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[OBF-391103-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 1. November 1939.
Am Mittwoch.

Herzallerliebste!

Erfreulich und überraschend pünktlich landete ich noch vor 10 Uhr in Ostsachsen. Ein Stück der Heimfahrt habe ich verschlafen. Hoffentlich wird mir morgen die Kunde von Deiner guten Heimkehr. Der Mensch, der Dir Augen machte, hat mich noch einpaarmal [sic] geängstigt. Na wart nur, bald werden wir dem Hühnchen ein Ringlein ums Pfötchen legen, damit jedermann gleich sieht, wem es gehört. Ach Liebste, der Abschied drohte so schwer zu werden — und nun ward er uns leichter denn je in der Erwartung des Kommenden. Ich freue mich so für Dich, und für Deine Mutter! Und nun kann ich heute gar nicht wehmütig den entschwundenen Stunden nachhängen. Aber vergessen werde ich sie deshalb nie, Liebste, Du! Erlöst bin ich nun von vielen schwülen, quälenden Träumen. Es bleiben Freude und Wundern und Sehnen. Liebste, Du hast mir ein großes Geschenk gemacht, Du hast mir meinen geheimsten Wunsch erfüllt. Liebste, Du kennst mich nicht genug von früher, als daß Du bestätigen könntest, wie scheu und ängstlich vor anderen und vor mir selbst ich in diesen Dingen gewesen bin. Wo ich doch sonst allem herzhaft und unbefangen gegenüber treten kann, hier konnte ich es nicht. Irgendwann einmal hat man mir hier eine falsche Angst eingejagt. Mit Dir und bei Dir kann ich alle Befangenheit vergessen, und Du weißt, das ist nicht Frechheit und Anmaßung oder das Ausspielen einer Überlegenheit. Und ich weiß, daß ich es nur kann, weil ich Dir ganz vertrauen darf und weil Du so gütig und großmütig bist. Liebste, Du machst mich glücklich! Ein Geschenk, ein gutes Geschenk, beglückt auch den Schenkenden. Hast Du gesehen, wie ich es angenommen habe? Meine Augen? Liebste, ich war andächtig gestimmt. B Liebste, war er unbillig, mein Wunsch? Reut Dich Dein Geschenk? Hat Dich dieser Wunsch, auch nur für einen Augenblick, irre gemacht an mir? Ich kann es nicht glauben. Du bist großmütig — ich bin es auch. Diese Eigenschaft bewahrt uns beide davor, diese Großmut gegenseitig auszunützen. Ich würde mich tief schämen, wenn ich mich je dabei ertappte. Warum ich so viel Worte darum verliere? Ich möchte nicht, daß Du meinen Wunsch irgendwie falsch verstanden hast. Ich wäre betrübt, wenn Dein großes Geschenk Dich geschmerzt hätte, wenn ich Dir, und sei es auch nur einen Augenblick, klein und unwürdig und wie all die anderen erschienen wäre.

Meine liebe, liebe [Hilde]! Wäre mein Wunsch einer unlauteren und unsauberen Regung entsprungen, in dem Augenblick seiner Erfüllung wäre meine Liebe zu Dir kleiner geworden. Sie ist aber größer geworden. Du, ich liebe Dich! Ich mag Dich nimmer lassen. Gut Nacht! Herzliebes!

Am Donnerstag.

Herzallerliebste!

Noch ein Schatten, den ich erst wegwischen will. Vielleicht lachst Du mich aus darum, und das wäre mir beinahe die liebste Antwort. Damit Du den Schatten auch siehst, muß ich ihn Dir durchs Vergrößerungsglas zeigen:

()[*] Liebste, Dein Pferdewunsch. Ich kann ihn gar nicht nur als töricht oder nur im Spaß gemeint hinnehmen.Es steckt in Dir ein wenig Lust zum Tollen und Toben. Ich habe Dich so lieb und Du bist mir so wert, daß ich Dir so gern jeden vernünftigen Wunsch erfüllen möchte. Du weißt aber auch, daß meinem Gewähren harte Grenzen gesetzt sind, sodaß unsre Wünsche nicht allzusehr auseinandergehen dürfen, wenn überhaupt einige davon in Erfüllung gehen sollen. Eine Reise, ein paar Konzert und Theater, ein paar Bücher und Noten: ich glaube, dann bin ich bald am Ende meiner Kunst. Liebste, wirst Du damit zufrieden sein? Wirst Du dabei nicht zu kurz kommen? Das würde mich so sehr schmerzen. Das Leben ist lang, Liebste! Vielleicht erwachst Du an meiner Seite erst recht zum Bewußtsein Deiner Kräfte und Neigungen. Siehst Du, da ist sie wieder, die Eifersucht auf den unbekannten Anderen, bei dem Du findest, was ich Dir bin, und der Dir darüberhinaus auch noch Deine großen Wünsche und Ansprüche besser erfüllen kann. Liebste, ich schelte mich dieser Schwäche und frage nur, woher sie kommt. Mit Dir ist mir so großes Glück widerfahren, es ist mir in den Schoß gefallen, und manchmal meine ich, ich habe es gar nicht verdient, und es könnte mir wieder entfallen. Ich bin mit Dir so ganz zufrieden, ich habe gar keinen Wunsch mehr als den, daß ich Dich immer behalten darf. Liebste, Liebste! Wirst Du denn mit mir zufrieden sein? Ach Du! Uns[e]re Begegnung gab ja doch sonst zu solchen Fragen gar keinen Anlaß. Wir haben uns wieder gut verstanden und waren unseres Glückes einigemale froher bewußt denn ja je. Ich glaube, es hat sich in diesen Zeiten nun doch die Wehmut des Abschiedes Luft gemacht.

Gut Nacht, Liebste, Herzallerliebste! Behalte mich lieb, Du!

Am Freitag.

Herzliebes!

Erst heute erhielt ich Deinen Brief. Ich schäme mich darüber, daß Du schreiben mußt „Keine Bange — — —“. Aber Liebste, meine Sorge um Dich ist kein Mißtrauen zu Deiner Liebe und Treue, sie ist auch nicht nur Eifersucht, sie ist zum Teil richtige Sorge. Ich habe in einem früheren Briefe schon einmal davon geschrieben.

Ob ich glücklich bin Liebste? Du! Nun bin ich es wieder ganz, da ich Dich wieder geborgen zu Hause weiß. Ich bin ganz gefangen in Deinen Netzen — und bin doch glücklich. Und auch Du kannst nicht mehr zurück, Liebste!

Die Tage reichen kaum aus, soviel Geschäfte habe ich zu besorgen. Seit Du fort bist, habe ich noch keine Viertelstunde übrig gehabt. Die Hefte liegen da immer noch nicht korrigiert. Und jeden Tag war jetzt auch ein Geschäft für Dich dabei, Liebste, und deshalb ging ich mit Freude auch an die anderen Geschäfte. Ein Geschäft am Mittwoch — Du wirst es bald erfahren — der Rohrstock ist es nicht, den ich am Mittwoch in Bad Schandau einhandelte. Am Donnerstag — auch das wirst Du bald wissen. Am Freitag: neben mir liegt das Gesuch auf um Erstattung des Fahrgeldes. Ich bin ganz unbehelligt nach Hause gekommen und habe so gar nicht bemerkt, daß ich eine falsche Fahrkarte hatte. Heute hat sie mir der Beamte auf unserem Bahnhof herausgesucht, ich schicke sie mit ein als Beweisstück. Sonnabend: Herzliebes, da will ich an ein ganz besonderes und seltenes Geschäft gehen, Du! Mein Herz pocht mir ein wenig vor Freude und Erwartung. Das Briefschreiben jeden Tag ist gar nicht mit gerechnet.

Zu unseren Bildern: Du willst mich überall in den Himmel heben — ich aber bin bemüht, Dir den Himmel auf die Erde zu bri[nge]n. Das ist sonst im Ergebnis dasselbe; nur wenn es sich um Fotos handelt, ist die Wirkung verschieden. Auf einem Bilde treibt der Wind ein ganz artiges Spiel, [Hilde] in Pumphosen.

Morgen ist Reisetag, schon wieder, Du weißt es. Die Tage werden schnell vergehen. Nun sind ja auch die zu Hause Teilhaber und Zeugen unsres Glückes. Wir werden von Dir sprechen, von unserem Besuch bei Euch — und ich werde ganz froh sein dabei. Bitte grüße Deine lieben Eltern und sage Ihnen Dank für ihre gastliche Aufnahme.

Wir werden einmal Mühe haben, all unsre Paradiese ins Gedächtnis zu rufen. Und nun wurde uns auch hier eines der schönsten.

Meine liebe [Hilde]! Gott behüte Dich.

Ich möchte Dich ganz liebhaben. Ich küsse Dich! Ich liebe Dich! Meine liebe [Hilde]!

Dein [Roland].

[* = gemalte Ellipse]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946