Die sowjetische Kavallerie paradiert durch Lviv, Polen, 28 September 1939, Quelle: Sowietisches Wochenschau, auch in Radianska Pravda, Kiev, Lizenzfrei über Wikimedia Commons, 10.2014[391101–2‑1]
O., am 1. November 1939.
Herzallerliebster, mein [Roland]!
Kurz nach 4 Uhr ist es — ich hab[e] den Tag endlich geschafft. Du, Liebster! Draußen scheint die Sonne, ach und überall, wohin ich sehe, ist’s als sei alles vom Sonnenschein verklärt. Du! Die ganze große Seligkeit dieser vergangenen Tage trage ich noch in mir. Es war so schön bei Dir, Du!
Noch 17 Tage, dann bist Du wieder bei mir, Liebster!
Sag, bist Du auch so glücklich, mein [Roland]?
Nun möchte ich nur wissen, wie Deine Heimreise verlaufen ist. Denk nur, als kurz vor F. Kontrolle kam, stellte es sich heraus, daß ich eine falsche Fahrkarte hatte. Sie lautete nach S. u. ich wollte doch nach Chemnitz. Ich kann mir nicht anders erklären, als, daß wir uns[e]re Fahrkarte verwechselt haben müssen. Ich mußte eine einfache Fahrt nachlösen. Der Kontrolleur sagte mir, ich solle diese Karte reklamieren lassen.
Meinen Einwand, daß ich die S.er Karte behalten will als Beleg, stellte er als unnütz beiseite. Ich schicke Dir nun die beiden Fahrkarten mit der Bitte: Mache Du eine Eingabe an die Bahn; versuche, das Geld zurückzuerhalten. Gib genau an, an welchem Tage das Versehen geschah, die Fahrtzeit und Linie des betr. Zuges, das muß doch meiner Ansicht nach dann nachgewiesen werden können.
Dresdener Hauptbahnhof mit Omnibus und Tram, etwa 1930, Quelle: Schelzel Kunstverlag Dresden, Lizenzfrei über Wikimedia Commons, 10.2014Wir haben doch uns[e]re Sonntagskarten einwandfrei gelöst und weshalb sollen wir die Bahn bereichern? Ich wundere mich nur, daß wir auf der Rückfahrt in Dresden durch die Sperre gekommen sind; es ist das sicher nicht der einzige Fall jetzt bei der Verdunklung. Wie gut, daß wir beide genug Geld hatten! Ich hätte ja einen Retter gefunden in der Not. In meinem Abteil saß ein Soldat mir gegenüber, der hörte ganz interressiert meiner Verhandlung zu und erbot sich, mir auszuhelfen. Er tat das so korrekt und höflich, daß ich im Ernstfall seine Hilfe hätte garnicht gut abschl[age]n können — er stellte sich mir vor als Feldwebel S., z.Z. in G.. Ich habe mich bis Chemnitz noch ganz harmlos von diesem und jenem unterhalten; aber nicht sehr angeregt, Du! Keine Bange — ich wollte nur nicht unhöflich sein. Dem alten, komischen Herrn vom Bahnsteige bin ich nicht wieder begegnet! Was ich auch nicht begreifen kann: Die Rückfahrkarte O. — Chemnitz war auch schon zweimal gelocht, ich bin aber ohne Schwierigkeiten herausgekommen. Die Eltern waren noch auf, als ich heimkam, ich hab[e] aber nicht erst lange erzählt, Du! Deine lieben Eltern sind Montag nachmittags heim, sie hätten sich gut vertragen miteinander; sie waren noch bei der O.er Großmutter. Die Mutter kommt jetzt, ich soll mit nach L. gehen, sie will mein Federbett kaufen noch ehe man einen Bezugschein braucht für Federn. Ich nehme den Brief mit. Er gefällt mir heute nicht, es ging alles in Eile und ich wollte Dir gerne sofort Bericht geben von mir. Eines kann Dich entschädigen, Liebster! Du weißt, wie ich Dich liebe! Und wenn wir die Gedanken auf das Vergangene richten, Du! Glaubst Du, daß noch der Worte fehlen, um unser großes, heimliches Glück vollkommen zu machen? Du! O Du! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich! Mein [Roland]! Gott mit Dir!