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[OBF-400114-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 14. Januar 1940.

Herzallerliebster, Du! Mein lieber, lieber [Roland]!

Nimm meinen herzlichsten Dank für Deinen so lieben Sonntagsbrief. Du hast mich beglückt, Liebster! Ich bin so froh darüber, daß ich Dir Sonnenschein bringen kann in Dein Leben, und daß ich Dir so viel sein kann, um ein ganzes Leben lang Hand in Hand mit Dir zu schreiten, durch Regen und Sonnenschein, als Dein lieber, treuer Kamerad. Du bist nicht bange vor dem großen, entscheidenden Schritt den wir vorhaben — Du! Das macht mich so froh und zuversichtlich, das schenkt mir Kraft und Mut, alle Aufgaben zu meistern, die uns das künftige Leben stellen wird. Die segnende, schützende Hand unsres Herrgottes, so sichtbar fühlten wir sie, alle Zeit hindurch — diese Gewißheit soll uns Halt und Zuflucht bleiben, auch wenn das Schicksal einmal rauh zupackt. Dazu ein ehrlicher, gerader Sinn, ein frisches, fröhliches Herz und das glückliche Bewußtsein unserer tiefen, innigen Liebe zueinander, sag, Liebster! Was kann uns dann der ärgste Lebenssturm anhaben?

Wenn ich erst ganz, für immer bei Dir bin, Du — dann ist mir vor nichts mehr bange.

Du! Ich danke Dir für Deine Zeilen, sie geben mir Antwort auf alles, worum ich heimlich bangte, seit wir das letzte Mal beisammen waren — sie zeigen mir auch, daß Du mich verstanden hast im letzten Briefe; Liebster, Du!

Wenn Du heute in Lichtenhain warst, dann bist Du wohl nun zurück, es ist gleich 8 Uhr. Wie ich mir den Sonntag zurechtlegte?

Am Vormittag habe ich mit Mutter eine kleine Wäsche erledigt, sie nahm immerhin 3 Stunden in Anspruch. Zwischendurch — es war genau ¾ 9 — hatte ich zwei Boten zu empfangen, einen aus Schmilka und einen aus Kamenz. Vater schrieb ein paar liebe Zeilen und Mutters Bein sei gut beschaffen, man liest gar keinen Grund zur Besorgnis heraus, wir freuen uns alle darüber. Elfriede will kommende Woche zu Besuch kommen, bei ihr hätten die Kohlen tüchtig die „Beine" angezogen. Alle sind trotz der Kälte wohlauf. Vater meint, ich soll mir das Herz nicht erkälten und übrigens hegt er wenig Hoffnung, daß sein Goldsohn bei diesem Eisgang nach Oberfrohna kommt!

Nach dem Essen wollte ich mich ein wenig mit meiner Handarbeit — eine Wäschekorbdecke sticken — in's warme Stübchen setzen, dabei an Dich denken, träumen von unserm Glück! Dann sollten die Zeilen für Dich begonnen werden.

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, so heißt ein Sprichwort, was heut' auch bei mir seine Richtigkeit bewieß.

Vor dem Essen war ein wichtiger Gang zu tun. Luise feierte heute Verlobung! Ich mußte ja gratulieren, um nicht auch feig zu erscheinen. Mein Geschenk: Ein Brotteller aus Holz geschnitzt (Ahorn) eine sehr hübsche Arbeit und einen Strauß weißer Astern dazu. Ich ging zusammen mit Hanni W. hin, unterwegs schloß sich auch noch Herr V. an, der ist bei S.s Hofmaler! Ach, Du! Hättest mir mal den Betrieb sehen sollen. Der Bräutigam empfing uns in Hemdärmeln, er war Luise behilflich, die hochrot im Gesicht, mit Blumen und Geschirr auf der Verlobungstafel herum hantierte. Herr und Frau S. schwitzten in der Küche, sie hatten sich garnicht so viel Arbeit vermutet, waren auch nicht gut vorbereitet. Es ist so sehr eng bei ihnen, es ging auf ½ 12, der Bräutigam lief zur Bahn, die Eltern und Geschwister abzuholen, sie kamen aus Chemnitz, 9 Personen!

Ja, wie ich nun mal bin, ich konnte da nicht rumsitzen und zusehen, ich fragte eben Frau S., ob ich mich nicht ein bissel nützlich machen könnte in der Küche. Und sie nahm mich natürlich mit offenen Armen auf. Sie hätte mich schon so gern vorher gefragt, ob ich ihr helfen möchte, habe sich aber nicht getraut. Ich bekam eine Wirtschaftsschürze, dann ging's los. Erst hab ich die Tafel mit fertig gemacht, dann wurden Kartoffeln zugesetzt, Rotkraut, Gemüse tischfertig zubereitet. Während Frau S. das neue Geschirr erst mal aufwusch, weil wahrscheinlich vorher keine Zeit dazu war! Habe ich die beiden Kalbsnieren in Scheiben geschnitten und die Soße fertig gemacht. Sie war so aufgeregt und unsicher. Ich verstehe das garnicht, als Hausfrau möchte ich ja einem jungen Mädel nicht so ohne weiteres alles anvertrauen.

Gottseidank, daß ich nicht ganz so dumm bin in der Kocherei und wirklich nützlich sein konnte, heute. Du, eine Suppe haben wir gekocht, die hätte Dir sicher auch geschmeckt! Die Gäste wurden erst alle vorgestellt, dann nahmen sie schon immer Platz. Luise war nur für ihren Bräutigam da. Ab und zu kam sie mir mal um den Hals geflogen: „Ach, bin ich froh, daß Du da bist!" Ich kam mir vor wie ,Emma die Perle‘! Dann wurde serviert, alle saßen so eng beisammen u. S.s wollten mich durchaus mit einschieben, sie luden mich zum Essen ein. Es war ein Kampf ehe ich ihnen klarlegen konnte, daß ich nur in der Küche bleibe oder heimgehe. Ich mochte Frau S. auf keinen Fall mit diesem Berg Geschirr allein sitzen lassen, denk nur, nicht eine von den drei Frauenspersonen bot sich als Hilfe an — ich mußte an zu Hause denken und an Kamenz! Sie war mir so dankbar und ich fühlte mich wohl in meiner Rolle weil ich sah, daß wirklich Not am Manne war. Als der Aufwasch zu Rande war, hab ich erst mal Frau S. überredet, sie soll sich ein wenig zu den Gästen setzen, sie hatte ja noch keine Viertelstunde Zeit übrig außer, zum Essen. Ich war einstweilen beim Fleischer Aufschnitt holen, dann garnierte ich noch 2 Platten und damit war ja die Hauptarbeit vorbei, den Kaffeetisch konnte sie doch allein zurichten. Sie wollten mich beileibe nicht fortlassen, aber ich konnte nicht länger bleiben, die Eltern warteten doch.

Das war wieder mal ein rechtes Beispiel für eine künftige Hausfrau: Feste, wie man sie nicht feiern soll!

Eine Hausfrau und wenn sie keine Hilfe hat, kann bei guter Organisation, bei einer Vorarbeit die mit Überlegung geführt wird, sich auf gute Zeit ihren Gästen widmen ruhig und gesammelt, ohne das störende Gefühl zu haben, unabkömmlich zu sein. Ich sehe ein, für eine Mutter ist Verlobungsfeier eine aufregende Sache, wer weiß, ob mir's im Leben nicht selbst mal so geht.

Aber als junger Mensch spürt man so viel Tatendrang in sich, man sucht aus allem, was sich bietet das Beste, Nützlichste herauszugreifen und damit sich selbst und seiner Umwelt das Dasein angenehmer, liebenswerter zu gestalten. Einen billigeren Lehrmeister als das tägliche Leben, wie es sich in Wirklichkeit bietet, kann man sich ja kaum vorstellen.

Wohl dem, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Ach Du! Wir wollen nur recht gut darauf achten, daß wir einmal einen recht wohlgeordneten Hausstand gründen; Verbesserungen treffen, das hört wohl nie gänzlich auf, und was ich nicht sehe, das wird mein gestrenger Herr Gemahl zum Vorschlage bringen! Nichts ist doch schöner, als ein Hauswesen sein Eigen zu nennen, in dem alles am Schnürchen geht. Wenn das bei uns mal so sein wird, dann kommst Du doch gewiß nochmal so schnell und gerne heim zu Deiner lieben Frau?

Ach ich bin heute so glücklich und froh, daß wir uns fanden und das unsere Liebe eine ganz besondere ist, so schön, so innigzart und geheimnisvoll. Ich fühle es mehr und mehr, wie wir uns fanden, das war nicht alltäglich und daß gerade wir beiden uns fanden, geschah nicht vergebens.

Ich würde nicht glücklich sein mit einer Liebe, wie Luise sie mit ihrem Verlobten verbindet. Ich konnte sie nicht sehr lange beobachten, doch die Zeit da sie um mich waren genügte, um zu sehen, daß kein tieferes Verstehen die beiden verbindet. Es gründet sich alles auf das Sinnliche, auf den Genuß und es ist gut so, daß er nun für lange Zeit wieder weg muß, ich fürchte, daß sie einander schnell überdrüssig werden. Und wenn einmal das Gesetz sie verbindet, so ist es ein Leben hinter der Maske, das sie führen werden — ich sehe, daß Luise nicht von Herzen liebt.

Und nun mein Lieb? Ist es nicht schändlich, welchen Strick die leidige Bahn uns zieht? Glaubst Du, daß es den ganzen Sommer so sein wird? Wo bleibt dann unser Sparkonto? Ich sehne mich so sehr nach Dir und ich würde so glücklich sein, Dich am Sonnab[en]d bei mir zu haben, aber kann ich's Dir denn zumuten? Werden wir den 4 Wochen Abstand wieder aufnehmen müssen? Ich fürcht' mich davor. Du schriebst heute den Eltern so lieb! Ich hab ja gelacht wie ich las, daß Du so humorvoll, ganz Deiner jetzigen Würde bewußt Dich über alle Schwierigkeiten hinwegsetzt! Du bist natürlich den Eltern, aber erst recht mir herzlich willkommen! Frieren brauchen wir vielleicht nu[n] nicht mehr es regnet bei uns heute. Aber ich bin ja so sehr kalt, immer noch, Du! Wenn mich nicht bald einer wärmen kommt, werde ich mich noch verkühlen. Etwas Wichtiges geschah noch nicht! Mein lieber, lieber [Roland] Du! Behüte Dich Gott! Erhalte er mir Dich froh u. gesund! Schenke er uns ein glückliches Wiedersehen! Du bist mein ganzes Glück! Ich sehne mich nach Dir! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

Herzl. Grüße a. d. Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946