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[OBF-400113-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 13. Januar 1940.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Der Dienst ist aus. Es winkt ein freier Tag. Man atmet auf, hebt den Kopf und fühlt sich freier. Der Zwang scheint gewichen. Möglichkeiten tun sich auf, eine kleine Reise? eine Theaterfahrt? ein Abenteuer? Wünsche und Träume melden sich.— Was denkst Du jetzt, Herzliebes? Ach Du! So ist es mir viele Sonnabende ergangen und an den Tagen, da die Ferien begannen. Es ist etwas Reizvolles, Märchenhaftes an diesem Glückträumen. Viel gute Vorsätze und Gedanken haben darin ihren Ursprung, viel Ideale. So ist es mir zumal ergangen, als ich so weit von Hause war, in Oberfrohna, Du! Und es blieb doch bei dem Glückträumen. Und am Sonntagabend, kaum einmal nach 7 Uhr, kehrte er [b]rav zurück, der Ausreißer. Und das Sonntagserlebnis war kein Luftschloß, es hatte rückblickend Hand und Fuß. Aber es lag ein Glanz darauf, der die Schritte des Wochentages beflügelte. Und der Glanz kam von eben diesem Träumen, zu dem der Grünfelder Park, oder das Muldental, oder das Opernhaus nur den Hintergrund abgaben. Also das Beglückende und Bereichernde an einem Erlebnis geht zu einem guten Teil von uns selbst aus, von unserem Zutun. Wie eigen es mich berührt, wenn ich nun all die Wege wiedergehe, womöglich an deiner Seite. Herzliebes! So nahe war das Glück! So nahe waren wir einander! Denk Dir aus, wenn wir uns schon in Oberfrohna  gefunden hätten.— Und nun heute, zum Wochenende, welchen Wunsch ich nun habe, welches Abenteuer ich nun bestehen möchte? Das möchtest Du nun wissen. Zu Abenteuern bin ich nicht geschaffen, das weißt Du. Und mein Wunsch? Ein großes Ringel möchte ich gehen und Dich an meiner Seite fühlen. Du! Du! Mein Glück! Mein Glück bist Du! Glaubst Du das?

Ein Glück auch, von dem man noch Träumen kann, nach dem man sich noch sehnen kann? Wo ich es doch besitze? Wo ich Dich doch schon in Armen hielt und Dir ganz nahe war?

Herzallerliebste! Dennoch mein Glück, dennoch! Kein Rausch nur. Kein Genuß nur, der schal wird. Kein Kleid, das sein Ansehen verliert. Nein, ein Haus, das uns lieber wird, je länger wir darin wohnen, je mehr wir hineinbauen, je mehr wir es einrichten nach unserem Sinn, je mehr es ein eigenes Gesicht erhält. Ein richtiges, echtes Glück, an dem sich nicht nur die groben Äste der Sinnenlust, sondern auch die feinen Fasern zarter Geheimnisse und Sehnsüch[te] innigsten Verstehens und herzlichster Zuneigung emporranken können. Du! Das bist Du mir! Herzallerliebste! Von diesem Glück will ich träumen, heute und morgen. Vielleicht gehe ich morgen nach Lichtenhain.

Die Zeit drängt. Ich muß den Brief zum Kasten bringen. Gott behüte Dich! Herzliebes! Er segne unsern Bund.

Ich liebe Dich! Du! Du!

Dein [Roland].

Wills Gott, sehen wir uns am Sonnabend-Sonntag.

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946