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[OBF-400317-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 17. März 1940.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Diesmal muβte ich Dir den Sonntagsgruβ schuldig bleiben. Auch wenn ich ihn fertig gehabt hätte, er wäre heute nicht in deine Hände gelangt. Hör zu! Schon am Freitag war es hier in aller Munde: Das Eis kommt! Das Eis kommt! Das ist hier am Wasser ein richtiger kleiner Aufruhr. Mannigsache Gefühle schwingen da. Die Leute stehen am Wasser, bleiben wo möglich länger auf, um dieses Schauspiel zu sehen, um des Winters letzte Parade zu beobachten. Der erste Schub – die Leute reden kmehr Kauderwelsch als verständig vom Moldaueis, vom Egereis usw – kam denn auch in der Nacht zum Freitag. Mit dem Eisgang wächst das Wasser. Als ich nach Tetschen wanderte, hatte das Eis nach gelassen, das Wasser war wieder gefallen. Freitagabend kam neues Eis, sodaβ ich bis nach Schandau zurückfahren muβte, weil unser Fährmann nicht mehr überfuhr. Gegen 9 Uhr kam ich sehr müde nach heute. Unaufhaltsam sauste das Eis vorüber, das Wasser wuchs zusehns. 10cm fehlten noch bis zu Straße.

Bei uns drang das Wasser durch die Schleuse ins Waschhaus bis zu 20cm höhe. Ich sollte noch mein Fahrrad heraus und brachte es in den Keller. Frau Sch.s Keller hat keine Verbindung mit der Schleuse und ist vom Wasser nur durch die Kellerfenster zu erreichen. (So rechneten wir). Am Sonnabendmorgenstand das Wasser an der Gartenpforte. Unsre Straße war auf 100m bis zu ¼ Meter überflutet. Und o Schreck! Das Wasser war nun doch bis in dem Keller gedrungen, In [sic] die Feuerung des Waschkessels durch die Esse, und durch ein Türchen, aus dem der Essenkehrer den Ruβ nimmt, in den Keller. Über einen Meter stand es schon und mit der Stärke eines Leitungsstrahls lief immer mehr zu. Die braune [^]Soβe bedeckte nun (sie bedeckt noch) unseren Kohlenvorrat, mein Rad (aus dem Regen in die Traufe) Frau Sch.s zusammengesparte Osterbutter, den Speck, das Öl, die Möhren, die Kartoffeln, auf der Soβe schwimmen die Holzscheite. Der Anblick entbehrt nicht eines gewissen Humors. Frau Scheibe ihrerseits war, verständlich, betrübt, bestürzt, kopflos, genug Grund für mich, desto ruhiger und besonnen dem Element zuzuschauen. Zunächst einmal über den Berg zur Schule. Alsdann gehorcht nach amtlichen Meldungen über Wasserstand und Wasserwuchs. Dazu ist zu sagen, daβ dieser Meldedienst vollständig versagte, sodaβ die wildesten Gerüchte umgingen von Dammbruch und Wasserwuchs. Auch der Fährmeister hatte nur ungenaue Nachrichten. Unterdessen hatte es nun schon viele Schaden angerichtet auch in Dorf.

Mein Speiselokal liegt sehr tief. Es war rings von Wasser umgeben, mit einem Paddelboot wurde die Verbindung mit der Umwelt aufrechterhalten. Und nun bekam ich das Hochwasser am eigenen Leibe zu spüren: ich kriegte nichts zu essen. Die ganze Mannschaft des Dorfes war dabei, was nicht ganz feste war anzubinden mit Seilen und Ketten. Zäune wurden ausgehängt. Die Gewalt der mächtigen Schollen hatte die Starkstromleitung noch Herrnskretschen umgelegt. Im Laufe des Tages versorgte jede Telefonverbindung. Die Schollen bedrohten nun auch die Lichtmasten, die bei uns vorbeiführen. Durch die Erschütterungen entstanden Kurzschlüsse an den Hausleitungen, wir sind jetzt ohne Licht. Was aber nun die Schollen und reiβenden Wasser vorbieführten, erzählten von dem Schaden, den es ander[s]wo schon angerichtet hatte: Baumstämme, Leitungsmasten, Gartenzäune, Holzwände, Laubendächer, einen Fährdampfer, eine Feime Heu, eine tote Kuh. Am Nachmittag schälte sich aus den unbestimmten Gerüchten die Tatsache, das Wasser würde noch einen Meter wachsen. Ich nahm die Schmiege, nahm maβ [sic] und errechnete, daβ es dann eventuell in unsre Wohnung dringen könnte. Was am Fuβboden stand muβte also eine Stufe höher geschafft werden. Dabei war ein kräftigerer Wuchs immer mit einzukalkulieren.

Über die Grundstückehintenweg [sic] entwickeln sich nun über Brücke, Stege und Zäune ein lebhafter Durchgangsverkehr. Die Elbe gebärdete sich immer wilder, das Wasserwuchs. Gegen Abend ging es bis ans Kellerfenster. Ihr könnt Euch denken, daβ wir nun immer gewartet haben und gespannt und gemessen. Das Nachbarhaus steht noch etwas tiefer, dort würde das Erdgeschoβ vorsorglich ge[r]äumt. Aber die Hauptgefahr war vorüber. Gegen 8 Uhr kam das Wasser zum Stillstand, seit Mitternacht ist es gefallen schon über 1 Meter. Ich will meinen Berufs jetzt schlieβen. Aus dem Waschhaus dringt dann und wann ein Paukenton: das sind der Waschkessel und die Waschhaustür, die dort ihr Tänzchen [sic]. Frau Sch. angelt mit einem Stocken nach den Bütten und Wannen. Es ist eine Lust. Auch sie lacht wieder, nachdem sie gesehen hat, wie es and[e]re härter betroffen hat. O menschliche Schwachheit, die sich an dem gröβeren Unglück des lieben Nächsten [w]iederaufrichtet.

Jetzt will ich schnell zur Post.

Lebt alle recht wohl und seid herzlich gegrüβt von unserem groβen Waschfest und den Wasserratten.

Herzallerliebste, soweit darfst du alles vorlesen.

Du, ich hatte mir die wichtigsten Dinge ein wenig zurechtgelegt; für den Fall, daβ vielleicht eine Flutwelle von einem Dammbruch käme: Deine Briefe, unsre Fotos, mein Tagebrief, Pässe und ein paar unersetzliche Akten.

Du, ich liebe Dich so sehr.

Ich bleibe immer Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946