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[OBF-401001-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 1. Oktober 1940

Liebes, teures Herz, meine liebe, liebe [Hilde], Du!

Ein schöner Spätsommertag geht zu Ende.

Unsre Exerzierwiese sah heut morgen weiß aus. Vom Meere blies ein frischer Wind. Angenehm, wie dieser Tag war auch der Dienst heute. Für den Sport war es das richtige Wetter, und als Abschluß gab es einen kleinen Ausmarsch mit umgehängtem Gewehr. Heute stellte sich der neue Leutnant vor, ein Reserveoffizier von etwas dreißig Jahren. Er besitzt einen Drahthaarfox. Der hat den ganzen Dienst mitgetan, er war immer zwischen uns, er wich nicht und ließ sich weder im Guten noch Bösen beiseitebringen. Am Nachmittag beim Sport war er ganz aus dem Häuschen. Unverdrossen und furchtlos lief er dem Balle nach, mengte sich unter die Spieler, er trieb es zu bunt, so daß man ihn am Schlawittschen abfuhren mußte. Wir hatten mächtigen Spaß an diesem tüchtigen Kompaniehund.

Weil ich vom Spaß spreche. Unser Johann, das ist die Glanznummer unsre Stube, die Quelle mancher Heiterkeit, ein Urvieh. Er stammt aus dem Sudetengau, redet Rundschrift. Er besitzt ein Süßwarengeschäft, ist früher auf den Jahrmärkten herumgezogen. [*] Er könnte 50 Jahre alt sein seiner Erscheinung nach, ist gut beleibt, aber unbeholfen und tölpisch. Er hat vielleicht in seinem Leben noch nicht geturnt. Er ist von Natur behäbig, etwas langsam in der Ausffassung. Die Ausbilder sprechen ihm viel zu schnell. Nun möchte er alles recht gut machen, dabei verkrampft seine Haltung und seine Bewegungen. Es ist das Schmerzenskind unsrer Ausbilder, hinkt immer nach, fällt dauernd auf, und ist doch seines Gutmütigkeit, einer gewissen bauernschläue [^] wegen und als Witzblatt überall bekannt als Johann und beliebt bei Mannschaften und Maaten. Zwischen dem Dienst heißt es plötzlich: "H.! Vortreten! Ein Witz!" Dann erzählt er. Meist sind es derbe und freche Witze. Als es an die Ausbilding mit dem Gewehr ging, hat er gar sehr gejammert. Na, genug von ihm. Was soll ich Dir sehr noch erzählen heute? Dein lieber Bote blieb heute aus, die Post funktioniert nicht ganz, auch die Kameraden klagen. Meine Karte zur Singstunde ist wohl nicht ganz pünktlich angekommen. Hast einmal nach den Sternen gesehen, Herzliebes? Am Osthimmel ziehen am Abend zwie [sic] Planeten auf, Jupiter und Saturn. Am Morgenhimmel steht dann noch Venus. Herzliebes, morgen kommt Dein Bote, ich freue mich schon darauf. In der Nacht auf heute Dienstag fand ich keine Ruhe zum Schlaf. Gegen 4 Uhr war ich ganz munter und habe Deiner gedacht, Du! Ausgemalt habe ich mir, wie es sein würde, wenn ich auf Urlaub könne. Liebste, es ist doch nun fast wieder wie in der Brautzeit.

Genug für heute.

Hoffentlich sind Euch die Feiertage gut bekommen.

Keine verstimmten Mägen? Keine verkaterten Stimmen? Keine zertanzten Schuhe? Na, ich werde es aus dem Kirmesgruß erkennen.

Behüt Dich Gott, Herzallerliebste!

Ich denke Deiner immer in Liebe und Sehnsucht, ich bin Dein, ganz Dein, und Du bist mein, Das ist mein Glück, mein Leben, Du!

Ich küsse Dich! Ich liebe Dich von ganzen Herzen und bleibe in Treue

Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern!

 

[*= Hier beginnt eine Zeichnung, wohl der Kamerad Johann]

Karte
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Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief. Zeichnung eines Mannes im Profil, eingebettet in den Text.

Ba-OBF K02.Pf1.401001-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946