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[OBF-400107-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 7. Januar 1940

Herzallerliebste, Du! Meine liebe, liebe [Hilde]!

Mit diesen Zeilen schließt sich die Tür zum Weihnachtsland, zum Zauberland, Märchenland, Ferienland - für diesmal. Ich sitze wieder in Schmilka und fühle es: Ich stehe wieder allein, bin wieder etwas für mich, selber ein kleiner Mittelpunkt; und das Ausspannen im Elternhaus war nur Traumland, Ferienland. Ich stehe nun wieder für mich - und ich schaue mich um, ob ich nicht ganz allein stehe in der Kälte, der Finsternis, dem Sturm der Zeit, entfernt von den Lieben.

Du! Liebste! Da triffst Du zu mir, größer, deutlicher als sonst. Wir beide wollen ja zusammenstehn. Liebste, ich stehe nicht mehr allein! Du! Wie bitterhart wäre das in dieser Zeit! Nein. Ich habe Dich! Ich habe Dich ganz! Einen guten Kameraden! Du! Und ich schaue weiter um mich: Gott.

Liebste, Herzallerliebste! Wir wollen ihm danken aus vollem Herzen, wir wollen ihm unendlich Dankbar sein. Unserem Ferienplan hat er wieder Gelingen geschenkt. Und wir wollen ihn bitten: daß er uns gnädig bleibt, uns nicht verwirft, sein Antlitz nicht von uns wendet. Daß er Geduld haben möge mit uns und daß er uns leite, damit wir gute Frucht bringen.

Ich stecke nun wieder mitten in Geschäften. Der Tag geht genau auf. Die Arbeit bis Ostern überblickend, möchte mir manchmal schwindlig werden vor dem Berg: Das was an reiner Schularbeit in jeder Klasse noch zu tun bleibt, Zensuren, Entlassungsfeiern, Jahresbericht usw. Ach, ich fürchte mich nicht vor der Arbeit. Nur die letzten Wochen zermürbt einen das vielerlei Durcheinander, was man so schnell in einem anderen Berufe nicht wiederfindet. Da heißt es haushalten mit den Kräften. Na, ich tue, was ich kann, und für Dich muß auch Zeit freibleiben. Diese ersten Tage nach den Ferien fühlt man die gesammelten frischen Kräfte und man empfindet auch Freude an der Arbeit.

Für deinen lieben, langen Brief herzlichen Dank. Herzallerliebste! Das erste Zeichen eines Mißverstehens zwischen zwei Menschen ist die Leere und der Überdruß. Diesen Anzeichen galt meine ganze Aufmerksamkeit in der Zeit unsrer Prüfung. Ich besinne mich, sie zweimal deutlich gespürt zu haben. Das eine Mal auf der Meißenwanderung, damals bestimmt eine Ermüdungserscheinung, sie war auch rasch überwunden und auf der Bahnfahrt von Coswig war die Verbindung wiederhergestellt. Das andre mal in Lichtenhain, Du besinnst Dich, damals mehr in der Einbildung, ein Gespenst der Sorge. Seitdem habe ich sie nicht wieder gespürt. Und seitdem w[ir] unsre Liebe einander nicht mehr nur mit Worten versichern dürfen, da sind uns ja die Stunden unsrer Begegnungen viel zu rasch entschwunden. Aber nun erhebt sich die Sorge um die Leere wieder in einem anderen Sinne. Wir haben es einander schon gestanden, wie uns das Neue überwältigte, wie wir die Herrschaft über uns verloren. Es bereitete mir wirklich Sorge und mein ganzes Trachten ging nun dahin, Dich noch viel mehr mit deinem Wesen liebzugewinnen. Und ich bin so froh, daß es mir gelungen ist. Die Freude und Lust der gröberen Sinne wird die reinere Freude nicht mehr ersticken und übertönen können, und das Glücksgefühl ist nur dort, wo beide sich die Waage halten.

Ich vergaß, einige Fragen zu beantworten. Elfriede wird nicht nach Kamenz kommen. Wahrscheinlich wird sie den Löbauer Christian wieder zu sich nehmen. Der ist Mutter zu laut. Sie hat auch davon gesprochen, den Schuldienst wiederaufzunehmen. Mutter wird sich schonen, so gut sie kann. Mutter und Hellmuth nahmen die Einberufung ganz gelassen auf. In gewisser Hinsicht ist Hellmuth sogar froh. Die Arbeit in Löbau gefällt ihm gar nicht. Er tut mir manchmal recht leid. Möchte sich so gern entfalten und schaffen nach seinem Sinn - und er hat wirklich gute Einfälle - und kann nicht, wird daran überall gehindert. Ich gönne ihm ein gutes Geschick von ganzem Herzen. Gelacht haben wir am Sonntag bis zur letzten Minute. Am Vormittag haben wir alle gemorst und gefunkt. Heute ist es hier mordskalt. Hier am Wasser ist die Kälte bissiger. Auf der Elbe treiben mächtige Schollen. Enten flitzen auf und ab, betuen [sic] sich im Wasser wie im Sommer, setzen sich auch manchmal auf eine Scholle und lassen sich spazieren fahren. Es scheint ihnen Vergnügen zu machen.

Deinen lieben Eltern will ich in den Sonntagsbrief einige Zeilen schreiben. Grüße sie von mir recht herzlich. Herzallerliebste! Behüte Dich Gott! Bleibe froh und gesund! Halte Dich warm in diesen kalten Tagen.

Dir gilt meine ganze Liebe. Ich möchte Dich beglücken damit wie Du mich beglückst.

Ich bin Dir ganz nahe. Ich küsse Dich! Ich liebe Dich!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946