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[OBF-391206-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 6. Dezember 1939.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Jetzt habe ich mal eine Stunde, wo ich mit all meinen Gedanken bei Dir sein kann — das konnte ich in den vergangenen drei Tagen doch nur abends, wenn ich in meinem Bett lag. Du! Liebster! Vater ist zum Dienst gegangen, Mutter sitzt am Ofen und strickt; draußen tobt sich wieder ein heftiges Schneetreiben aus und ich glaube, heute wird sich niemand auf die Beine machen, um Besuche abzustatten. Unser Geschenktisch hat sich schon wieder um vieles bereichert, und vier Besucher haben sich angemeldet für dieser Tage. Jeden Tag erlebe ich Freude, mir ist richtig schon wie Weihnachten zumute.

Ich wollte Dir alle neuen Geschenke aufzählen, daß Du Dich mit freuen kannst, aber ich hab mirs nun anders überlegt: Du mußt schön geduldig sein und warten bis Weihnachten, Du kennst ja Deine Geschenke alle schon; dann hast Du wenigstens eine Überraschung. Bist Du nun böse auf mich? Neben meinem Schreibebogen liegt meine linke Hand und bei jeder Bewegung blitzt es golden auf. Nun denke: Solch schmaler, kleiner, goldener Ring — und durch ihn so viel Aufregung, Glückseligkeit und Freude. Obgleich ich das Ringtragen schon gewöhnt bin, so ist mir doch diese Art neu und selten. Du, mein Lieb!

Tagsüber, wenn meine Hände geschäftig sich mit der Arbeit zu schaffen machen, dann hängen meine Augen immerzu an dem goldenen Reif. Die Gedanken aber gehen zu Dir; von Deiner Hand ist dies sichtbare Zeichen unsrer Verbundenheit, von Deiner Hand wurde mir diese goldene Fessel angelegt, und wenn ich denke, daß Du, Liebster, die gleiche Fessel von meiner Hand wil[li]g und mit Freuden dulden willst, daß sie uns beide niemals als Last bedrücken wird, sondern immer wieder an Liebe und Treue zueinander gemahnen wird — auch wenn das Schicksal es bestimmt, einmal Ferne und Zeit zwischen uns zu legen — dann Herzallerliebster, wird mir so froh und leicht ums Herz. Wir Menschen sind in Gottes Hand und sein Wille bleibt uns jetzt noch verborgen. Aber eines ist mir so unverhüllt und klar wie das Sonnenlicht: Meine Liebe zu Dir. Sie ist Dein, mag sich zwischen uns drängen, was auch sich will.

Sie gehört allein nur Dir, solange Leben in mir ist.

Du sollst das niemals im Leben vergessen, mein [Roland]!

Das ist mein heiliges, ernstes Versprechen, Du! Ich weiß nicht wie es kommt, ich kann so reine, kindlich helle Freude empfinden, ich kann so namenlos glücklich sein mit Dir und dann, wenn ich allein bin kreisen meine Gedanken immer weiter, bis sie an einen Punkt kommen der so dunkel scheint, der sich so garnicht mit meiner Glückseligkeit vereinen will. Immer, wenn ich mich so recht von Herzen freue, steht die Angst auf, daß plötzlich irgend etwas dazwischen tritt, daß uns[e]re Freude zerschlagen will. Manchmal habe ich schon gedacht, daß ich nur immer zum Kämpfen geboren bin, daß ich nur für den Schatten bestimmt bin und im reinen, dauernden Sonnenschein garnicht leben kann. Liebster! Du hast auch selbst schon erlebt, daß ich mitten im Glücklichsein plötzlich tiefsinnig wurde, mir ist es hinterdrein so leid; aber ich kann mich einfach dieses Gefühls nicht erwehren, es kommt über mich und läßt mich nicht los. Ich glaube in mir lebt zu viel Phantasie — meine Gedanken verstricken und verlieren sich zu weit ins Unwirkliche. Als ich noch nicht zu Dir gehörte, quälte mich das noch viel öfter. Du hast Dich gemüht und versucht in solchen Stunden meine Gedanken auf die rechte Bahn zu lenken und ich sehe auch ein, daß nur ein wenig Selbstzucht erforderlich ist, um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Dein Wesen atmet viel mehr Ruhe und ich bin überzeugt, daß sich dieser Zustand einmal ganz verliert, wenn Du immer um mich bist. Ich bin täglich viele Stunden unter Menschen, die so verschiedener Art sind, ich habe Umgang mit ihnen, ich höre ihre Gespräche. Ach Du! Es hat ja keinen Sinn, wenn ich Dir einzelne Schicksale nennen will. Es ist Krieg. Und das wird uns allen einmal mehr oder minder grausam bewußt. Der Krieg fragt nicht nach Herzensnot und Angst, fragt nicht, was er mit all seinen Auswirkungen anrichtet, zerstört, verschüttet und zerreißt. Er kennt keine Rücksicht — er fordert nur.

Ach Liebster! Wenn wieder ein Tag verging, der mich die ganze Wucht uns[e]res Zeitgeschehens einmal so recht deutlich erkennen ließ, dann muß ich mich fast verzweifelnd fragen: Warum läßt das alles unser Herrgott droben zu?

Ist das nicht Knechtschaft, was sie uns aufzwi[ng]en wollen und auf diese Art?

Und wiederum — bin ich vermessen, dünke ich mich mehr oder besser, als eine and[e]re, die auch aus uns[e]rer Mitte kommt — geschieht nicht alles für unser Vaterland?

Ist es denn aber nicht wie eine Folter, einen Menschen wählen zu lassen zwischen Liebe und Liebe zum Vaterland?

Ach Du! Ich will ja alles tun, wenn Du mir nur bleibst — ich kann doch nicht sein ohne Dich.

Herzallerliebster! Sei mir nicht böse, wenn ich im Gedenken an unser großes Glück der Liebe mich von einem trüben Tag so beeinflussen lasse. Bitte, sei nicht traurig. Es ist so im Leben: Man kann nicht einen Tag so froh sein wie den anderen. Ich wollte Dir nun heute einen recht lieben Brief schreiben, in dem die Erinnerung an unseren schönen Festtag nachklingen sollte und nun muß ich Dir wieder Sorge machen. Mein lieber [Roland], Du wirst mich recht verstehen — es verlangte mich so, Dir zu schreiben. Ich wollte Dich mit meinen Zeilen so froh machen — so froh wie Du warst bei mir und wie Du von mir gingst, Du!

Mein Brief ist nicht von einem himmelhochjauchzenden Glück durchdrungen. Aber ich wünsche mir so sehr, daß Du fühlen mögest, Liebster, wie so ganz ich mich Dir anvertraue in Liebe, wie so fest mein Herz mit dem Deinen verankert ist, wie ich mich an Dich lehnen möchte in Freud und Leid.

‚Du Ring an meinem Finger‘, so heißt es im Liede, rufst du nicht zu jeder Stunde alles Glück herbei, das eben erst bei mir war und nun bei mir bleiben will? So möchte ich mich fragen. Manchmal kann Leid das Glück überwiegen. Das Gute, Edle bleibt beständig. Hast Du nicht mit eigenen Augen gesehen, hast Du nicht selbst mit erlebt, daß Gottes Güte immer mit uns war, ist das alles unwichtig, gegenüber menschlichen Handelns? Diese Frage drängt sich vor und es ist mir (dabei), als blickten mich dabei Deine lieben Augen ernst und antwortheischend an. Ja, Du, Liebster! Dessen will ich immer eingedenk sein: Zu aller Not nie kleingläubig werden, was kommt, das schickt Gottes Hand und wie bisher, so wollen wir[']s auch weiterhin halten: Im Vertrauen auf ihn, wollen wir unseren Weg zuversichtlich fortsetzen.

Er muß uns doch auch einmal den Frieden schenken in der Welt, der für so viele Menschen einen Grundpfeiler bedeutet, ohne den ihr Werk keinen Halt findet.

Weihnacht will nun werden, das Fest der Liebe. Beim Gedenken an dies Fest wird uns allen warm ums Herz, Frieden will einziehen. Weihnacht soll's werden in aller Welt. Einmal las ich irgendwo, nirgends erlebt man Weihnachten inniger und schöner als in Deutschland. Kennt denn nicht alle Welt die Geschichte vom Heiland, der zu uns kommt in der Weihenacht, daß mit ihm der Frieden einzieht? O könnten doch alle Fremden einmal das große Wunder deutscher Weihenacht erleben, würden dann nicht alle ihre Herzen friedlich gestimmt werden, zum Segen für die ganze Menschheit?

Liebster, Herzallerliebster, Du! Nun behüte Dich Gott! Ich habe Dich unendlich lieb! Du!

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946