

Liebste, ich kann nicht mehr lassen von Dir! Wie meinem Schatten muß ich Dir folgen. Du bist ein Stück von mir. In Deinen Augen sehe ich mein Bild, ich gönne es niemand anderem. Jede Stunde entrückt uns mehr den seligen Stunden, aber jede Stunde, Liebste, führt uns, will’s Gott, näher dem Ziel uns[e]rer Hoffnung und Sehnsucht. Die seligen Stunden sind wohl entschwunden, aber nicht verloren, und über die Wehmut siegt die glückliche Empfindung, das wir uns ganz nahe gekommen sind, Liebste, daß wir höchstes Vertrauen tauschten und damit uns[e]re Verbundenheit für immer bekräftigten und besiegelten. Was könnte uns entzweien? So vieles, was uns nun verbindet und aneinanderfesselt! Glücklich und froh macht es mich. Viele gemeinsame Erlebnisse und Geheimnisse, Gedanken, Pläne, Sorgen und Hoffnungen, uns[e]re Elternhäuser, Verwandte und Bekannte. War ich erst froh unseres ängstlich gehüteten Geheimnisses, so bin ich es jetzt der vielen Zeugen uns[e]res Bundes. [Hilde], Liebste, Du bist mein! Die herzlichen Empfindungen für Dich sind kein Rausch, der vergeht. Sie entspringen vielmehr der Freude auf gemeinsames Schaffen und Schauen. Unser Beisammensein hat uns ein Stück vorwärts gebracht auf dem Weg, dunkle Geister zu bannen. Wir wissen nun besser umeinander. Uns[e]re Sehnsucht und Freude wird damit nur bestimmter und tiefer. Ach Liebste, wann werden wir uns wieder recht liebhaben dürfen, Du Süße, Feine!

Ich schreibe diesen Brief in S. fertig. Heute, am Sonnabendmorgen, bin ich hierher gereist. Du wirst es schon gelesen haben: Die Ferien sind in Sachsen um 8 Tage verlängert worden. Wenn ich das eher gewußt hätte, Du! Ich bin nach S. zurückgekehrt, um einmal nach dem Rechten zu sehen, um dringende Geldgeschäfte zu regeln, um schließlich in L. nach Birnen zu fragen. Der Schnellzug war natürlich weg in Chemnitz. Ich mußte den Personenzug nehmen, kam so erst gegen 11 Uhr nach Dresden und entschloß mich, geradewegs heimzufahren. Mutter hatte mich schon Dienstag erwartet. Sie ist nicht gut zu Fuß und kann meine Hilfe gut gebrauchen. Die Ursache des Übels ist noch nicht recht klar. Am Freitag Donnerstag kam Hellmuth aus B. auf Besuch. Gestern abend reiste er wieder ab. Montag oder Dienstag gedenke ich nach K. zurückzukehren, um die angehängten Ferientage da zu verleben. Deinen Brief richte also bitte nach K.. Wie abgeschlossen und ruhig lebten wir auf der Insel uns[e]res Glückes! Nun hat uns das Treiben der Welt wieder umfangen. Spannung, Sorge und Zweifel liest man in jedem Gesicht. Müssen wir nun alle Hoffnung auf den Frieden begraben, so fragst Du mich? Liebste, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Es ist noch ein Fünkchen Hoffnung darauf, daß die Vernunft siegt. Schwindet auch sie, dann müssen wir umso fester glauben und Gott vertrauen und stille halten. Trotz der ungewissen Zeit dürfen wir hoffen, uns bald wiederzusehen. Die Eltern haben den Wunsch, den Besuch Deiner Eltern recht bald zu erwidern. Sie haben im Sinne — Ihr sollt das bitte unter allem Vorbehalt aufnehmen — Euch am 29. oder 31. Oktober zu besuchen. Genauere Angaben folgen baldmöglich. Das wäre an einem Tage, an dem wir uns verabredet haben. Ich möchte natürlich gern mitkommen. Das ist also der nächste Plan.

