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[OBF-391211-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 11. Dezember 1939.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Heute wurde ich mit dem Gruß vom Lichtlabend überrascht. Mir ward so eigen zumute, als ich die Namen las und mir die Lichtlabendrunde vorstellte. Einst gehörte auch ich dazu. Alle die halbdienstlichen oder halbamtlichen Zusammenkünfte hatten den besonderen Reiz, daß man sich persönlich ein wenig näherkam; ihr Ausklang war aber für mich meist schmerzlich, als ich spürte und es doppelt empfand, daß ich einsam war. Du gehörst noch zu dieser Runde wie vor Jahren. Du warst damals eine von den vielen, mit denen mich weiter nicht viel mehr verband als das gemeinsame Interesse an der Arbeit des Singens. Es verbindet die Menschen auch, aber doch unpersönlich, sozusagen dienstlich. Und nun bist Du meines Herzens Vertraute, die Zutritt hat zu allen meinen Geheimnissen, Dein Eigentum bin ich. Herzallerliebste, das ist so sonderbar und wundersam.

Einen dicken Brief bekommst Du heute. Den nächsten Verwandten wollen wir doch eine Nachricht zukommen lassen in Form eines Adventsgrußes. Gestern bin ich in Kamenz eine Stunde auf- und abgegangen und habe alle Restposten an Adventskarten in Umschlägen aufgekauft. Ich habe mir gedacht, daß es hübsch ist, wenn wir uns beide eigenhändig unterschreiben. Ich bitte Dich, die Karten meiner Verwandtschaft zu unterschreiben, zuzukleben und zur Post zu geben. In der Annahme, daß mein Verfahren Deinen Beifall findet, habe ich mich auf Deinen Karten schon unterschrieben. Es ist wohl so, daß auf Verlobungsanzeigen die Dame zuerst zeichnet.

Am Sonnabend bin ich also nach Dresden gefahren. Durch das Stadtinnere bin ich gepilgert hin und wieder, mit Augen nur für Uhrmacher, Uhrläden und Tischuhren. Die Uhr, in die ich mich verguckt hatte, war verkauft. Zuletzt hatten mich wieder zwei Modelle umgarnt und es hätte nicht viel gefehlt, hätte ich zugegriffen. Aber im letzten Augenblick verlor ich doch die Courage und ich schied mit der Einsicht, die Uhr müssen wir beide kaufen, ich mag nicht allein danebengreifen. Am dritten Feiertag, wenn wir zurückfahren zu Dir, denke ich, machen wir uns an dieses Geschäft. Und wir packen nicht eher zu, als bis uns etwas passend erscheint und gefällt. Und nun sind meine Gedanken schon bei Weihnachten und wenn sie zu Dir gehen, da sind sie auch bei dem Fest, an dem wir will's Gott uns wiedersehen, Herzallerliebste, Du, für eine ganze Reihe von Tagen, für so viele Stunden, in froher, traulicher Runde! Du! Auch für ein paar süße Stunden mit Dir allein, ganz ganz allein, Du! ganz nahe bei Dir?

Bei uns an der Elbe liegt ja nur wenig Schnee. Aber überall sonst ist ja schon dicker Winter, ich war ganz erstaunt. Der Eisenbahn ist er schon in die Glieder gefahren, sie macht Verspätungen. Wenn Du Dich auf die Reise machst zu uns, nimm nur genug zu essen mit. Ach, ich überlege schon, wie wir es recht machen. Es wäre ja so schön, wenn Du schon am Sonnabend oder Sonntag kommen könntest. Die Reise würde sich dann erst recht lohnen und wir könnten wenigstens uns zwei Tage erheben, ohne an das leidige Reisen denken zu müssen. Deine kleinen Ferien würden durch den Reisedrasch mittendrin nicht zerrissen, und wir brauchten nicht unruhig auf Deine Ankunft zu warten. Auch in Euren Heiligabend brächten die Reisevorbereitungen einige Unruhe. Aber nun müssen wir noch an Deine Eltern denken. Würden sie Deine Abwesenheit recht schmerzlich empfinden? Würden sie sich leicht damit trösten, daß sie zu den Feiertagen um Neujahr doch uns beide haben? So wird es ja nun die kommenden Jahre sein: abwechselnd werden wir bei Deinen Eltern den Heiligabend, bei meinen die Jahreswende verleben, wenn wir nicht zu Hause bleiben. Ich würde mich ohne weiteres bereitfinden, den Heiligabend bei Euch mit zu verleben, wenn uns dadurch nicht doppelte Fahrtkosten entstünden; denn in den paar Tagen vor dem Fest muß ich der Mutter noch ein wenig zur Hand gehen; und einmal möchtest Du doch dies Weihnachten auch bei uns gewesen sein. Das laß Dir einmal durch den Kopf gehen, Herzliebes. Die ganze Geschichte ist nicht von großer Wichtigkeit. Ich rühre daran nur, weil ich an den mangelhaften Bahnbetrieb denke und weil ich wünsche, daß auch Du zu ein paar Stunden richtiger feiertäglicher Ruhe und Freude kommst.

So, nun mögen die Tage dahin ein wenig schneller vergehen — oder ein wenig langsamer? Vorfreude ist die schönste Freude, heißt es. Ach Herzliebes, mit Dir ist es anders. Die Freude ist doch dann am größten, wenn Du erst richtig bei mir bist. Aber die Vorfreude ist nicht unwichtig, und wenn sie echt ist, kann sie der Freude nachher auch nicht schaden.

Die Tage werden schnell vergehen. Sie werden umglänzt von der nahen Weihnacht. Ich werde ihr auch in der nüchternen Schulstube ein wenig Raum geben und werde mich von der Freude der Kinder gern ein wenig anstecken lassen.

Du aber, Herzliebes, bleibe bis dahin froh und gesund. Gott behüte Dich mir.

Du bist mein ganzer Schatz, mein Ein und Alles.

Ich drücke Dich an mich, ich küsse Dich,

Ich liebe Dich, Du, Herzallerliebste! [Hilde], Du!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946