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Briefkorpus

Lichtenhain am 3. Juli 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Heute morgen habe ich Dich zwar erst ziehen lassen; trotzdem zähle ich diesen Montag schon als ersten verstrichenen Tag zum nächsten Wiedersehen. Ach liebe [Hilde], unsre Begegnungen werden immer kürzer.

Die erste Erregung hat kaum ausgeschwungen, müssen wir schon wieder an den Abschied denken. Ich bin eben zurück von meinem Rundgang um den Pfarrberg. Ein wenig rechts vom Lichtenhain, aber weit, ach so weit, weiß ich Dich, Liebste. Wirst gut heimgekommen sein? Wirst nun schon Dein Köpfchen in die Kissen drücken. Ich komme gleich nach. Ich bin sehr müde. Bis um 12 Uhr waren wir auf dem Felde. Im Nachmittagsunterricht mußte ich Gewalt anwenden, die Augendeckel obenzuhalten [sic]. Dann habe ich geschlafen. Als ich mich auf dem Sofa langstreckte, habe ich geschnuppert, irgendwoher kam der Duft Deines Parfüms, ich habe die Kissen untersucht, an meinen Kleidern gerochen — das Duftwunder blieb ungeklärt, bis ich vorhin das Schubfach öffnete, um das Schreibzeug zu holen. Du hast mich erfreut mit dieser Überraschung. Und nun denke ich an meine Überraschung, nicht, weil ich mich damit großtun möchte, oder Dich in Dankesschuld bringen will, nein, Liebste, weil ich mich so freue, daß ich Dich beschenken durfte, weil ich glücklich bin, ein Unterpfand meiner Liebe mehr in Deinen Händen zu wissen. Es war ja doch eine besondere Begegnung, Du! Behüt Dich Gott, liebe [Hilde]! Möchte er uns[e]re Liebe segnen! Ich liebe Dich!

Dein [Roland].

Am Donnerstag.

Meine liebe [Hilde]!

Eben bin ich vom Mittagsschläfchen aufgestanden. Ich war so müde nach dem Unterricht, es ist so schwül heute. Du wirst nicht weniger müde sein und mußt doch gleich nach dem Mittag wieder unter das harte Joch. Ich bin ein wenig unglücklich darüber, daß ich Dir nicht helfen kann davon loszukommen. Wenn es nach meinem Willen geht, Liebste, dann ist für Dich dem Datum nach jeder Tag der letzte in dieser harten Arbeit.

Gestern habe ich die Bilder geholt in Sebnitz. Nun ist meine Sehnsucht nach Dir wieder so groß!

Die Bilder vom Pfingstausflug erfüllen nicht ganz meine Erwartungen. Ich weiß die Fehler. Es mußte zu schnell gehen. Unter den Bildern vom Sonntag ein lehrreiches Beispiel dafür: Wenn zwei dasselbe tun so ist es nicht dasselbe. Interessant, wie durch die geringe Senkung der Kamera auch die Lichtwerte sofort geändert werden. Was aber da hinten so waghalsig herumturnt, das große, schlanke, das ist mein Schatz, mein Glück, o Du, o Du! Ach Liebste, ich messe immerzu die Spanne Zeit bis zu unserem Wiedersehen. Am Sonntag will ich nun nach Hause. Willst Du nicht mitkommen, Liebste? Du!

Du sollst nicht soviel herumreiten; aber Du hast ja dann so lange Pause. Hast Du Lust? Wird nichts im Wege stehen? Ich schicke den Brief schon heute ab.

Wenn Du darfst, und wenn Du Dich wohlfühlst, und wenn es Dich freut, dann komme! Ich warte auf Dich in Dresden 1615 [Uhr] . Wenn Du nicht kommst, bin ich gar nicht böse. Wir werden diesmal wohl der einzige Besuch sein. Behüt Dich Gott! Grüße bitte Deine lieben Eltern! Ich halte Dich ganz fest, Liebste, ich küsse Dich, Du! Ich liebe Dich!

Dein [Roland].

Diesen Brief möchte ich heute fertigschreibe, denn morgen nachmittag soll noch einmal Lehm geschaufelt werden. Am Sonntagnachmittag werde ich zum Gegenbesuch in Hertigswalde weilen. Dann geht es an die letzte volle Schulwoche. Voll wird sie gar nicht sein, am Mittwoch soll nach Hohnstein zu den Puppenspielern gewandert werden. In dieser Woche hat der Fremdenverkehr in unserem Orte einen Höhepunkt erreicht. Es wimmelt von Fremden. Frau H. hat wenigstens 5 Personen abweisen müssen, die auf gut Glück hierhergefahren waren und nun Unterkunft suchten. Opa und Micke schlafen jetzt auf dem Boden auf einer Bucht Stroh. Morgen reist die stille Frau ab mit ihrem Jungen. Ohne viel Worte hält sie den Jungen streng, es gefällt mir. Mit Micke habe ich täglich meinen Händel, bald um den neuen, roten Ball, bald um den Liegestuhl; abends ziehen wir den die Bilanz aus dem Tage und einigen uns darüber, wer den Streit angefangen hat. Nun ich den Boten fertigmache und den Sonntag vor mir sehe, überkommt mich wieder die Sehnsucht nach Dir, ich mag nicht mehr feiern ohne Dich. Am Dienstag schrieb Oberlehrer K.. Er ist in der Stube unglücklich gefallen und hat den rechten Arm zweimal gebrochen. 12 Wochen braucht es zur Heilung. Vor Ende August kann er an Verreisen nicht denken.

Meine liebe [Hilde]!

Heute gelangte (mein) Dein Brief in meine Hände. Ich danke Dir recht sehr. Ich kann ihn jetzt nicht ganz beantworten, aber auf eines muß ich doch noch eingehen, das ich vielleicht sonst vergessen hätte. (Ich vertraue darauf, daß Du die Erkältung bekämpfst, und Dich gut hältst.)

Wie mir am Sonntag zumute war, das kann ich mir selbst nicht ganz erklären: Energien, die sich entladen wollten wie das Gewitter draußen. Aber eines ist mir deutlich: Große Freude empfand ich darüber, daß Du kamst, und recht froh war ich Deines Besitzes, Liebste! Und so magst Du auch entschuldigen, daß ich Dich mit dummen Fragen so bedrängte, wie Du es von mir doch sonst nicht gewöhnt bist. Was an meinem Benehmen aufdringlich war, das reut mich, und ich bitte Dich, es zu vergessen und mir zu verzeihen. Ich will nichts übereilen, ich will Dich nicht drängen. Wenn ich schon im letzten Briefe auf das Ende Deiner harten Arbeit anspielte und es am Sonntag wiedertat [sic], dann aus dem Wunsch, Dich davon erlöst zu sehen. Es bedrückt mich schon lange, daß ich es aus meiner Kraft ni[cht] vermag. Was aber die Frage nach Deinen Ersparnissen betrifft, liebe [Hilde], so bin ich weit davon, Dich einer Lüge zu verdächtigen. Daß ich sie wiederholt stellte, es war mir der Anmut einer kleinen Enttäuschung. Ach Liebste, daß diese Fragen in dieser Weise überhaupt angeschnitten wurden, ich wollte es nicht. Ich wollte Dich bis zur letzten Minute doch nur recht lieb haben, aber wir waren nicht mehr allein. Vielleicht ist es doch auch gut gewesen; denn diese Fragen, so wichtig sie sind, sind doch auch leidige Fragen, die mir in ruhigen Stunden nicht so leicht über die Lippen kommen. Nun ist der Bann gebrochen. Wir wollen bei Gelege[n]heit in einer ruhigen Stunde wieder daraufkommen [sic], und erst einmal beide uns einig werden und einen Plan entwerfen, den wir dann den Eltern unterbreiten. Ich bitte Dich, bis dahin bedeutsame Schritte nicht zu unternehmen. Und eine, liebe [Hilde]: Auch die leidigste Frage soll nicht das geringste Mißverständnis aufkommen lassen, und was da zu besprechen sein wird, daß das ist schon ein Stück gemeinsamen Schaffens, das uns froh und glücklich Seite an Seite finden soll, das uns in keiner Weise verdrießen soll.

Ich weiß mich daran mit Dir auch ganz einig.

Ich bin glücklich darüber, daß wir so verwandt empfinden.

Behüte Dich Gott! Ich küsse Dich! Ich möchte Dich recht liebhaben, Du! meine liebe [Hilde]! Ich liebe Dich!

Dein [Roland].

Bitte grüße Deine Eltern. Und für morgen glückliche Reise!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946