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[OBF-400209-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 9. Februar 1940.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Deine Freundin. Einmal hab ich Dich gefragt, ob Du mir (einmal) etwas über deine Freundin schreiben wollest. Heute kann ich es sagen, es geschah mit Vorbedacht. Ich wollte Deine Urteilsfähigkeit auf die Probe stellen und wollte sehen, nach welchen Wertmaßstäben Du den Dir nahestehenden Menschen beurteilst. Soviel ich mich besinne, bist Du dem ausgewichen. In deinem zweiten Brief an mich klagst Du mir ja, daß die Freundin Dich nicht versteht. Also war sie schon damals keine wahre Freundin. Frauen haben ein starkes Bedürfnis sich mitzuteilen und anzuvertrauen, Mädchen zumal in der Zeit, da sie mit dem starken Geschlecht Bekanntschaft machen. Wir Jungens waren übrigens genauso, aber die Freundschaft unter uns lebt doch auch von viel Anderem. Ich hätte Dir eine gute Freundin von Herzen gegönnt, die alles mit Dir gemeinsam erlebte, die Dein Geheimnis hüten half. Ich kann mir nichts Schöneres denken als solche Freundschaft. Eine beste Freundin kann ich mir denken, die alle meine Briefe mitgelesen hätte - ich wäre Dir nicht böse deswegen. Ich mag Luise nicht nahetreten - ich kenne sie nicht genug - aber rein gefühlsmäßig wage ich zu sagen: ich kann mir nicht denken, daß Du ihr nur einen Brief hättest geben oder Dich mit ihr darüber unterhalten können. Und so ist es also doch auch gewesen. Du weißt, daß mir Luise ein Rätsel war, ein Mensch ohne Handhaben, an denen man ihn hätte packen können, ein Mensch ohne Grundsätze, nach denen man ihn hätte beurteilen können. Daß wir ein paar ganz entgegengesetzte Naturen sind, das hat sie ja selbst auch gefühlt und zum Ausdruck gebracht. Meist ist es so, daß unter 2 Freunden einer die Führung, die Herrschaft gewinnt, den größeren Einfluß. So wie ich mir nach Deinen Darstellungen ein Bild machen kann, war Eure Freundschaft zuletzt eine ganz einseitige Angelegenheit. Du fühltest Dich verpflichtet und verantwortlich, über den Weg der Freundin zu wachen, jederzeit bereit, ihr deine Hilfe zu leihen, ihr ein Halt zu sein - sie nahm Deinen Dienst, ohne an eine Verpflichtung ihrerseits auch nur zu denken. Liebste, Deine Freundin ist auf schiefer Bahn, Güte und Ermahnungen werden sie nicht ändern, vielleicht muß sie erst einmal bittere Erfahrungen machen. Sie wird noch viel lernen müssen im Leben. Wie sie sich aber letzthin Dir gegenüber benommen hat, das ist so seltsam und undankbar, daß sie deine Freundschaft nicht mehr verdient. Kaum ein Vierteljahr ist es her, daß Du ihr Deine Hand aufs neue botest. Ich denke an die Verlobungsfeier, an Dein tatkräftiges Eingreifen. Der Dank dafür ist, daß sie Dir bedenkenlos und gedankenlos eine Vorladung zur Polizei ins Haus schickt.

Herzallerliebste! Eure Gegend ist ein schlimmer Sumpf. Das sage ich nicht, um mich freizusprechen und zum Richter aufzuschwingen. In uns allen wohnt das Böse neben dem Guten. Aber schlimm ist es, wenn das Böse ungeniert und öffentlich sich zeigen darf. Das schlimmste aber, wenn die Menschen das Gewissen für gut und böse verlieren und jeden Maßstab für falsch und echt, wert und unwert. Wie in eurer Gegend das Wort ‚Freund‘ für den Liebhaber gebraucht wird, das war mir ganz neu. In Zeiten absinkender Moral verschmäht man starke, deutliche Worte wie Schuld, Sünde, Liebe, Wahrheit, Ehre. So möchte ich auch annehmen, daß man das Wort Freund braucht, um sich über den Ernst und die Bedeutung des Verkehrs mit einem Manne hinwegzutäuschen, sich selbst zu betrügen, um sein Gewissen zu beschwichtigen, wenn man vom einem zum andern wechselt. Ja, wie sollte man denn sagen? Ich weiß, daß man bei uns sagte: sie geht mit dem und dem. - Jetzt bist Du meine liebe Braut. Und vorher warst Du meine Liebste, und vorher Fräulein [Laube]; meine Freundin hätte ich Dich nie genannt, weil ich das unpassend finde. Es ist fast kein Wort im Sprachgut um die Liebe, daß durch blöde und freche Witzeleien nicht einmal entstellt und verzerrt worden wäre. So hat auch das Wort Liebste im Gebrauch der Gasse einen Beigeschmack des Hohnes und Spottes. Aber darum kümmern wir uns nicht.

Doch heute genug davon.

Das Neueste? Wir müssen 14 Tage Kohlenferien halten, alle Schulen im Bezirk ohne Ansehen des Kohlenvorrates. 2 mal wöchentlich müssen Hausaufgaben gegeben und durchgesehen werden. Ich hoffe, daß davon ein oder zwei Tage für unsre nächste Begegnung abfallen werden. Morgen will ich nach Hause fahren, Montag nach Schmilka zurückkehren. Am Freitag werde ich versuchen, zu Euch, zu Dir zu kommen, Herzallerliebste! So lange mußt Du nun wieder arbeiten! Übernimm Dich nur nicht, denk auch an Dich!

Herzallerliebste! All meine Gedanken sind bei Dir. Ich habe Dich so lieb! Seit Mittwochfrüh bin ich regelmäßig um 5 wach. Da sind mir die Verse eingekommen. Ich freue mich auf die Heimfahrt. Die schönsten Lieder will ich Dir wieder einmal singen. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

2 Abende wird nun neben dem meinen ein leeres Bettlein stehen, Du! Ich bin so glücklich, daß Du mein bist. Gott gebe, daß es lange, lange so bleibt, solange wir leben. Er erhalte Dich froh und gesund. Dazu die lieben Eltern. Bitte bestelle Ihnen herzliche Grüße.

Nun ist noch soviel Platz auf dem Bogen, daß ich no[ch] viel Liebes darauf schreiben sollte. Aber heute ist es genug. Ich müßte erst nach Worten suchen, und das Liebste vermöchten sie doch nicht auszudrücken, das Schweigen der seligsten Stunden vermöchten sie doch nicht zu übertreffen. Ob ich ihrer denke? Du! Du! Herzlieb!

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Ich liebe Dich so sehr!

Dein [Roland].

 

Was niemand vor mir schaute,
kein andrer Dir entwand,
die Gabe letzter Traute
der Liebe bestes Pfand:

Ich habe Dich gesehen -
Geheimnis tiefster Nacht -
ich hielt dein Herz umfangen,
ich schaute Weibes Pracht!

Ich brauchte nicht zu lauschen,
- das Herze pocht so wild -
ich braucht' es nicht zu rauben,
das langbegehrte Bild,

Du schobst ihn selbst zurücke,
den Schleier letzter Scheu,
zu meinem höchsten Glücke -
und bliebst Dir selber treu.

Nun ist mein Auge trunken,
benommen ist mein Sinn,
es jubeln alle Himmel,
daß ich der Deine bin!

Der Deine und der Eine,
den deine Gunst erhob,
bezaubert und berücket
sing ich Der Liebsten Lob.

O Liebste, laß Dir danken,
laß mich Dich lieben sehr,
voll Treue, ohne Wanken,
je länge, mehr und mehr!

Nun hüpfe Nadel, schnurre Rädchen,
es stockt mein Herz - : jetzt denkt er mein,
und auf und nieder,
und hin und wieder,
und morgen wird er bei mir sein!

Nun hüpfe Nadel, gleite Fädchen,
der Liebste ist schon auf der Bahn,
und auf und nieder,
und hin und wieder,
daß wir ihm froh und fertig nah'n.

Nun ruhe Nadel, Rädchen stille,
der Liebste steht schon vor dem Tor.
Und auf und nieder -
und hin und wieder.
Herzallerliebster, tritt hervor!,
Daß ich die Arme um Dich schlinge,
daß ich Dir meine Liebe bringe.
Dein [Roland]!

 
Zum Abschied.
Ich irre durch die Räume,
ich weiß nicht, was ich will,
ich spüre Deine Nähe,
und alles ist so still.

[Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]



Die uns des Glückes Stunden
getreulich zugezählt;
das uns, in Lieb' verbunden,
so eng und traut vermählt;

Dein Hut, der Pelz, die Tasche
Dein Bett, dein Kämmerlein:
Sie rufen: Bleib, oh bleibe!
Bleib bei der Liebsten Dein!

Ich suche, ordne, packe -
es greift mir weh ans Herz,
oh Liebste, sieh mein Trauern,
sieh meiner Liebe Schmerz!

Möcht mich aufs Bette werfen,
Möcht weinen überlaut,
möcht alle Brücken brechen,
die mir zurück gebaut.

Ich bliebe doch so gerne!
Laß alles hier zurück!
Bin einsam in der Ferne!
Du bist mein ganzes Glück!
Dein [Roland].

 
und zum Zeichen meiner guten Rückkehr.

Ich liebe Dich so sehr!

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.400209-001-01e.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946