
S. am 29. Januar 1940.
Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!
Bis gegen 9 Uhr habe ich gestern im Bett gelegen. Ich kam darauf zu sinnen, welchen Weg mein Leben bisher genommen hat. Dieser Weg ist so mannigfach verschlungen, hat soviel Seitenäste und Stationen, daß ich erstaune, und wenn ich mir die Bilder vergegenwärtige, so kommen mir manche eben nur noch wie Bilder vor, so fern und unwirklich. Und auf diesen Bildern sehe ich mich selbst, wie ich gewachsen bin. Ein Reisender kommt gewiß viel mehr herum und weiter hinaus. Aber ich war auf meinen Reisen doch überall gezwungen, länger Station zu machen, Menschen kennen zu lernen und meine Kraft anzusetzen. Jede neue Station mußte ich für einen neuen Mittelpunkt ansehen.

Und wohin kam ich nun auf meinem Gedankensonntagmorgensspaziergang? Du!
Je ruheloser mein Leben wurde, desto unsich[e]rer wurde nun meine Spur. Das war nicht nach meinem Sinn, daß erschwerte mein Suchen bedeutend.
Herzallerliebste! Hättest Du mich nicht bei der Hand genommen und es mir gezeigt, das Glück, ich hätte es nicht gesehen. Als Du mir schriebst, war das schwerste Stück der Prüfung schon bestanden. Du warst treu, Herzliebes, treu über viele Hindernisse und Enttäuschungen, treu aus dem Empfinden, das ich Dir der Liebste bin. Das werde ich Dir nie vergessen und immer danken. Nun wußte ich, daß mir ein Herz schlägt in Liebe und Treue. Es erscheint mir noch heute wie ein Wunder. Ich kannte Dich viel zu wenig. Ich ahnte kaum, daß Du Dich mit mir beschäftigtest und hätte nicht erwartet, daß ein Mädchen aus diesem Kreise überhaupt mich würde schätzen und lieben können. Was Wunder, daß mir nun Zweifel kamen an der Tiefe Deiner Empfindungen, daß vor allem die Sorge aufstieg, ob ich deine Liebe würde erwidern können? Aber Sorge und Zweifel, sie wurden übertönt von der Hoffnung, die mir aufs neue erblühte, sie wurden überglänzt von der Sehnsucht, die sich mächtig regte. Und heute, Du!, ist diese Hoffnung erfüllt, wie durch ein Wunder. Du bist mir die Eine und Einzige und Liebste. Mit Dir, das fühle und empfinde ich, werde ich bauen können, was mir vorschwebt, ein Heim, eine Heimat mit den guten Geistern uns[e]rer Elternhäuser. Nun darf ich einem Menschenkinde alle Achtung, Verehrung und Liebe entgegenbringen, die ich so lange bereit hielt. Nun empfinde ich glücklich, daß ich die reiche, die erste und ganze Liebe eines Mädchens empfange. Du! Liebe! Zwei Glücksucher sind sich begegnet und haben sich zusammengetan.
Herzallerliebste! Heute erhielt ich deinen Brief. Am Sonntag hast Du geschrieben. Du bist krank. Ob es Dir besser geht heute? Freitag und Sonnabend war auch ich etwas unpaß, allgemein Mattigkeit, dazu hatte ich es ein wenig aufliegen. Aber heute ist mir wieder ganz wohl. Außer einem Schnupfen habe ich nichts an mir. Herzliebes! Zwinge Dich nicht. Laß es sich austoben. Schlepp Dich nicht hin. Am Sonnabend will ich kommen und nach dem Rechten sehen. Deine Reise schieben wir auf. Wenn Du mir noch einmal Nachricht gibst über Dein Befinden, bin ich Dir recht dankbar. Nimm Dich gut in acht, sei brav und vernünftig, damit Du bald gesundest.
Den Briefschluß schreibe ich im Schulzimmer. Das kleine Volk ist eben hinaus. Ich möchte, daß Du den Brief morgen schon hast. Mit Deinem Boten lief auch Nachricht von Hause ein. Ich lege Dir Mutters Schreiben bei mit den Neuigkeiten vom Rekruten und der guten Botschaft, daß der Fuß heil ist. Heute gab es zum erstenmal warmen Sonnenschein, der den Frühling ahnen ließ.
Herzliebes! Möchte ich Dich am Sonnabend froh und gesund antreffen. Gott schütze Dich und behüte Dich!
[Ic]h finde gar keine besonderen Worte.
Möchte der ganze Brief Dir ein Zeichen meiner Liebe und Treue sein. Möge die Sonne unseres Glücks Deinen Körper wärmend und heilend durchrieseln zur Genesung. Und wenn Du bald gesund bist, darfst Du auch daran denken, daß ich Sonntag mit Dir feiern will, daß wir uns ganz nahe sein wollen und einander das Glück aus den Augen lesen. Jetzt aber laß mich nur Deine Hand streicheln, und das dröhnende Köpfchen, mußt ganz brav ruhig liegen, wenn es Dir auch schwerfällt, Du!
Ich denke immer Dein. Ich bete für Dich.
Ich liebe Dich! Du meine liebe [Hilde], Herzliebes!
Dein [Roland].