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[OBF-400301-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 01. März, 1940

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

In dem Weltentheater, dessen Zuschauer ich bin von meinem Fenstersitz aus, steht noch immer die Winterkulisse, und augenblicklich läßt es der Regisseur schneien. Der Winter führt noch das Regiment: das wurde mir auch klar, als ich am Sonntag von höherer Warte ein größeres Stück Welt überschauen konnte. Es liegt noch viel, viel Schnee, der Kältevorrat ist noch groß, zum Frühling ist es noch ein Stück. Nur der Sonnenstand gemahnt an den nahenden Freudenbringer. Es wecken diese Tage bei mir ganz eigene Erinnerungen. Die Osterzeit ist eine Zeit gesteigerter Hoffnungen und Erwartungen, für den Lehrer auch dienstlich, denn es ist die Zeit des Wechsels und der Veränderungen. Besonders deutlich stehen mir noch die Vorfrühlingstage des Jahres 1936, meines Wanderjahres, vor Augen. Noch einmal im Februar wurde ich damals verschoben auf 6 Wochen nach Hainichen. Als Fremdling in einer Kleinstadt, auf 6 Wochen nur: ich habe diese Tage richtig ausgekostet. Einmal lockte die Frühlingssonne ins Freie und lud ein zum Spaziergang im schönen wechselvollen Striegistal. Dann jagte der Winter wieder alles polternd hinter den Ofen. Ein Klavier stand in meinem Zimmer. Und dazu hatte mir auf der Bahnfahrt ein liebes Menschenkind alle Sehnsucht aufgeweckt, daß ich eine Woche lang krank davon war.

Dann aber denke ich an den ersten Sonntag in Oberfrohna im Frühjahr desselben Jahres. Es wechselten Stunden des Sonnenscheins mit mächtigen Güssen.   Westwärts trieb es mich, in der Fremde einen Ort aufzusuchen, der doch wenigstens in einer Beziehung zur Heimat stand, Waldenburg. So schmerzvoll habe ich Fremde niemals empfunden als damals, da ich vor neuen schwierigen Aufgaben stand, da ich eine so wenig zusagende Bleibe fand, einen ungünstigen Dienstplan, und das alles mit der Aussicht auf längere Zeit. Am liebsten wäre ich an diesem Sonntag immer weiter marschiert, geflohen, ach, es war eine schmerzliche Rückkehr. Ich bin dann diesen Weg noch öfter gegangen, bin ihn auch gegangen den letzten Sonntag meines Aufenthaltes, wieder in der Zeit der Wende zum Frühling. An diesem Wege konnte ich messen, wie ich der Schwierigkeiten allmählich Herr wurde. In den Grünfelder  Park habe ich ein gut Teil meiner Sehnsucht getragen. Mit diesen Erlebnissen reist der Mensch, lernt er sich kennen und bezwingen.

Herzallerliebste! Die Woche ist mir schnell vergangen. Heute endlich ward es sicher, daß am Sonntagnachmittag 3 Uhr Gottesdienst ist, und daß der nächste Sonntag dann uns gehören soll. Das ist mir lieb auch aus 2 anderen Gründen: 1) ich bin ein wenig verschnupft, 2) wäre der Sonntag frei gewesen, hätte ich Hellmuth besuchen müssen, er liegt an Grippe im Lazarett. Hüte dich nur ja vor Erkältung in dieser kritischen Zeit! Heute hat es Frau Sch. ein wenig gepackt. Daß ich meiner geregelten Arbeit na[ch]gehen kann, ist mir lieb. Die Ferien sind plötzlich von Reichswegen verkürzt worden auf die Zeit vom 20. - 27. März. Das ist wieder einmal eine recht kurzsichtige Maßnahme, die vermutlich noch einmal geändert wird. Klassenwechsel, Lehrerwechsel, Reinigung der Gebäude, alles in 7 Tagen, von denen 4 Feiertage sind, das ist ja unmöglich. Außerdem werden viele Schulen bis dahin noch keine Kohlen haben. Also warten wir erst einmal ab, eh wir schimpfen und uns entrüsten. Der Unterricht, der mir selbst den meisten Gewinn bringt, ist die Religionsstunde. Die Kinder in die schwierigen Gedanken zu führen, nötigt mich zu eigner Klarheit und Rechenschaft. ‚Warum wir uns Gott als Person vorstellen.” ‚Die Welt läuft nach einem göttlichen Plan und jeder Mensch ist darin gerechnet.’ , Jeder von uns gehört sich selbst, dem Staat und Volk, Gott’: Diese Themen wählte ich zur Betrachtung in der letzten Zeit. Bei der Behandlung des letzten kam mir selbst wieder recht zum Bewußtsein, wie wir doch in seiner Hand stehen. Der Mensch gebietet sich selbst. Der Staat gebietet uns. Das ist klar. Und Gott gebietet uns, er greift in unser Leben ein. Das wird besonders deutlich an den Lebensläufen der großen Männer. Aber wer nur aufmerkt, erkennt auch in seinem unbedeutenden Leben die unsichtbare Hand, die uns hier scheitern, dort gelingen läßt, die uns da versagt und dort gewährt.

Herzallerliebste! Mit dieser Post geht ein Brief an Siegfried ab, er hat Geburstag am 5. März. Wenn wir alle Gratulanten vollzählig erscheinen, wird es ihm Freude machen. Schicken sollst Du nichts. Teile mir nur bitte in Deinem nächsten Brief die Geburstage der Eltern mit, ich möchte keinen verpassen.

Ach Liebste! Der Mittagszug fuhr Heute ohne mich! 8 Tage muß ich noch warten. Ein Glück, daß nun etliche Arbeiten sich vordrängen, damit ich meine Ungeduld vergesse. Ein Stoß Hefte liegt auf der Bücherbank. Nächste Woche muß ich Prüfungsarbeiten schreiben lassen. Die Entlassungsfeier möchte ich vorbereiten. Manchmal denke ich, diese Arbeiten werden mir alle einmal schneller von der Hand gehen, wenn wir zusammen haushalten, wenn ich arbeiten kann in einem behaglichen Zimmer, wenn Du einen guten Einfall dazugibst, und wenn ich mich ein wenig beeile, damit ich recht bald frei bin für Dich. Herzalleliebste! Wills Gott, stehe ich, stehen wir, vor einer großen Erfüllung unseres Lebens. Bisher führte ich ein Zigeunerleben, nirgends zu Hause, nichts beisammen, die Bücher, die Noten, die Kleider. Wenn nicht die vielen Ferien immer gewesen wären, ich hätte es gar nicht ausgehalten, ohne Musik! Ohne Instrument! Und das soll nun anders werden durch Dich! Du Liebe! Schon deshalb bist Du mein Glückbringer. Aber ich wollte mich gar nicht so darauf freuen, wenn ich nicht dächte, daß Du dieses Glück mit mir teilen willst. Herzallerliebste, ich habe den Schlüssel zu mancherlei Reichtümern, die ich mit Dir beschauen und in mich aufnehmen möchte, meine Freude möchte sich an der Deinen entzünden, mein Herz sich an dem Deinen erwärmen. Deine Nähe, Dein Blick erst lassen mich recht froh werden des eigenen Lebens. Warum nur? Ich weiß keinen gescheiten Grund dafür. Weil ich Dich liebe, Du! Ja Du! Ich liebe Dich! Herzallerliebste, sind wir nicht glücklich? Wir wollen uns dankbar daran freuen.

Nun drängt die Zeit schon wieder.

Behüt dich Gott! Bleibe froh und gesund Herzliebes!

Und den nächsten Sonntagsgruß, wills Gott, bringe ich Dir selbst. Den lieben Eltern bestelle bitte herzliche Grüße.

Du! Ich möchte gerne bei Dir sein! Und wenn es gleich sein könnte, würde ich vielleicht versprechen, ganz brav zu sein.

Aber über 8 Tage — — — ? Nein, Du!

Dann will ich Dich auch küssen und recht lieb haben,

Herzallerliebste Du!

Ich liebe Dich von ganzem Herzen!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946