Bitte warten...

[OBF-391111-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 9. November 1939. 

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Für Deinen lieben Brief meinen herzlichsten Dank. Ich wußte, daß Du mir heute schreiben wirst. Es ist etwas so Eigenartiges um die Gedanken und um die Sehnsucht. Beide gehen so unendlich weit, wie unsichtbare Fäden verbinden sie uns. Sie dringen durch den letzten Widerstand hindurch, der sich bietet und gelangen doch zu der Seele, die sie suchen.

Ich habe so deutlich gefühlt, wie Du meiner denkst, Herzallerliebster, Du! Gar keine bestimmten Gedanken sind's, die mich fesseln dabei — es ist wie ein fortwährendes Lauschen nach innen, voller froher Erwartung.

Ja, so froh hast Du mich gemacht mit Deinen Zeilen. Du gibst mit den rechten Worten Ausdruck für das Schicksal unseres Bundes. Und wie könnte ich anders empfinden als Du. Alles gemeinsam Erlebte, gibt es nicht Zeugnis davon, daß Gottes Wille an uns offenbar wurde?  Wie winzig, unscheinbar und schwach dünkt mich ein Mensch auf dieser Erde — was wäre er ohne Gottes Führung? Ein Nichts.  Wie arm, wie bedauernswert sind die Menschen, die nie im Leben die wunderbare Kraft des Göttlichen kennen lernen. Wir haben einen Zugang zu Gott und wir erkannten und wir glauben daran, daß es nichts Höheres, nichts Besseres gibt, als uns ihm ganz anzubefehlen, als seine Gnade und Güte zu erringen.  Über allem Glück auf Erden dürfen wir niemals vergessen, daß nur ein Leben in Gottes Namen lebenswert ist.

Gottes Geschenk ist unsere Liebe, Du!

Da wir uns nun so ganz gefunden, da wir dies nun auch den Außenstehenden kund tun wollen, indem wir sichtbar durch das äußere Zeichen, den Ring, unsere Zusammengehörigkeit beweisen — Liebster! Da wir vor dem ersten öffentlichen Fest unsrer Liebe stehen, gehen meine Gedanken zurück — voriges Jahr um diese Zeit. Freundschaft verband uns damals — ich weiß so genau noch, daß ich sie in Gefahr brachte — bewies es sich nicht auch damals, daß unser Schicksal nach eines Höheren Plan sich erfüllte?

Ach Du! Ich glaube, alles, so wie es kam — auch das Erleben an der See — es mußte sein; ich wurde dadurch meiner Liebe zu Dir nur deutlicher und tiefer bewußt. Gott hatte mir diese Prüfungen gestellt um sich von der Wahrheit meiner Liebe zu Dir zu überzeugen. Und die Wahrheit blieb beständig.  Ich habe meine Liebe zu Dir rein und unbefleckt hindurchgetragen, durch alle Fährnisse, und nun ward mir der schönste Lohn: Du schautest mein Herz — Deine Liebe ward mein! Und die ganze Seligkeit Deiner Liebe kann ich erst erfassen, seit ich Dir mein Herz schenkte, Du!

Voriges Jahr um die Adventszeit wußte ich Dich in Lichtenhain. Weißt Du noch, wie wir die Kerzen am Adventskranz als Sinnbilder benannten? Du! Um den dritten Advent schriebst Du einmal ungefähr:

‚Gebe Gott, daß ich die 4. Kerze übers Jahr dazubringen kann, — wie sie heißen müßte?‘

Mein Lieb, Du! Heute, ein Jahr später, ward Dein heimlicher Wunsch Erfüllung. Und Deine Frage? Ist sie nun beantwortet?

Ach Liebster! Wenn ich bei meiner Arbeit sitze und meine Gedanken gehen zu Dir, zu unserem Bund, dann kann ich oft das große Glück kaum fassen — dann sehne ich mich so sehr nach Dir — nur wenn ich in Deine Augen sehe, wenn ich Deine liebe Hand halte und Dich ganz bei mir weiß, dann bin ich zufrieden und ganz wunschlos. Nun sind es nur noch sieben Tage — endlich bist Du dann bei mir, Du! Ich freue mich so sehr. Der 19. sollte unser Festtag sein.

Liebster, Du! Dessen sei ganz gewiß: Ich bin gar nicht enttäuscht über Deine Nachricht. Erstens habe ich gewußt, daß es jetzt schwierig ist, Ringe zu erstehen — derartige Neuigkeiten erfahren wir im Geschäft sofort — ich hatte mich schon auf eine Nachricht gefaßt gemacht, die gegen unsern Plan geht. Und, Liebster!

Ich empfinde auch jetzt, daß es doch viel schöner und sinniger ist, wenn wir als unseren Festtag den 1. Advent wählen.  Ich will die kurze Zeit gerne noch warten, uns drängt ja auch nichts. Es wäre mir auch recht sehr lieb, wenn Deine lieben Eltern mit dabei sein könnten, Du! Ich habe nun unterdessen den Eltern davon berichtet und sie möchten schon auch gerne, daß die Eltern [Nordhoff] mitkommen.  Wie die Nachricht aufgenommen wurde?  Na, sehr überrascht waren sie nicht mehr, sie hatten kurz über lang einmal mit dieser Eröffnung gerechnet. Aber daß es so plötzlich kommen würde, dachten die Eltern nun nicht, Du! Mutter ließ schon wieder die praktische Seite durchblicken, indem sie meinte: Es sei dumm, daß wir's nicht gleich am letzten Male gefeiert hätten, wo wir alle beisammen waren — nun müßten Deine Eltern nochmal die kostspielige Reise tun. Ach, wir kommen eben ein bissel spät dahinter — wir gehen nun mal unsern eigenen Weg. Es ist etwas sehr Wahres an dem Wort: Gut Ding will Weile haben!

Und ich bin fest überzeugt davon, wenn auch unsre Verlobung kein großes Fest wird, Deine lieben Eltern werden uns bestimmt die große Freude machen und an unserm Festtag teilnehmen.

Liebster! Du hast auch noch weiter gedacht.

Der 1. Advent fällt gerade in eine kritische Zeit.

Nun ist es bei mir nicht der Fall, daß ich von starkem, körperlichen Unbehagen heimgesucht werde — freilich, so frisch und frei und ungezwungen wie sonst fühle ich mich nicht; aber, daß ich deshalb irgendwie störend auf meine Umwelt wirke, das glaub ich nicht.

Ich muß daran denken, Liebster!

Ein Fest feiern, das ist immer etwas Besonderes, Schönes, und der eigentliche Reiz eines Festes liegt doch immer in der Krönung, die es erhält.

Bei unserem Fest, mein Lieb, Du! Läge da die Krönung in der Stunde, die nur uns beiden gehört? Da wir uns beschenken mit dem Höchsten, das Liebende zu schenken vermögen?

Du! Ich kann aber nicht glauben, daß die höchste Seligkeit einzig und allein nur in dieser Stunde liegt. Waren wir nicht schon oft so glücklich miteinander, wenn wir nur unsere Nähe spürten?

Deine Antwort aber hierauf sollst Du mir geben, wenn Du zu mir kommst, Herzallerliebster!

Sonntagvormittag ist es jetzt, da ich Deiner denke.

Du bist wieder mit Deinen Lieben versammelt und meine Gedanken sind schon seit gestern mittag nach Schulschluß ganz fest bei Dir. Während ich Deinen Brief vom Donnerstag beantworte, ist nun schon wieder Dein lieber Sonntagsgruß hereingeflattert zu mir. Dafür, daß Du meiner so oft denkst, will ich Dich recht liebhaben, wenn Du bei mir bist! Du darfst aber nicht denken, daß ich nicht an Dich denke, Du! Wenn ich auch nicht die Zeit finde, all meine Gedanken für Dich aufzuschreiben und Dir zu senden, so sind sie aber fast immer nur bei Dir, Liebster! Das darfst Du mir glauben.

Gestern war ich nicht im Geschäft und so konnte ich schon am frühen Morgen mit Mutter beginnen, die Wohnung gründlich zu säubern für über acht Tage — ich will nur wenig Arbeit übrig lassen, damit ich nicht abgespannt und müde bin, wenn Du kommst. Weil Vater Nachtdienst hatte, badeten wir erst gestern Nachmittag und zuvor war ich mit Mutter in Limbach, um mein ‚Brautbett‘ zu holen, so bezeichnete es nämlich unsre Bettfedernfrau! Ich bin neugierig, ob es auch Deinen Beifall findet, Du sollst es am Sonnabend einweihen und Dein Gutachten ablegen. Mein Weihnachtsgeschenk und das der Eltern ist beinahe so gut wie entschieden; am Sonntagvormittag sollst Du einmal mitkommen, es Dir ansehen — schließlich muß es uns doch beiden gefallen, nicht wahr? Heute will ich nun noch einmal tüchtig meiner Weihnachtsarbeit zu Leibe gehen, auch meinen Wintermantel muß ich heute noch kürzer machen, das ist keine Arbeit für die Abendstunden. Das Wetter ist nicht viel wert, es lockt mich nicht hinaus und Freundinnenbesuch erwarte ich ebenfalls nicht. Sie geht heute mit ihren Eltern aus.

Die Zeitungen stehen voll von dem aufsehenerregenden Ereignis am 8. November. Ich habe die Rede des Führers aus dem Bürgerbräukeller in München gehört.

Dankbar und froh könnte man sein, daß der Führer wie durch ein Wunder diesem feigen Anschlag entging, wenn ......  Ich weiß nicht, lieber [Roland], obwohl ich am Donnerstagfrüh sehr erschrocken war, als unser Chef diese Nachricht brachte — ich kann mich doch trotzdem eines eigenartigen Gefühles nicht erwehren. Ich will nichts schreiben. Ich möchte heute mit bei Euch sein. Gebe Gott, das alles ein gutes Ende nimmt.

Mein Lieb! Es ist nun ½ 12 geworden, um 12 Uhr geht das Postauto, wie mir Herr P. Auskunft gab. Ich möchte so gerne, daß Du morgen meinen Gruß in Händen hast. Est [sic] ist vielleicht garnicht notwendig, daß ich Dir bis Sonnabend nochmal schreibe.

Die Spielpläne der Städtischen Theater zu Chemnitz sind nicht sehr viel wert. Das Opernhaus scheidet für uns aus, das ist Sonnabend Tanzabend. Schauspielhaus, um ½ 8 Uhr „Rebellion um Preußen“. Central Theater, die Fledermaus, aber dahin sehne ich mich nicht.

Wir werden schon einen Plan schmieden, darum ist mir nicht bange, ich komme auf jeden Fall am Sonnabend nach Chemnitz und erwarte Dich da. Sollten wir uns nicht finden, so warten wir am Bahnhofseingang aufeinander. Am Sonntagnachmittag gehen wir zur Kirche, Du weißt, das Reformationsfestspiel. Wirst Du denn am Sonntag noch ganz dableiben können, Du?

Zweimal kurz hintereinander kannst Du Dir wohl nicht Deinen Unterricht verlegen? Ich glaube, ich hab Dir nun alles Schreibenswerte mitgeteilt, ich trage den Boten schnell zur Post, Du sollst nicht so lang warten müssen. Und nun mein Lieb?

Behüte Dich Gott!  Erhalte er Dich mir gesund und froh!  Meine Gedanken werden immer bei Dir sein, bis ich Dich endlich in meine Arme schließen darf, Du mein Herzallerliebster!

Ich sehne mich so nach Dir! Ich küsse Dich!

Ich liebe Dich! Du mein lieber, lieber [Roland]!

Ich bin ganz Deine [Hilde].

Die Eltern lassen Dich auf frohes Wiedersehen recht herzlich grüßen.

Karte
Kommentare
Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.391111-002-01d.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946