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[OBF-391021-001-01]
Briefkorpus

Kamenz am 21. Oktober 1939.

Meine liebe, liebe [Hilde]!

Die Woche war so schnell um. Es ist jetzt nicht mehr viel am Tage. Der heutige Sonnabend ist dicht besetzt. Und unter den Nummern des Nachmittags steht auch der Sonntagsgruß an Dich. Er wird nicht sehr lang ausfallen können, denn bis zum Postauto ist nicht mehr viel Zeit. Es ist mir immer ein wenig unbehaglich, wenn ich nun unter dem Druck der Stunden schreiben muß. Aber Du verstehst mich ja.

Ich habe Deiner und unsrer oft gedacht in diesen Tagen, lang und zusammenhängend gestern, als ich in die Pilze ging am Nachmittag. Denselben Weg bin ich mit Dir gegangen nach dem Winterberg. Ausgemalt habe ich mir, wie es sein wird, wenn wir [zu]sammen schaffen können. Hell und freundlich waren die Farben dieses Bildes. Ich kann mir gar nicht anders denken, als daß wir fröhlich miteinander sind, froh, wenn alles richtig geht, fröhlich, wenn etwas schief geht und wir eine Dummheit machen, ich denke, daß alle von uns[e]rer Fröhlichkeit angesteckt werden müßten.

Ob ich Pilze heimbrachte? 4 Pfund, lauter Samtmännel, es machte viel Spaß zu suchen.

Mein Dienst in dieser Woche? Ach Du, die Büroarbeit ist so ganz anders als uns[e]re Schularbeit. Schon der Anfang. Da liegen geduldig und ruhig die Bogen und Akten. Nimmst Du mich oder nimmst Du mich nicht? Es ist mir gleich.

Wenn ich in die Schulstube trete, da ist Hochspannung. Der Lehrer geladen mit Stoff und Vorsätzen und so allerlei Energien; die Kinder, lauernd und unruhig: was wird denn jetzt kommen, was wird er denn heute bringen usw? Und nun muß es losgehen, sonst wird Krach. O, ein großer Unterschied! Diese Büroarbeit braucht gar keinen Atem, man vergißt das Atmen richtig und atmet tief überhaupt nicht.

Zieh Dich schön warm an, man erkältet sich so leicht im Sitzen. Und in 8 Tagen, Liebste, wenn alles gut geht? Die Zusage der Eltern wird euch spätestens (spät genug) am Mittwoch erreichen. Sie wird nur noch verzögert dadurch, daß es möglich wäre, unser Soldat meldete sich über die Feiertage für ein paar Tage Urlaub an. Dann könnten die Eltern natürlich nicht weg. Aber bis Mittwoch entscheidet sich das. Sage das mit herzlichen Grüßen von uns allen bitte auch Deinen lieben Eltern. Und Du, sieh ein bißchen mit darauf, daß nicht viel Umstände gemacht werden. Die Hauptsache ist doch, daß wir uns sehen und kennenlernen. Ich kann sagen, daß ich mich auf ein paar gemütliche Stunden zumal am Sonnabend freue. Wo werden wir denn alle schlafen? Ich, und Du?

Wir können erst mit dem Zug 1601 [Uhr] in Chemnitz eintreffen, und haben dann über eine Stunde Aufenthalt. Kannst Du den durch Deine Anwesenheit in Chemnitz uns (Mir) vielleicht ein wenig verkürzen? Mutter ist schlecht zu Fuß. Wir bummeln ein wenig durch die Stadt im neuen Hut! Sollten die Eltern nicht kommen können, dann mußt Du mich in Schmilka besuchen. Womöglich arbeitet ihr nicht am Montag?! Morgen Nachmittag sitze ich also wieder auf der Bahn. Ich bin's gewöhnt. Umso lieber sind mir nun noch die paar Sonnabendstunden. Ich besorge jetzt Deinen Brief und mache noch ein Ringel und bilde mir ein, Du gingest neben mir. Dann essen wir gemütlich Abendbrot. Warme Wurst gibt's heute abend! Du, ich habe richtig einen Bauch gekriegt in diesen Tagen. Wenn er nächsten Sonnabend noch dran ist, kannst Du ihn begutachten. Und dann nach dem Aufwaschen schiebe ich mir den Lehnstuhl in Ofennähe, Beine über den Stuhl, mal sehen, was das Radio bringt, dann sind ja alle still, ich aber höre nur halb hin und denke an Dich, und an uns. Gönne auch Du Dir ein paar ruhige, gemütliche Stunden. Was wirst Du morgen angeben? Ich freue mich auf Deinen nächsten Brief.

So, jetzt ist es Zeit. Es fällt mir auch nichts mehr ein. Der Brief gefällt mir nicht. Der nächste wird besser sein.

Ach Du, unser Bote, treu ist er schon und dankbar müssen wir ihm sein, und eine Zeitlang mußte ich ihn beneiden — aber nun? Das Feinste und Beste müssen wir uns Aug in Auge sagen, Du!

Behüt Dich Gott, Liebste!

Ich küsse Dich, ich liebe Dich, Herzliebes, Du!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946