
O., am 2. Advent 1939.
Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!
Zwei so liebe Boten sind nun schon in meiner Hand, Du! Ich danke Dir.
Wie ein recht trüber Tag sich doch schwer auf’s menschliche Gemüt legen kann. Das fühlt man erst deutlich, wenn die Sonne wieder scheint; die Sonne, die alles Trübe, Graue in den Schatten stellt, die Beherrscherin des Guten und Schönen, deren segenspendende Kraft auch die Menschenherzen erquickt, sie erlöst aus dumpfen, schwermütigem Brüten. Könnte sie uns nicht Vorbild sein? Es ist schwer, Menschliches Göttlichem gleich zu tun. Es ist aber schon ein beachtlicher Schritt auf dem Wege Freudenspender zu sein, wenn man das Verlangen und den Willen in sich trägt, Sonne und Glück dem anderen zu bringen; diese innere Erkenntnis will wie eine Blume gepflegt sein: mit viel Liebe und Geduld. Das Leben ist oft rauh, zumal in uns[e]rer Zeit — da heißt es nur: Treu sein, tapfer sein, nicht verzagen.
Immer Sonne im Herzen behalten, wenn draußen noch so düstere Wolken sich ballen.
Du! Mein [Roland]! Wir sind ja jetzt zu zweien, nicht mehr allein — das Wachsen und Starkwerden am anderen ist so etwas Beseligendes. Ich habe es gefühlt in diesen Tagen und schon so oft. Du! Daß ich Dein bin!
Du hast mit Deinen Worten die letzten Schatten verscheucht. Ich bin wieder froh und getrost. Du hast ja so recht, Herzallerliebster!
Unser Weg hat einen Sinn vor Gott, das zu wissen, ist schon so reicher Trost. Ich glaube und vertraue mit Dir ganz auf Gott, daß sein Wille uns zum Guten gereicht. An Deiner Hand will ich nicht verzagen, und wir wollen, trotz allem, unserem Glauben treu bleiben.
Nun ist schon der zweite Advent herangekommen, eine Woche ist erst vergangen seit unserem Fest. Es scheint mir schon so lang her, daß Du bei mir warst. Meine Sehnsucht nach Dir wird immer größer, Du! Wie kühl ich das Ringlein fühle auf meinem Munde, aber es ist nicht kühl genug, um meine Sehnsucht auszulöschen.
Ich freue mich so sehr auf Weihnachten. Die Vorweihnachtszeit ist eine selige Zeit. Oder wird mir das diesmal so besonders deutlich bewußt, weil es nun meine Brautzeit ist? Du!
Seit Donnerstag ist draußen wieder alles in Weiß gehüllt. Wie ich solch einen Wintertag liebe, diese weihevolle Stille, dieser wundersame Frieden — zu denken, daß sich beides mit dem unruhigen Weltgetriebe vereinen könnte!
Ach Du! Mich hat die Freude auf Weihnachten so gepackt und ich möchte nun am liebsten alle Welt so froh wissen wie mich.
Liebster! Gestern mußte ich diesen Brief an Dich unterbrechen, es war Besuch gekommen. Ein den Eltern gut bekanntes Ehepaar aus der Nachbarschaft, beladen mit einem Geschenk für mich. Ja Du, das geht immer noch so fort!

Sieh, Du darfst Dich doch auch mit darauf legen! Sie möchte auch erfahren, ob wir uns zum Feste sehen, bei ihr in B.. Auf ein Weihnachten zu dritt freut sie sich, ihre Schwester Liselotte kommt. Nun werden wir wohl Elfriede und Helmut gar nicht antreffen in K.? Ich teilte ihr mit, daß sie auf unseren Besuch in B. nicht rechnen können, da ich doch nur auf die zwei Feiertage angewiesen bin. Wer weiß, ob Siegfried kommen kann, dann wären wir ja ganz allein. Heute habe ich mir überlegt, daß ich Siegfried eine kleine Freude machen will, als Entschädigung für die eingebüßte Verlobungsfeier. Ein Feldpostpaket soll er wenigstens haben, was ich aber hineinpacke ist mir noch rätselhaft, morgen will ich mal auf die Suche gehen. Bis zum 15. müssen alle Pakete aufgegeben sein.

Den Weihnachtsmann suchten wir auf. Ja, es sah böse aus, dem Wunsche der Mutter (Du weißt schon) konnte er garnicht gerecht werden. Und der L.er Weihnachtsmann konnte es in dem Punkte gleich garnicht. Ich weiß nicht, was nun werden soll. In L. wartet man jeden Tag auf die Sendung, halt nur Du auch die Daumen mit fest, daß etwas für uns dabei ist! Beim Geburtstagsmann sah es schon besser aus. Das macht auch, weil ich mich schon lange vorher danach umgesehen hatte, wo der richtige wohnt. Viele schöne Sachen zeigte er mir, Du! Und mir fiel die Wahl ziemlich schwer. Mal sehen, ob in diesem Jahre die Post Pakete an Geburtstagskinder richtig befördert!! Dann kannst Du urteilen, ob ich bei meiner Wahl Deinen Geschmack traf. Es ist rechteckig, (liebst Du diese Form?) oben befindet sich eine Öffnung da hinein sind zweierlei wichtige und praktische Sachen gesteckt. Auf der Oberseite ist noch ein langes, schmales Etwas angebracht, ich kann Dir’s garnicht recht beschreiben, nur, daß es rot und verschnörkelt aussieht. Nun aber Schluß — am Ende bekommst Du das Geheimnis gar noch heraus!!

Heute wirst Du nun die Grüße von unser[e]m Lichtl-Abend erhalten haben. Frl. S. erinnerte mi[ch] erst daran (wie beschämend!) Ich ließ sie auch gleich zuerst unterschreiben, damit sie sich beruhigte. Du hättest bloß mal die Empörung sehen sollen, weil meine Grüße so kurz und sachlich gehalten wären, garnicht wie die Zeilen einer Braut!
Ach, hab[e] ich mich schon köstlich amüsiert über die Neugier vieler ‚Damen‘. Du kennst ja meine Parole: Wer dumm fragt, erhält eine dumme Antwort; die, nebenbei bemerkt, absolut nicht beleidigend sein muß. Vorigen Donnerstag ging ich wie immer zur Singstunde, viele waren schon da, ich tat ganz gleichmütig, begrüßte sie, setzte mich auf meinen Platz und zog Luise, die neben mir sitzt in ein Gespräch. Keiner merkte was, keiner wußte schon was! Es machte mir so viel Spaß. Dann aber, Du weißt ja, wie Luise ist, konnte sie nicht mehr an sich halten und fragte laut in die nächstsitzende Runde hinein: Na, habt ihr denn uns[e]rer Braut immer noch nicht gratuliert? Auf ihr Fragen wies sie auf mich, überall ungläubiges Kopfschütteln und ich bestärkte sie noch darin. Bis sie meine Hand mit Gewalt heraufzogen. Für Frl. S. und W.s war[‘]s natürlich unfaßbar, daß sie es erst an dem Tage erfuhren. Das ganze Drum und Dran kannst Du Dir wohl vorstellen. Herr G. hielt eine Ansprache, die ich aber vor Verwirrung und Aufregung garnicht in mich aufnehmen konnte. Erst als der Sängerspruch verklungen und alle Glückwünsche vorübergerauscht waren, kam ich wieder zu mir.
Dora P. drückte mir die Hand und wünschte alles Gute. Das hat mich froh gemacht. Ich hatte das Gefühl, daß ihr Glückwunsch außer den Jüngeren und den Männern wohl der aufrichtigste war. Dem nachzusinnen ist wohl auch töricht von mir, allen denen, die mir nicht besonders nahe stehen, ist es wohl mehr eine Formsache, mir zu gratulieren. Herr S. und Herr G. meinten, Du sollest nur in den Ferien mal mitkommen, ihr hättet euch doch immer gut vertragen. Herr W. und Frl. S. machten mir ein Geschenk.
Im Geschäft war natürlich auch großes Trara, sie kamen alle gestürzt, um zu gratulieren. Die Fopperei blieb auch nicht aus dabei, einem guten Witz gehe ich nicht aus dem Wege, Dreistigkeit quittiere ich einfach mit Nichtachtung. Du, es ist zu lustig, meinem Chef geht es gerade wie Deiner Großmutter. Wenn er so um mich herum geht, mich von der Seite mustert und sich nicht traut mich anzusprechen, Du! Dann muß ich mich zusammenreißen, um nicht vor Lachen herauszuplatzen. Vorigen Montag, als Deine lieben Eltern mit dem Mittagszuge heimfuhren, saß er mit im gleichen Wagen. Ach ja, ich bin froh, daß nun der größte Trubel vorbei ist, man kommt ganz aus der Ordnung. Jeden Abend fast kam Besuch und ich wollte d[och] so gerne einmal ausschlafen!
Sonntag in acht Tagen ist nun schon Heiliger Abend — dann noch einmal schlafen und dann? Du! O Du! Wie ich mich nach Dir sehne, Herzallerliebster! Ich habe mir schon eine Verbindung ausgesucht nach K., wo ich nicht umsteigen muß, so alles planmäßig verläuft! Vergleiche doch bitte einmal und gib mir Bescheid ob[‘]s so stimmt. Mutter will mitfahren zu ihrer Schwester nach Chemnitz, sie vertreibt mir ein bissel die Wartezeit.
Nun warte ich auf Deine ‚Anzeigen‘ damit ich mich mit unterzeichne! 3 Briefe müssen in 4 Tagen unterwegs sein. Und noch eine schwierige Arbeit hat mir der Weihnachtsmann aufgetragen! Wäsche legen, plätten, Gardinen aufmachen, baden mir wird ganz schwindlig. Nur noch knapp 14 Tage! Ach, alles will ich tun, Liebster! Herzallerliebster! Wenn ich nur dann zum Lohne [sic] dafür bei Dir sein kann. Gott behüte Dich mir. Du! Mein lieber, lieber [Roland]! Ich küsse Dich!
Ich liebe Dich! Ich bin ganz Deine
Herzl. Grüße von den Eltern!