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[OBF-390806-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 6. August 1939.
Am Donnerstag [3. August 1939].

Mein lieber, lieber [Roland]!

So leer ist es jetzt bei uns in den Räumen.

Als ich ¼ 6 [Uhr] heimkam suchte mein Blick nach einer Spur von Dir. Du bist nun wieder fort, das ist so natürlich und klar — es ist wie bei Vielem auf der Welt, und auch in der Natur: Alles währt nur eine bestimmte Zeit, dann tritt die Veränderung, oder das Ende an seinen Platz. Und ebenso unwiderruflich mußte ja auch einmal Dein Abschiedstag vor uns stehen.

Ich bin nun wieder allein. Das muß ich einige Male leise vor mich hinsagen, ich muß mich daran gewöhnen. So töricht war ich heute, ging durch die Stuben, als suchte ich etwas und könnte es nicht finden.

Nun liege ich in meinem Kämmerchen, in meinem Bett — so allein. Es ist doch schon um 7 geworden mit meiner Schlafenszeit, Mutter hat mich garnicht sehr angespannt und mich dann Schlafen geschickt. Sie wollte frische Bettwäsche überziehen, doch ich hab's nicht zugelassen. Dir darf ich es sagen.

Ich will in Deinem Bett schlafen, so wie Du es verlassen hast. Du!!

Soll denn eine resolute Hand auch den letzten Zauber hinwegwischen, der jetzt noch über allem liegt?

Soll denn auch die letzte Erinnerung an unser Glück dem Reinemachteufel anheim fallen?

Die Erinnerung an Dein Hiersein soll und wird am stärksten immer nur hier in meinem Kämmerchen wach werden.

Mein Liebster! Du!

Was in unseren Herzen brennt, kann man es niederschreiben? Es in Worte fassen? Scheint das alles nicht leer und nichtig, der glückhaften Wirklichkeit gegenüber?

Möge Gott Dich beschützen, Du, mein Alles!

Möge er unsere Liebe segnen.

Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

 

Am Sonntag.

Mein lieber, lieber [Roland]!

Nun sind drei Tage vergangen ohne Dich. Es ist so, um vieles einsamer ward es bei uns, seit Du fort bist. Wenn ich mittags heimkomme, höre ich nicht die vertrauten Schritte die Treppe herabeilen, keine liebe Hand öffnet mir und heißt mich willkommen. Selber schließe ich auf, gehe allein hinauf und dann — am Tisch sehe ich wieder den leeren Sofaplatz. Die Eltern hatten sich auch so an Dein Hiersein gewöhnt und manchmal meinen sie: Es ist gerade, als fehle etwas. Mutter sagte einmal bei Tische: „Es wäre schön, wenn wir noch einen Jungen hätten!“ Wie rasch und voller Freude und Lust bin ich morgens aufgestanden, als Du hier warst, dabei schlief ich nur wenige Stunden. Die Freude auf unser Zusammensein nach Arbeitsschluß beflügelte alles Tun.

Jetzt, sobald ich früh die Augen öffne und den langen Tag bedenke, muß ich einmal recht tief Luft holen; dann wende ich den Kopf nach links und sehe mitten in Deine Augen hinein und ist es gerade, als wollten sie sagen: Tapfer sein Mädel, halt’s aus, wenige Tage sind’s noch bis zum 13., dann ist ja Reisetag!

Ach Liebster, mit dieser Vorfreude in mir, wird mir auch die sauerste Arbeit nicht zur Last.

Der Freitag schon, mehr aber der Sonnabend, fand mich bei der Erfüllung der aufgetragenen Hausfrauenpflichten. Zusammen mit Vater habe ich’s gut geschafft.

Als ich gestern gegen Abend von Besorgungen aus der Stadt heimkam, dann so weit fertig war, um mich Dir ein wenig widmen zu können, bekam ich Besuch. Luise kam mich einladen zu einem Spaziergang, und weil auch Vater mir zuredete, so ging ich mit. Wir liefen auf Umwegen nach dem Stadtpark, bummelten einmal durch, kauften uns etwas zum Knappern und waren um 10 wieder daheim. Es war eigentlich wenig Betrieb im Park, ich sah keine Bekannten, alles fremde Gesichter. Auf dem Heimweg trafen wir Dora P. mit ihrer Mutter, wir grüßten uns nur. Am späten Nachmittag sah der Himmel recht bedrohlich aus, wir waren ein wenig in Sorge um Mutter Lene. Abends bot der Himmel einen schaurig schönen Anblick; es wetterleuchtete ganz heftig und die dunkeln Wolkenberge wurden für Sekunden in das grelle, zuckende Rot getaucht. Schwül und still war es, richtig unheimlich, dann aber gegen 11, gleich nachdem Mutter heimkam, erhob sich der Sturm und heute haben wir seit früh Regenwetter. Es scheint überhaupt, seit Du fort bist, als sei der Sonnenschein mit Dir gegangen, das Wetter hat einen anderen Einschlag genommen.

Mutter erzählt ganz begeistert von ihrer Ausfahrt, sie bekam ein schönes Fleckchen Erde zu sehen. Durchs Erzgebirge und durchs Vogtland ging's, nach Bad Elster; dann zurück nach Waldenburg. Der Kameradschaftsabend wurde in Grünfeld abgehalten. Von Bad Elster brachte sie mir ein schönes Geschenk mit, ich muß Dir's zeigen.

Mein lieber [Roland]! Wenn ich bedenke, 14 Tage Deiner Ferien sind nun schon vorbei. Und Du hättest Dir eigentlich können Deine Tage angenehmer gestalten.

Ein wenig Einblick in Deinen Beruf konnte ich schon gewinnen, so viel auch um zu sagen: Es ist die Ferienzeit nicht nur Erholung, sondern auch eine wichtige Zeit für den Lehrer. Er muß neben der Erholung des Körpers und des Geistes, neben der völligen Entspannung der Nerven auch Gelegenheit haben, schon wieder neue Eindrücke zu sammeln, neue Möglichkeiten und Aufgaben sehen und finden für seinen Beruf, für die Arbeit in der zweiten Hälfte des Jahres.

Es könnte sein, daß einer sagt: In den Ferien lebe ich nur meiner selbst und mag nichts vom Beruf hören.

Aber wessen guter Verstand sagt nicht: Auch im Urlaub sich nicht völlig der Berufswelt verschließen, ein wenig Vorarbeit leisten?

Vorausgesetzt natürlich, daß alles in Maßen geschieht. Ein mancher Gedanke, ein mancher Plan und Vorsatz in der geruhsamen Ferienzeit geboren, hat Erfolg und Vorteil gebracht später im Berufsleben.

Sieh, all diese Gedanken wecken in mir den leisen Vorwurf, daß Du hättest die Zeit nützlicher können verwerten, die Du bei mir hast einsam zubringen müssen. Du brachtest mir ein Opfer und ich habe dieses Opfer angenommen, eigennützig nur darauf bedacht, daß Du mir gehörst. Was kann ich Dir weiter geben, als meine Liebe?

Aber ich weiß und ich fühle, daß sie Dich glücklich macht, Du!

Hätte ich hart sein können gegen mich selbst und gegen mein Gefühl, so hätte ich sagen müssen: 14 Tage müssen reichen, die wir gemeinsam verbringen dürfen. Die übrige Zeit hättest Du Dir ganz nach Deinem Wunsch und Willen einteilen können. Hättest die Zeit ausfüllen mögen so, indem Du ein paar Tage mit Deinem Bruder und ein paar Tage mit Deinem väterlichen Freund gereist wärst.

Bei allen diesen Betrachtungen steht nun wieder der Gedanke auf: War es denn nicht Dein eigener Wunsch, es diesmal so einzurichten?

Deine Wünsche und Hoffnungen haben nun durch all diese Jahre hindurch endlich den Weg finden können, der nicht nur in’s Geistvolle mündet. Andere Gedanken nehmen Raum ein in Dir — überflügeln vielleicht manchmal sogar das Streben nach der Vollkommenheit Deines Wissens.

Ist es nicht gut so, wie es kam, Liebster?

Wie arm sind die Menschen, die ohne Liebe leben.

Und je mehr ich bedenke, je mehr ich mich mühe, eine klare Betrachtung der Dinge zu erhalten, so komme ich zur Einsicht, daß es bei meinen Verhältnissen, — solange ich noch in[']s Joch der Arbeit gespannt bin — garnicht anders möglich war, als so zu handeln, wie wir taten.

Und wir wissen ja beide, wie kurz die zwei Tage sind, die wir alle paar Wochen beieinander sind, um uns immer mehr kennenzulernen und zu prüfen.

Heute nun, als Du den Eltern so lieb schriebst, konnte [ich] ersehen, daß Dir's gefallen hat, trotz der Hindernisse und daß Du Dich wohlfühltest.

Das macht mich sehr froh, Du!

Du hast uns nun auch im Alltag kennengelernt, und Du wirst nun auch meine Sehnsucht begreifen können, diesen Alltag zu fliehen, um an einem freieren, gehaltvolleren Leben zu bauen.

Ich wünsche nur von ganzem Herzen, Liebster, daß Du in den Tagen, die Du zusammen mit Herrn Kaiser verbringst, reiche Entschädigung findest für das, was Du bei uns entbehren mußtest. Ich freue mich mit Dir, daß Du solchen Freund hast. Du kannst also schon jetzt, noch in der Freiheit, spüren, wie sich leise, ganz leise Fesseln auflegen, kannst spüren, wie sich alles ein wenig ändern muß.

Aber das soll Dich nicht bange werden lassen vor der Zukunft, Liebster! Ich will Dir nirgends hinderlich, oder gar eine Fessel sein. Du sollst Deine Gewohnheit beibehalten ohne Zwang. Ich kann mir überhaupt nicht denken, daß wir in Kameradschaft und in gutem Verstehen etwas nicht schaffen werden.

Ich freue mich darauf, wenn ich einmal immer um Dich sein darf und immer mehr in Deine Welt hineinwachsen kann. Ich habe keine Angst mehr, daß wir uns nicht verstehen könnten.

Ich liebe Dich und mit Dir Deine Welt und wenn ich ganz bei Dir bin — nicht wie jetzt, noch mein Sein teilen muß — dann will ich nur noch Dir leben und Deiner Welt. Ich will Dir nicht nur die liebende Frau sein, auch die verständnisvolle Kameradin. Und an Deiner Hand Liebster, wovor sollte mir da bangen?

Mein lieber [Roland]! Du wirst erwarten, daß ich mich ausspreche über die Stunden, in denen wir uns so lieb hatten. Bitte verstehe mich recht! Ich vermag es nicht, es ist als hielt mich eine große Scheu davon ab. Wenn ich davon etwas zu Papier bringen will, dann mein ich, in dem Augenblick gebe ich ein tiefes Geheimnis preis.

Liebster! Wenn ich mich an unseren guten Vorsätzen verging, wenn ich Dich verlockte, in Versuchung brachte, bitte, verzeihe mir, Du! Es wird mir oft so sehr schwer.

Ich kann nicht traurig sein darum, ich weiß nicht wie mir zumute ist. Bist Du traurig, Liebster?

Die Eltern haben mit keinem Worte etwas erwähnt, Du sollst Dir keine Vorwürfe machen — auch um meinetwillen nicht, Du!

Und nun, mein lieber [Roland]? Für den kommenden Sonntag ist alles klar. Von Dir werde ich bald etwas hören. Für Deine Reisetage mit Herrn K. wünsche ich Dir recht gutes Wetter, frohen Mut und Gesundheit! Macht mir keine Dummheiten, damit ich Dich am Sonntag wohlbehalten in meine Arme schließen darf!

Wir wollen Gott bitten, daß er unsere Liebe segnen möge, daß er alle unsre Wege segnen möge, die uns nun an unseren Ferientagen bevorstehen.

Nun auf frohes, gesundes Wiedersehen in acht Tagen! Reise glücklich mein Liebster! Denk auch einmal meiner! Behüt Dich Gott! Ich küsse Dich, Du! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

Bitte grüße Deine lieben Eltern von uns allen, gleichzeitig senden Dir meine Eltern herzliche Grüße und alle guten Wünsche für die Reise.

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Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946