
S. am 6. November 1939.
Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!
Es freut mich, daß Dich mein Zweifel nicht irre gemacht hat, und daß Du mir nicht grollst deshalb. Ach Liebste, es war nur ein ganz leiser Zweifel, und unter den Gedanken, die mich heute abend bewegen, bricht er ganz zusammen. Liebste, wenn ich alles bedenke, unseren gemeinsamen Weg bisher, dann kann ich nur glauben, daß Gott ihn uns führte. Von dem Tage an, da ich ihn bat, er möchte mich klar sehen lassen — über den Tag, da Du mich riefst — durch die mancherlei Fährnisse und Zweifel uns[e]rer Begegnungen — bis auf den heutigen Tag. So wahr ich zuweilen das Gefühl habe, daß Glück sei mir in den Schoß gefallen, unverdient, so steht außer Zweifel, daß wir nicht ohne Fügung einer höheren Macht zueinander fanden. Ich mußte nach O. kommen, ich mußte es wieder verlassen, damit Du Deiner Liebe erst ganz bewußt wurdest und damit ich den Wert Deiner Liebe erst recht erkannte. Wenn die Wege aller Menschen Gottes Wege und Schicksal sind, so dünkt mich der unsere es in besonderem Maße und in besonderer Deutlichkeit: Er ist so ungewöhnlich, er tat sich uns beiden auf in einer Not, er brachte mir viel Freude und Frieden. Liebste, den Glauben lasse ich mir nicht nehmen: Uns[e]re Liebe ist Gottes Geschenk, und für mich im besonderen [sic] ein Geschenk seiner Gnade. Darüber dürfen wir ganz froh werden. Daraus können wir Vertrauen fassen für alle Zukunft, wenn wir nur weiterhin auch auf Gott schauen und bauen und nach ihm fragen und Liebes und Leides aus seiner Hand nehmen. Ich nehme unseren Bund als Gottes Schicksal. Liebe [Hilde], ich will dankbar und froh und unverzagt Ja sagen.
Und so erscheint mir uns[e]re Liebe und unser Bund erst recht als einzigartig und einmalig und unwiderruflich und unzerstörbar. Liebste, Du bist ganz mein, ich bin ganz Dein!

Zu Hause traf ich außer unserem Soldaten auch unseren Onkel Karl an. Wir sehen ihn gern zu Besuch kommen. Am Sonntag in der Frühe stellte sich auch Hellmuth ein. Siegfrieds Urlaub ging Sonntagmittag zu Ende. Wir anderen drei reisten um 5 Uhr ab und mußten nun die Eltern ganz allein lassen. Die Zeiten wandeln sich. Junge Leute möchten gern allein sein, die Eltern möchten gern die Kinder um sich haben. Wir trennten uns am Sonntagabend auf ein Wiedersehen in B. kommenden Sonnabend. Man rechnet unbedingt auch mit meinem Besuch. Ich fahre ja auch gern. Aber mein Herzlieb möchte ich fragen, ob ich denn auch darf, ob es nicht mit will? (Es will nicht. Es scheut die weite Reise. Es muß jetzt sparen und für Weihnachten arbeiten und nach seinem eigenen Besuch acht Tage später ausschauen). Du bist mir doch nicht böse, daß ich die Antwort gleich selbst gebe? Ich möchte Dir wirklich die weite Reise ersparen. Ein Besuch bei Hellmuth wird damit nur aufgeschoben. Mittwoch ist schon wieder. Bald ist der Sonnabend heran. Es muß in der Luft liegen heute, daß ich mich nach dem Westen sehne, wenn ich durchs Fenster schaue. Und ich bin froh bei dem Gedanken, daß Du diesen Gruß morgen schon in Händen hast.
Gott behüte Dich!
Mehr als sonst sind meine Gedanken bei Dir. Und den Mittwoch, meinen Tag, weiß ich nicht besser auszufüllen als mit dem Gedenken an Dich. Herzallerliebste, Du machst mich so glücklich! Ich warte mit Dir. Ich möchte Dich recht liebhaben. Ich küsse Dich! Ich liebe Dich! [Hilde], Du!
Bitte grüße Deine lieben Eltern.