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[OBF-390919-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 19. September 1939.

Mein lieber, lieber [Roland]!

Am Sonntag bin ich 1/4 12 [Uhr] glatt in Oberfrohna gelandet. Im Zuge ab Chemnitz war es stockfinster, fast ein bissel gruslig; ich wußte nun überhaupt nicht, mit wem ich das Abteil inne hatte und habe meine Siebensachen nicht aus den Händen gelassen bis Oberfrohna. Da Vater diese Woche Tagesdienst versieht, konnte er mich abholen, er wußte aber nicht, ob ich mit dem Zug oder Omnibus ankomme und so wartete er an der Ecke Kaffee Brumm mit der Zuversicht, daß ich von einer Seite erscheinen müßte.Ich sah wohl einen Mann an der Straße stehen, bin aber prompt in einem Bogen vorbeigestiefelt, denn was kümmern mich fremde Männer, gar noch bei Nacht. Als er dann nach einer Weile heimkam staunte er natürlich und wir haben ihn noch ausgelacht. Ich erzählte den Eltern noch, wie schön es wieder war bei Deinen lieben Eltern. Eine Kostprobe vom guten Geburtstagskuchen wurde abgelegt, das war eine unverhoffte, willkommene Überraschung bei Nacht — dann aber schnell in’s Körbchen! Mein lieber [Roland]! Gestern, eben als ich mich hingesetzt hatte Deinen Brief zu schreiben, klingelte draußen Herr U., daß ich die Führerrede mit anhören soll. Alle aus dem Haus waren bei ihm versammelt, weil er als einziger einen Apparat besitzt. Obwohl mir diese gutgemeinte Aufforderung so ganz gegen meine Pläne ging, konnte ich mich ihr doch nicht entziehen (Du wirst verstehen), aber hinterher hab ich auch garnicht bereut, daß ich die Rede unsres Führers anhörte. Du hast sicher auch zugehört bei Deiner Wirtin. Am Montag um 4 als ich heimkam, habe ich auf eigene Faust mit dem Waschfest begonnen. Es klappte alles ganz famos und die Mutter staunte, daß ich mich so ganz allein rangetraut hatte. Es ist ja garnicht schwer und ich hab mir ja schon unzählige Male den Hergang eines Waschfestes in Gedanken ausgemalt. Weißt, zu Dir gesagt, ich habe den Unterschied zwischen Theorie und Praxis recht gut gespürt — aber ich muß mich doch später auch einmal bewähren können! Montag dauerten die Vorarbeiten bis gegen 8 Uhr. Gestern nach der Rede begann dann die Hauptsache, wir waren ½ 12 nachts fertig mit Waschen. H[eu]te wurde die Wäsche gespült und auf den Boden gehängt, dabei vergingen wieder 2 Stunden; dann müssen Wege besorgt werden, während das Wasser zum Aufwischen heiß wird, essen wir Abendbrot, bei der Wirtschaft in Ordnung bringen greifen alle zu. Zehn Pfund Preißelbeeren haben wir zubereitet, Mutter steht noch am großen Topf und rührt, ein Eimer Pflaumen harrt seiner Bestimmung. Vorhin habe ich mein Haar gewaschen und nun kann ich endlich mal still sitzen, da macht sich aber auch bald die Müdigkeit bemerkbar, die Uhr geht auf 11.

Ja, Liebster Du: Nun wirst Du fragen, warum das alles auf einmal? Am Sonntag, als ich heimkam bestätigten mir die Eltern, daß kommenden [sic] Sonntag schon Kirmes ist, im Kirchenblatt steht es. Und nun mußte ja als erstes die geplante Wäsche für Sonnabend vorverlegt werden. Dann das Reinemachen, Backen und das ganze Drum und Dran einer Kirmes. Das Dümmste ist, daß Mutter bis ½ 6 abends im Geschäft ist und ich ausgerechnet am Sonnabend auch Dienst habe. Na es muß eben auch so gehen, wie heutzutage so vieles gehen muß, wir werden's schon schaffen.

Und nun? Herzallerliebster Du!

Jetzt will ich Dich recht herzlich für Sonnabend, Sonntag, (vielleicht bis Montag?) einladen zur Oberfrohnaer Kirmes. Weil Du ja viel mehr zu mir kommen mußt, lade ich Dich zuerst ein, Du!

Nun lassen Dich die Eltern herzlichst grüßen und laden Dich durch mich ein. Mutter sollst Du nicht böse sein, daß sie nicht selber ein paar Zeilen schreibt, erstens schon als Dank für Deinen lieben Sonntagsbrief, mit dem Du die Eltern so sehr erfreut hast und für welchen sie Dir recht schön danken. (Ich hab ihn natürlich auch schon ausstibitzt und gelesen!) Sie hat aber noch so viel Arbeit bis zum Sonnabend, daß sie sich keine ½ Stunde Zeit gönnen möchte. Sie will ja alles wieder in Ordnung haben bis Du kommst — ja Du — sie freuen sich beide sehr auf Deinen Besuch.

Ich freue mich am meisten, Du! Welch herrliche Zeit — jede Woche dürfen wir beisammen sein — wenn es gut geht, dreimal hintereinander! Am nächsten Sonntag ist doch Reichserntedankfest, diesen Sonntag und den Sonnabend dazu behalte ich mir vor für meine Reise nach Schmilka — meine Gedanken gehen noch weiter — dann ist 1. Oktober, Beginn der Herbstferien, vielleicht können wir da gar zusammen zurückfahren nach Oberfrohna? Es wird sich weisen.

Ach mein Liebster! Ich bin so glücklich und froh, seit ich bei Dir und bei den Deinen war. Kurz waren die Stunden, doch sie haben alles Warten und Sehnen vorher belohnt.

Daß mir Deine Eltern, Elfriede und sogar die Verwandten ihr Vertrauen schenken macht mich froh und alles, alles was uns der vergangene Sonntag schenkte, daß wir so gerne an ihn zurückdenken und daß er so lange in uns nachklingt.

Es bewegt noch manches meinen Sinn, doch ich bin heute wahrhaftig nicht imstande noch sehr lange zu schreiben.

Ich kann mir ein Leben ohne Dich nicht denken.

Ich bin so dankbar, daß wir uns fanden, Du mein lieber [Roland], daß es so sich fügte.

Und wir wollen unsern Herrgott immer auf’s Neue bitten um seinen Schutz und Segen für unseren Bund.

Werden diese Zeilen morgen noch in Deinen Händen sein? Wirst Du mir noch einmal kurz die Zeit angeben können, zu der Du in Oberfrohna ankommst, damit ich Dich abholen kann?

Bleib recht gesund! Reise glücklich! Behüte Dich Gott! Ich freue mich auf Dich!

Ich küsse Dich! Du mein lieber, lieber [Roland]! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

N.B.: Ich erzählte Mutter vom günstigen Eierhandel in Böhmen, sie bittet Dich, wenn es irgend möglich ist, für sie zu kaufen gleich wie viele und wenn es 30 Stück wären!

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946