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[OBF-390928-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 28. September 1939.

Mein lieber, lieber [Roland]!

Gestern abend hatte ich mit einem Brief für Dich begonnen. Es war mir, als müßte das Erleben der beiden vergangenen Tage mir das Herz erdrücken, als müßte ich meine Erlösung schaffen. Und wie kann ich das anders, als daß ich mich zu Dir flüchte, Liebster, mit allem, was mich bewegt.
[Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]


Diese Zeilen gaben ein Bild von dem, was in der Zeit seit Du fort von mir gingst alle meine Gedanken beanspruchte; von dem, das wie ein Feuer meine ganze Seele zu verbrennen drohte. Diese Zeilen wären nur allein für Dein Auge bestimmt gewesen. Als ich zu Ende war, als ich alles noch einmal las, wie sich Satz an Satz reihte und wie sich vor meinen Augen noch einmal all das spiegelte und auftat, was ein Menschenherz in seiner größten Stunde des Lebens aufwühlt bis in’s Innerste, da kam mir — ganz leise anfangs — die Empfindung: Es ist unrecht, was du [sic] hier zu tun im Begriff bist. Den einzigartigen Zauber der über diesem Erleben schwebt, der ganz euer Eigen ist und bleiben wird, den willst du [sic] in Worte sezieren? Willst ihn — wenn auch ganz unbeabsichtigt — in die Gefahr schicken, daß noch ein andres Auge, als das des Geliebten sich daran ergötzt? Diese Empfindung bestimmte mich mehr und mehr, ich zögerte, die Zeilen abzuschicken. Und mein Liebster, als nun heute so unerwartet Dein Bote mich erfreute, aus dem ich sah, daß uns[e]re Gedanken, wie schon oft, die gleichen Wege gehen, hielt mich nichts mehr davon zurück, die Blätter dem Feuer zu übergeben. Daß ich es niederschrieb, es hat mich erlöst — in meinem Herzen bleibt es bestehen unverwischbar — und Du allein sollst es lesen aus meinen Augen, wie überglücklich ich bin. Wie groß meine Liebe zu Dir ist, kannst Du allein nur ermessen.

Was mich bewog, daß ich Dich am Sonntagmorgen mit ganz bestimmten Worten vor dem Entschluß unsres gemeinsamen Kirchgangs stellte, kann ich mir selbst nicht recht erklären. Eines aber ist mir nun deutlich geworden, in uns war völliges Einssein und das schenkt uns, wohl ganz unbewußt, große Kraft. Du warst Dir bewußt, was Dir auf diesem Gange bevorstand — ich wollte Dich nicht bitten, Du solltest allein entscheiden.

Du hast meine Erwartungen nicht getäuscht — ich weiß Deinen Entschluß zu schätzen und ich danke Dir, Du!

War es nicht wie eine wunderbare Fügung, daß nach dem Tage, an dem eine Wende in uns[e]rer Liebe eintrat, das Schicksal es wollte, Du sollst dem Menschen, bei dem Du Dich in Schuld fühlst, um Verzeihung bittend die Hand fest drücken? Und glaub mir, dieser Mensch hat ein großes Herz, das Dich verstand, ohne, daß Du Worte gebrauchtest.

Der letzte Schatten, der an unserm Wege stand, ist gewichen; dessen dürfen wir beide dankbaren Herzens gewiß sein.

Hätte uns sonst der übrige Teil des Tages so froh und aufgeschlossen gefunden? War nachdem unser heimliches Glück nicht erst ganz vollkommen? ‚Seltsame Stunde der Ausgelassenheit’ nennst Du es so treffend. Niemals zuvor konnten wir so befreit uns geben, wenn das Gespräch auf Dora P. kam. Während uns früher Schuldbewußtsein und Unruhe quälten, ist jetzt in uns ein gutes, großes Mitleid für das Mädchen, das auch liebte, und dem das Schicksal mit harter Hand vorgriff, ehe es verstanden wurde; das dank seines großen Herzens das Glück zweier Menschen, die von Gott füreinander bestimmt scheinen, nicht zerstört. Mit gutem Glauben und mit froher Zuversicht, daß Dir verziehen ist, was Du verschuldet glaubst, wollen wir im festen Vertrauen auf Gottes Güte weiterbauen an unserem Glück.

Nach Stunden frohen Beisammenseins kommt die Trennungsstunde — das ist so selbstverständlich, wie die Nacht den Tag ablöst, nur, daß dann nicht in jede Menschenseele der Friede(n) und die Ruhe einziehen, die der Nacht eigen sind. Ich konnte am Sonntag so lange nicht einschlafen, ich sorgte mich um Dich, Du! Was hast Du noch erledigen müssen, ehe Du die verdiente Ruhe fandest und hast auch noch für eine Stunde Schlaf 1 Mark zahlen müssen, Du Armer! So bald wird das nicht wieder vorkommen. Überhaupt wird sich das Fahrgeld eher lohnen, wenn Du das nächste Mal uns besuchen kommst. Ach Du! Du! Wie ich mich schon freue darauf! Die Mutter will Dir nächstens ernstlich böse werden, wenn sie Dir einen Auftrag gibt und Du bist so widerspenstig! Wenn Du den ganzen Lebensunterhalt mitbringst, so kann man das ja gar keinen Besuch nennen! Wir werden uns gewiß keine Umstände machen wenn Du kommst, Du bist ja nicht verwöhnt — es wird sich schon alles finden, wie es immer war.

Mein lieber, großer Teufel! Am Montag hab ich von Deiner lieben Mutter ein Päckchen bekommen; was drin war, sage ich Dir nicht; es ist nichts für große Teufel! Aber 3 Täfelchen Schokolade waren dabei! Siehste, was doch das Einkratzen ausmacht!! Und ein lieber Brief, ich hab gleich wieder geschrieben. Was wir uns zur Geburtstagsfeier gelobten, es ist nun Wirklichkeit, Deine Mutter nennt mich ‚Du’.

Ich bin so froh, daß mir Deine Eltern so viel Vertrauen schenken und ich frage mich oft: Wie hab ich das nur verdient?

Mir fällt es sehr schwer, ihnen gleich zu tun, ich hab eine so große Scheu davor und doch will ich sie auf keinen Fall beleidigen, oder ihnen weh tun. Beim Schreiben geht es ja noch besser als in Wirklichkeit, das ‚Du’ sagen. Na, heute will ich mir den Kopf nicht weiter zerbrechen, ich gewöhne mich vielleicht schneller daran, als ich denke.

Weißt Du, es ist wirklich schlimm, wie Du mich behandelst. Erst legst Du mir eine große Kette um den Hals, dann an beide Arme Fesseln und nun hast Du tatsächlich noch meine Schlüsseln? mitgenommen, damit ich ja nicht mal abends ausgehen kann. Na, komme Du nur erst zu uns.........! Und nun am Briefende soll ich Dich wieder liebhaben?

Bei Teufeln ist eben alles möglich! Stimmts?

Mein lieber, lieber [Roland]! So Gott will, darf ich Dich am Sonnabend wieder in meine Arme schließen. Du, o Du! Wie ich darauf warte! Der Herrgott behüte Dich, er möge unsere Liebe segnen! Herzallerliebster Du! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich!

Dein Engelchen [Hilde].

Herzliche Grüße von den Eltern!

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.390928-002-01c.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946