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[OBF-390721-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 21. Juli 1939.

Meine liebe, liebe [Hilde]!

Mit Deinem Brief und Deiner Überraschung hast Du mir eine recht große Freude bereitet. Nun kommt mir erst die rechte Ferienfreude. Ferien mit Dir, Liebste, die Hälfte aller Tage, so Gott will, werde ich mit Dir verleben! Ich bin Dir so dankbar für die Überraschung, für Dein liebes Geschenk, Du! Bis heute war ich noch unentschlossen, ohne rechten Plan.

Vorgestern schrieb Oberlehrer K.. Er schildert in humorvoller Weise seine Heilgymnastik und lädt mich ein, mit ihm einige Tage durch Böhmen zu wandern, Anfang oder Ende August. Gestern schrieben Elfriede und Hellmuth, daß sie sich zu einer Ostseereise entschlossen haben. Heute Freitag sind sie abgedampft. „Auf Wiedersehen an der Ostsee“, so grüßen sie gar verlockend. Gestern habe ich schon gerechnet und überschlagen. Aber die Rechnung wollte nicht aufgehen, weil ich Dich noch nicht einsetzen konnte, mein kleines, liebes Anhängsel. In Gesellschaft der beiden mit Dir am Ostseestrand, dieser Plan gefiel mir wohl am besten. Nun muß der Nebel all dieser Pläne der Klarheit der Entschlüsse weichen. Daß Dein Urlaub am Ende liegt, ist eine Tatsache, an der ist nicht zu rütteln, mit der müssen wir rechnen und es ist mir nun beinahe lieb, als damit der kostspielige Traum von der Ostseereise endgültig verworfen ist. So wird es denn voraussichtlich so: Am Donnerstag komme ich wie verabredet zu Euch, zu Dir, auf Besuch, einen Tag zur Probe, und wenn es mir gefällt und Ihr mich nicht hinaussteckt, gebe ich einen Tag zu. Für die 3. Ferienwoche (6.-12. August) werde ich mich bei Oberlehrer K. anmelden. Die 4. und 5. Woche, Liebste! 14 lange Tage und Nächte, Du!, gehören dann uns beiden! Eine Woche, ich denke die letzte, wirst Du bei uns sein in Kamenz. Und die 4. Woche, Liebste, was beginnen wir mit der? Eigentlich ist das ja so gleich: Du wirst bei mir sein! Hier mußt Du mir mit Deinem Rat hilfreich beispringen. Nr. 1 bitte ich Dich recht gründlich zu erwägen, womöglich unauffällig die Meinung Deiner Eltern zu erkunden: Werden sie damit rechnen, daß ich, zur Revanche sozusagen, diese Woche bei Euch verlebe, daß Du in dieser Woche vielleicht Deine Mutter im Haushalt vertrittst und entlastest? Ich könnte mir das so denken, und würde m[ich] verpflichtet fühlen, darauf Rücksicht zu nehmen, und wir br[ä]uchten deshalb nicht zu kurz zu kommen. Nr. 2: Wir könnten uns eine hübsche Reise ausdenken, vielleicht eine Radwanderung von Euch aus, oder auch ganz anders.

Ach Liebste, ist es nicht herrlich, soviel Möglichkeiten vor Augen, weil Du nun den langen Urlaub hast, wie beglückend der Gedanke, daß ich so lange mit Dir sein soll! Und nun freue ich mich auch heimlich aufs Plänemachen, Du! Dürfen wir es nicht, doch, doch, leise und heimlich. Gebe Gott, daß uns meist alles nach Wunsch geht! Denkst Du daran? Genau vor Jahresfrist mußte ich umkehren und Dich mit einer Enttäuschung betrüben. Gestern habe ich diese Tage noch einmal an mir vorüberziehen lassen. Ein wenig Schuld an dem Mißgeschick waren auch die von Erwartung überreizten Nerven.

Vor dem vergangenen Sonntag war mir ein wenig bange. Er sah von weitem so leer aus. Er begann mit einem heißen, prächtigen Sommervormittag. Wir hatten eine unwahrscheinlich gute Sicht, die auf Wetterumschlag hindeutet. 2 Stunden habe ich wohl zur Morgentoilette gebraucht, dann bin ich mit dem Photoapparat los gezogen. Es war so richtiges Photowetter. Die besten Stücke der Beute lege ich bei, alles Aufnahmen von der Hochbuschseite, dazu noch drei von unserem Ausflug zum Vorderen Rauschloß und den Affensteinen. Für den Nachmittag hatte ich mich also nach Hertigswalde versprochen. Froh und bereichert kehrte ich zurück, war gegen 8 Uhr zu Hause, bevor das Abendgewitter begann. Selma verw. H. geb. S., eine richtige Tante, ihre Mutter Ernestine S. geb. [Nordhoff] war die einzige Schwester meines Großvaters. Mein Großvater wirkte etwa 10 Jahre als Lehrer und Kantor in Sebnitz, beim großen Stadtbrande 18... brannte er mit ab. Er fand dann Unterschlupf im Pfarrhaus. Bis zu seiner Verheiratung mit der Pfarrerstochter U. führte ihm seine Schwester Ernestine die Wirtschaft. Frau H. hat den Großvater gut gekannt, sieht ihm selbst ziemlich ähnlich. Sie hält alle Hände auf die [Nordhoff]sche Verwandtschaft, kennt alle und interessiert sich für uns. Sie zeigte sich sehr erfreut darüber, daß sie mich nun in ihre Bekanntschaften einweihen konnte. Sie hatte geglaubt, ich sei zu stolz, sie aufzusuchen. Frau H. hat über 35 Jahre den Handarbeitsunterricht in Hertigswalde erteilt und bezieht davon noch eine Pension. Ihre Tochter sieht einer anderen Verwandten sehr ähnlich. Wenn Du wieder einmal bei mir bist, suchen wir ‚die neue Tante’ einmal auf.

Da fällt mir eben ein: Während meines Besuchs in Oberfrohna richten wir es ein, daß wir Deine Großeltern einmal mit aufsuchen.

Am Mittwoch sind wir nach Hohnstein zum Kasper gewandert. Mittags um 12 zogen wir los. Der Weg dahin ist wenig schattig, ich war kleckenaß. Abends ½ 9 langten wir zu Hause an. Die ganze Nacht hat es gedonnert, nicht böse, aber vernehmlich, der von Dir erwähnte Windstoß war bei uns gegen Mitternacht, die Fenster krachten, meine Tür sprang auf, ich war nicht gleich eingeschlafen und erwachte aus dem ersten Träumen. Am Donnerstag waren alle darob [sic] recht verschlafen, die Kinder zum Glück mehr als der Lehrer.

Heute und morgen Sonntag bin ich schon wieder eingespannt, Begrüßungsabend und Kirchendienst. Montagmittag sollen sich die Pforten uns[e]res Unternehmens schließen. Noch am Abend hoffe ich zu Hause einzutreffen. Bis zum Donnerstag will ich mich ein wenig instandsetzen [sic] und dann — ich will am Vormittag reisen, es einmal mit dem Zug versuchen, den Du letzthin benutzt und der nach dem Fahrplan 1135 [Uhr] in Oberfrohna eintrifft. Die beiliegenden Zeilen händige bitte Deinen Eltern aus. Daß Du meinen Eltern einen Brief zukommen ließest, freut mich recht sehr, auch darum, weil sie Dich dabei mit einer starken Seite kennen lernen. Das darf ich doch sagen? Du!

Ach Liebste, nun steht uns, will's Gott, wieder so viel bevor! Und wir dürfen hoffen, daß wir darauf zurückblickend es empfinden: es waren schöne, unverlierbare Tage, sie haben unsre Herzen noch enger verbunden.

Ich erwarte bis Mittwoch noch ein paar Zeilen nach Kamenz.

Und nun, liebe [Hilde]? Daß Du Dich sehnst und mich liebst, macht mich glücklich. Gott behüte Dich!

Nun darf ich bald zu Dir kommen, Dir zeigen, daß ich Dich liebe. Ich sehne mich nach Dir, ich küsse Dich, ich liebe Dich!

Dein [Roland].

Die Zeilen an Deine lieben Eltern sind nicht ganz fertig geworden. Sie folgen bald nach. Bitte bestelle Deinen Eltern herzliche Grüße.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946