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[OBF-400128-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 28. Januar 1939 [eigentlich: 1940].

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Sonntag ist nun heute, und ich bin allein, und wenn für mich rechter Sonntag sein soll, dann mußt Du bei uns sein, Liebster! Es geht nicht an, daß wir alle Feiertage zusammen sein dürfen. Und dies ist wohl auch eines der äußeren Zeichen mit, daß wir noch nicht für ganz uns angehören. Ich bin nicht traurig oder kopfhängerisch deshalb — obwohl wir das Recht hätten, nach 6 arbeitsreichen Tagen gemeinsam Sonntag zu feiern — ich nehme es als Selbstverständlichkeit, wenn ich die Umstände und noch die jetzigen Verhältnisse bedenke. Ich bin ja auch schon so glücklich und ganz zufrieden, wenn ich daran denke, daß wir die Frist, die zwischen unseren Begegnungen liegt, schon auf 14 Tage herabgedrückt haben, Du!

Sonntag ist, wenn ich Dich bei mir fühle, wenn ich Deine Stimme höre. Ohne Dich kann mir nichts so recht festlich sein.

Gestern, gegen Abend feierte ich ganz allein mit Dir, innerlich, Sonntag. Ich las in Deinen Briefen und da warst Du mir ganz nahe, Liebster!

Freudetrunken, müde und froh war ich danach; ja, ich glaube, das sind die rechten Worte für das, was ich empfand — und dann hatte ich das Bedürfnis zu schlafen, die seligen Gedanken mit hinüber zu nehmen in die Träume. Das Traumhafte, Unwirkliche kann mich manchmal so in seinen Bann ziehen, wie eine unwiderstehliche Macht, der ich mich nicht zu entwinden vermag.

Aber hier, im Glücksträumen — so könnte ich's nennen — nimmt ja das Traumhafte seinen Ausgang vom Wirklichen. Darum kann ich mich auch nicht ernstlich schelten, ob dieser Schwäche.

Sentimental könnte man das alles bezeichnen — junge Menschen sind oft sentimental, besonders Mädchen.

So wie ich mir diesen Begriff vor Augen halte, hasse ich ihn. Ich mag und ich will nicht so sein. Bin ich doch so?

Ich kann sehr phantasievoll sein, ich bin auch schwärmerisch veranlagt, habe einen starken Hang zum Mystischen.

Aber ich nehme mich doch so zusammen, alles zu meiden, was töricht ist; besonders letzteres, weil ich weiß, daß es Dir Freude macht.

Die Liebe ist es, die den Menschen aufwühlt bis in sein Innerstes hinein. Sie ist wie eine Flamme, die im Herzen brennt, und jeder selbst ist Hüter dieser Flamme.

Und jeder ist somit verantwortlich für sie — ob er verderbliche Einflüsse herankommen läßt, sie vernachlässigt, sie dadurch erstickt, verlöschen macht. Ob er sich ausgibt im Vollgefühl des Besitzes seiner Flamme und sich so an ihr verzehren muß. Oder ob er sich an ihr erfreut, wie sie in ruhigem Gleichmaße dahin brennt, dann und wann aufsprüht in neuer Kraft. Wohl jeder Mensch lernt einmal im Leben die Liebe kennen; jeder anders; jeder muß fertig werden mit ihr.

Und das ist mein Glaube: Wenn die Liebe in eines Menschen Herz fällt, dann erlebt er sie so wie er ist, als Mensch, mit allen seinen Schwächen, ohne einen Deckmantel, ohne Heuchelei; denn wahre, reine Liebe kann nur in der Wahrheit leben.

Und auch ich muß meinen Gefühlen und meinen Empfindungen so Ausdruck geben, wie ich bin.

Daß Du mich liebst, so wie ich bin, Du! Liebster! Dessen bin ich gewiß. Und diese Gewißheit gibt mir auch den Mut und die Kraft, Dir alles zu sagen.

Ich kann mir nicht ausdenken, wie es wäre, wenn uns dies Vertrautsein bis ins Letzte nicht verbände. Ich würde an meiner Liebe zu Dir zugrunde gehen.

Ach Du! Alles ist fast zu schön, um wahr zu sein. Gestern bin ich die Geschichte unserer Liebe wieder einmal durchgegangen — Stufe um Stufe — mir ward so froh inne, daß über allem, was geschah, Gottes Güte waltete. Mir ist, als träte ich die Reise in ein Märchenland an, und in diesem Lande blüht eine Blume — unsere Liebe — und unter unseren Augen erblüht sie mehr und mehr, die erst eine Knospe war, zu ihrer ganzen Pracht und Schönheit. Glücklich und froh sind wir beide in unsrer Liebe, ich weiß es, Du! Wie in einen Kreis hineingehoben fühlen wir uns beide, aus dem kein Weg mehr herausführt. Und seit jener Nacht, da wir in die letzte Erfüllung hineingingen — Du! Liebster! Seitdem wissen wir, daß nichts uns mehr auseinander reißen wird.

Heute früh, beim Glockenläuten öffnete ich Deinen so lieben Brief. Herzallerliebster, Du! Ich danke Dir. Deine Zeilen machen mein Glück, das von gestern noch in mir ist, vollkommen. Daß auch Du Dich mir anvertraust, das macht mich so froh und wie könnte ich Dich nicht verstehen. Was Du mir Liebes und Schönes sagst, Du! Das will ich Dir danken mit meiner Liebe und Treue. Ich bin erleichtert, weil ich sehe, daß Du nicht Schaden genommen hast auf Deiner Rückreise; beim Frieren zieht man sich schnell etwas zu.

Liebster! Sei ganz unbesorgt, ich bin wieder gesund und es ist alles noch gut. Als Du vorigen Sonnabend bei mir warst, Du! Empfand ich einmal einen so heftigen Schmerz, daß ich meinte, dies sei nun das Letzte, was ich Dir schenkte. Ich habe mich getäuscht, ich weiß es bestimmt. Und ich war eigentlich froh darüber — froh, daß wir unserem Vorsatze treu blieben — Du sollst nicht etwa denken, daß es etwas gäbe, was mich gereuen würde, Dir zu schenken, Du!

Ich sage Dir das nur, damit Du ganz beruhigt sein sollst. Sie sagen ich sei krank. Es ist nicht wahr.

Krank ist man nur, wenn man immer liegen muß, wenn man hohes Fieber hat und viel mehr schwindlig ist. Ich habe ein bissel Halsweh und es ist ganz gewiß ein versetzter Schnupfen, der dem Kopf so dröhnen macht, daß es manchmal ein wenig dunkel wird vor meinen Augen und wenn ich ganz fest auftrete, bin ich auch nicht schwindlig. Ein bissel komisch war mir schon die ganze Woche zumute, ich denke aber, weil ich doch krank war; daß ich Leibschmerzen hatte, kam davon, weil ich gefroren habe.

Das ist immer so. Aber manchmal war ich plötzlich so schwach, daß ich mich schnell an meiner Maschine festhalten mußte. Es sah niemand und es weiß auch niemand — und Du sagst es nicht meiner Mutter? Bitte, nein! Ich halte mich ganz warm und ich gurgle und trinke Tee, und ich habe heiß gebadet am Sonnabendnachmittag, mit der Wärmflasche auf dem Sofa gelegen bis abends und dann in's Bett, bis heute früh ½ 9 habe ich im Bett gelegen. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Heute war mir's ganz schön. Und sie glauben es mir nicht, weil ich so blaß wäre. Ich mußte ins Bett und ich bin wieder aufgestanden, weil ich ja Dir schreiben muß. Ich habe es doch gesehen wie Du draußen stehst in dem Schneetreiben und wie Du wartest auf meinen Brief. Es ist ja garnicht kalt hier drinnen, wenn ich an Dich denke schon garnicht. Es knackt überall, ich denke immer sie kommen und wollen mich ins Bett jagen. Es ist ja zum Lachen, im Nachthemde schreibe ich Dir, abends ist mir so warm, ich habe ganz heiße Backen. Ich muß morgen um 6 aufstehen, ich komme nun abends erst um 5 heim und Sonnabends arbeiten wir auch. Ob ich denn nun am Sonnabend zu Dir fahren darf? Ich glaube es nicht, sie werden es nicht zulassen. Die Mutter hat einen Brief geschrieben und ich habe gesagt, daß ich ihn mit in meinen hineinstecke, nun habe ich ihn gelesen. Wenn ich nur nicht zum Liegen komme. Du! Mein lieber [Roland]! Wirst Du dann am Sonnabend zu mir kommen, weil ich nicht darf? Ach und ich hatte mich schon so gefreut und ich habe Deinen Eltern einen Brief geschrieben.

Du, es ist so unheimlich, ich glaube ich fürchte mich. Es sieht aus, als lange jemand aus der Dunkelheit her zu mir, wenn die Flamme sich bewegt beim Geselle. Es sieht, als wäre es wieder der große, blonde Mensch, der immer so sonderbar hersah im Lager unten. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]


Ach Du, das weißt Du doch noch garnicht! Wir haben am Mittwoch gesungen bei den Baltendeutschen und sie haben sich so sehr gefreut und sie haben Beifall gespendet wie toll. Einer stand ganz allein an der Wand und er sah immerfort her zu mir und ich hatte Angst vor seinen Augen und ich kann das garnicht vergessen, immer wenn ich mich fürchte, sehe ich die Augen. Er hat mich aufgelauert auf der Treppe, es waren so viel Leute da und ich ließ Luise nicht von meiner Seite. Er hat mit den Augen reden können, ich weiß gewiß, daß ich unten auf ihn warten sollte, weil er mit mir sprechen wollte. Ich sah, wie er hinter uns her kam. Wie hätte ich gekonnt, Du! Wo ich doch gar keinen fremden Mann brauchen kann. Ich habe doch nur einen einzigen Mann lieb und nur diesem einzigen schenke [ic]h alles, auch meine Blicke und meine Worte. Ich habe nun Dein Bild bei mir und das ist so tröstlich, fühlst Du es, wie ich mich nach Dir sehne, Du! Du darfst nicht denken, daß ich Fieber habe, abends hab ich meistens einen heißen Kopf und was so rauscht, das ist mein Blut, das in den Ohren klingt. Ich gehe ja schon schlafen. Du! Mein liebster [Roland]! Läßt Du mich allein? Es wird mir so Angst! Du! Komm bald zu mir, komm am Sonnabend, weil ich nicht darf, Du! Bete für mich, daß ich gesund werde. Ich hab Dich ja so lieb! Ich muß gesund werden. Bitte, sage den Eltern nichts, schreibe nichts! Behüte Dich Gott! Du, mein Liebster, Du! Ich bin so müde. Gut Nacht, Du! Ich küsse Dich!

Deine [Hilde].

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.400128-002-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946