[391018–1‑1]
K. am 18. Oktober 1939.
Herzliebes, meine liebe, liebe [Hilde]!
Herzliebes! Daß ich diese Anrede einmal schreiben dürfte, das schwebte mir vor als der Inbegriff höchsten Liebesglückes. Du! Wo bin ich jetzt? So möchte ich Dir zu raten aufgeben, wenn ich es nicht schon verraten hätte. Wieder daheim bei Muttern.

Du! wie unheimlich seltsam sich alles wiederholt! Und ein Reiseonkel bin ich geworden, bald hier, bald da, und doch überall mit Dir und bei Dir. Du! Wie sicher und unangefochten ich jetzt überall bin, vor allen Mädchen und Frauen. Ich bin ja Dein Eigentum, an dem nur Du ein Recht hast. Und ich glaube, man sieht es mir an, auch wenn ich keinen Ring trage: „Verkauft“. Aufmerksamer als die Einzelgänger betrachte ich jetzt manchmal die Paare. Und wenn ich dann zwei recht froh miteinander sehe, dann überläuft es mich warm bei dem Gedanken: So glücklich bin auch ich, sind auch wir, Du! Herzliebes! An der Tatsache dieses Glückes müssen alle kleinen Sorgen zerschellen. Und Deine Sorge um die Arbeitsdienstpflicht will mir nur als kleine Sorge erscheinen. Ich weiß nicht, ob ich das richtig beurteile. Weil wir ja nun fest entschlossen sind, uns im kommenden Jahre die Hand zu reichen, können wir mit diesem wichtigen, festen Entschlusse dem Gang der Dinge mit Ruhe entgegen sehen. Die Arbeitsdienstpflicht ist notwendig und wichtig; uns[e]re Heirat ist wichtiger. „Sie sind noch jung und kommen zurecht“, diese Vorhaltung könnte man wohl Dir machen, aber nicht mir. Deshalb ist mein Rat für[‘]s erste: Laß Dich ruhig mustern, und wenn Du nicht ausdrücklich gefragt wirst, oder wenn Du das Gefühl hast, hier ein Wort zu verlieren, ist nicht die richtige Stelle, dann schweige. Heute und morgen werdet ihr ja noch nicht eingezogen. Bis dahin haben sich 100 und 1000 ähnliche Fälle wie der unsere ergeben, für die dann eine Regelung erscheint. Bis dahin halten wir beide Ausschau nach dem richtigen Weg für eine Reklamation. Daß Du von dieser Pflicht freikommst, darauf zu bestehen bin ich fest entschlossen. Zum ersten, um Dir und Deinen lieben Eltern das ohnehin große Opfer zu erleichtern; zum andern, um Dir das ungewisse Los zu ersparen; um unser beider Wunsch, recht bald für immer umeinander zu sein, erfüllen zu können. Du! Ich habe dem Staat mit meinem langen Warten schon etliche Tausend geschenkt, und mag ihn auch keinen Pfennig mehr an mir (und dazu gehörst ja auch Du) verdienen lassen. Ich stellte heute zu Mittag den Eltern die Lage vor. Sie sind meiner Meinung. Vater meinte ganz radikal: Wenn nichts verfängt, dann laßt Ihr euch eben standesamtlich trauen, und dann seid ihr eben verheiratet. So herzhaft und entschlossen sehen wir die Sache, und das mag Euch zunächst beruhigen. Mit einer gewissen Scheu baue ich in die Zukunft und setze Termine. Aber jetzt bin ich doch froh, daß wir uns im Vertrauen auf Gottes Hilfe sogar auf den Tag festgelegt haben. Und den, Liebste, lassen wir uns zunächst von Menschen nicht verschieben!
Wie ich den Sonntag verlebte? Weil der Sonnabend sich regnerisch anließ, habe ich die Fahrt nach L. verschoben. Am Sonntagmorgen habe ich mich auf[‘]s Rädel gesetzt, den Rucksack hintenauf, im Rucksack das Gesangbuch. Weiß nicht, was mich so zog, den Gottesdienst zu besuchen. Ich hörte eine recht lehrreiche Predigt. Gegen 11 Uhr fuhr ich dann in B. ab. Frau Hoffmann trug eben das Essen auf, und ihre Einladung, mitzuhalten, war mir recht willkommen. Es gab wieder einen guten Schweinebraten. Ich soll Dich von Hoffmanns vielmals grüßen. Bei Herrn Korek habe ich dann 20 Pfund Birnen gefaßt, sie waren schon gepflückt, und nach einem gemütlichen Plinsenschmaus bei Hoffmanns bin ich vor Dunkelheit nach S. heimgekehrt. Der Montagvormittag war Amtsgeschäften gewidmet. Am Nachmittag habe ich mich dann einmal nach meinem eigentlichen und verordneten Dienstort S. umgesehen. Dienstag vormittag bin ich, mit meinen Birnen beladen, nach K. zurückgekehrt. Für diese Zwangsferien haben wir ausdrücklich Weisung erhalten, uns irgendwie zur Verfügung zu stellen. So bin ich heute in der Frühe wieder zum Rathaus gepilgert, und bin wie damals wieder im Steueramt angekommen. Mit Dir zur selben Zeit gehe ich also diese Woche ins Geschäft. Aber nur über Vormittag. Das habe ich mir ausbedungen [sic], damit ich Mutter ein wenig zur Hand gehen kann. Daß auch Dein Sonntag inhaltsvoll war, freut mich sehr. Ich werde Dich bitten, mir über die Unterredung mit Luise gelegentlich mehr zu erzählen. Du tatest [sic] recht daran, Dich ihrer auf[‘]s neue anzunehmen, und ich billige auch Deine Meinung, daß sie Dein volles Vertrauen erst wieder verdienen und erwerben muß. Daß Du der Freundin einen so wertvollen Dienst leisten kannst, erfüllt auch mich mit Freude, und ich wünsche Dir, daß Du Erfolg damit hast und eigenen Gewinn.

Die Eltern sind schon zu Bett. Vater hat mir aufgetragen, Dir einen Extragruß auszurichten. Am Sonntag oder Montag wir die verbindliche Zusage des Besuches abgehen. Bitte grüße auch Deine lieben Eltern recht herzlich. Wie geht es Deinem Vater? Haben die Bäder den erwünschten Erfolg? Nun wollen wir hoffen, daß auch dies sich wiederholen möge: Vor einer Woche ward Frieden im Osten.
Du! Liebste! Beim nächsten Wiedersehen werden wir zwar unter starker elterlicher Bewachung stehen, aber einen Spaziergang und eine süße Stunde werden wir schon zu ergattern wissen! Du!
Bis dahin behüt Dich Gott!
Du bist mein, ich bin Dein. Ich küsse Dich! Ich liebe Dich! Herzliebes! Du meine liebe [Hilde]!
Dein [Roland].