie mir Dich auch nicht verhungern lassen? Du Armer! Morgen ist nun Schulschluß. Wirst noch garnicht fort können von Schmilka. Wage nicht zuviel, Liebster! Wart, bis alles wieder geregelt ist mit der Fähre. Am Freitag muß aber dann eine Wendung eintreten, Du!, Ich warte ja doch auf dich in Dresden!

Gebe Gott, daß alles gut wird.

Es ist wieder eine Spannung unter den Menschen, man fühlt es. Die politische Lage. Heute Vormittag trafen sich der Führer und Mussolini am Brenner. Churchill habe sich nach Paris begeben, und heute hieß es, von Papen sei nach Frankreich abgereist.

Ab 31. März ist jegliches Reisen untersagt, bedeutete mir heute früh mein Chef, so lautete die neueste Verordnung.

Ich habe mich die Tage her so sehr gefreut auf die Reise nach Kamenz und nun ist die Freude plötzlich gedämpft durch Deine Hochwassernachricht, ich sorge mich so um Dich, Liebster Du! Weil heute noch kein Fahrplan beilag, habe ich mir genauen Bescheid von der Bahne geholt. Ich kann nicht anders fahren ab so, ab Karfreitag:

Oberfrohna ab 452 [Uhr]

Chemnitz ab 610 [Uhr] Personenzug

Dresden ab 1133 [Uhr]

Ich bin mit diesen Plan zufrieden, weil ich nun auch nicht erst in Chemnitz zu übernachten brauche. Um 7 Uhr herum fährt kein D Zug, schon kurz nach 5 [Uhr] würde der erste fahren u. dann erst um 10 [Uhr] wieder. Das ist mir zu spät, würde ich ert in der zwölften Stunde in Dresden ankommen. Werden wir uns denn treffen am Karfreitag, zur gemeinsamen Heimfahrt? Du wirst mir doch noch paar Zeilen schreiben diese Woche? Unsere, nein eigentlich nur meine Ankunft ist gemeldet in Kamenz. Tante Gretchen habe ich auch geschrieben, endlich!

Wann wird wohl dieser Brief in Deine Hände kommen?

Wie gefällt Dir meine neues Briefpapier? Der Krieg......

Ich habe noch so viel Arbeit, heute muß ich noch meinen Kopf waschen, Wäsche legen, bügeln für die Reise. Ach, Liebster! Kann denn das Schicksal wollen, daß unser Wiedersehen unmöglich gemacht wird? Es wäre zum ersten Male. Wir wollen Vertrauen fassen, Du!

Zu dem, der uns noch nie verließ. Meine große Sehnsucht, unsere große Liebe muß doch den Weg über alles zueinander finden. Herzallerliebster! Mein [Roland]! Gott schütze und behüte Dich!

Ich liebe Dich so sehr — von ganzem Herzen, Du!

Auch herzliche Grüße von den Eltern, sie wünschen Dir alles Gute in Eurer Notlage.

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946