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Briefkorpus

Oberfrohna, am 5. Juli 1939.

Mein lieber [Roland]!

Wirst Du wohl heute das kleine nackte Elfenkind in Empfang genommen haben? Diese paar Worte an Dich, das war am Montag ziemlich meine ganze Arbeit zu Hause. Um sieben bin ich ins Bett. Ach Du! Ich war zum Umfallen müde und matt. Damit ist aber nicht gesagt, daß ich nun verdrießlich gewesen wäre — o nein — bei der Erinnerung an Dich und an die gemeinsam verlebten Stunden durchströmte mich ein so inniges Glücksgefühl. Weißt Du, womit ich es vergleichen könnte?: Ein Kranker hat die Krisis überwunden und geht nun mit einem wohligen Mattigkeitsgefühl seiner Genesung entgegen. Ich war vom langen Warten, vor Sehnsucht nach Dir krank — endlich kam der Tag an dem ich bei Dir sein konnte, an dem wir uns recht liebhaben durften. Wie glühend sehnte ich die Stunde herbei in den Tagen vorher — und dann, als wir uns gegenüber standen empfanden wir beide: Wir waren vom Warten schon so müde geworden und sahen es sich vielleicht nicht so erfüllen, wie in unseren Träumen vorher.

Aber konnten wir uns denn noch lieber haben?

Wir waren so glücklich und froh miteinander.

Dieses unbeschreiblich süße Gefühl des Sichnaheseins, des Sichfindens, machte uns stumm, ließ uns keine Worte finden. Aber gerade das ist das Große und Wunderbare dieser Stunden, wenn zwei Menschen stumm werden vor Glück — wenn ihre Herzen in Liebe sich finden.

Ach Liebster, Du! Ich schied doch so froh und beruhigt von Dir, wenn auch in der Abschiedsstunde Wehmut und Traurigkeit uns übermannten. Es muß sich ja doch immer wiederholen, Abschied und Wiedersehen. Daß Du mich liebst, macht mich so glücklich, frohgemut und stark. Nun gehören wir einander ganz. Liebster! Ich bin Dein — Du bist mein.

Daß wir uns wie vergangen, so in Sehnsucht nacheina[nd]er verzehren müssen, wird so leicht nicht mehr vorkommen, glaube ich — Du! Wenn nur noch drei Wochen dazwischen liegen! Ich bin so erfreut über diesen, Deinen Vorschlag. Noch zweiundzwanzig Tage bis zum 27. Juli und dieser Tag ist in meinem Kalender schon mit einem dicken, roten Kreuz versehen. In diesen Tagen habe ich erwogen, daß es vielleicht nicht ungünstig wäre, würde ich meinen Chef bestimmen können, daß er mir von dem Tag ab nochmal Urlaub gibt, an dem Du Dich von uns zu Hause wieder verabschieden willst. Es ist ja jetzt der momentan ungünstigen Verhältnisse wegen nicht möglich, schon etwas Bestimmtes ins Auge zu fassen. Gestern erst entschied sich, daß eine Arbeitskameradin einer Unterleibserkrankung halber 3 Wochen Ferien erhalten muß, um bei einem Seeaufenthalte Heilung zu suchen. Im gleichen Falle ist zur Zeit meine Nachbarin beurlaubt, sie schrieb mir heute aus Hoflößnitz, wo sie zur Kur weilt. Am Montag geht (mit einem heimlichen, tiefen Aufatmen meinerseits!) nun endgültig ein 18 jähriges Mädel zum Bauer nach Markersdorf bei Mittweida. Das sind schon 3 Fehlende, bis auf die, die ihren zuständigen Urlaub noch garnicht weghaben. Na, wir wollen die Hoffnung nicht sinken lassen. Zunächst liegt die Freude vor mir, daß Du zu uns kommst. —

Ja und nun möchte ich mich (anstandshalber!!) noch nachträglich entschuldigen für mein undamenhaftes Benehmen am Montag. Wir standen da und warteten auf den Omnibus, Herr H. besorgte sich dann noch etwas zum Rauchen. Unterdessen sah ich mich um nach Dir, im Zimmer vorne unterrichtete ein andrer Herr. Also ging ich am Zaun entlang und — hörte Deine Stimme: „Du sollst nicht begehren!“ So sagtest Du. Sehen konnte ich Dich nicht, das wollte ich so furchtbar gern. Da lagen am Boden so schöne Steine — seltsam — meine Hand zog es richtig hin, ich konnte wirklich nicht anders und dann ist es eben passiert. Ein bissel erschrocken bin ich schon, mir wurde ganz heiß. Aber mein letzter Wunsch ging in Erfüllung: Ich konnte Dich noch einmal sehen. Du! mein Herzallerliebster!

Ich weiß aber nun, daß Du auch ohne meine Dummheiten gekommen wärst, ehe das Auto wegfuhr.

Bis Schandau stiegen immer mehr Leute zu; viele wanderlustige Sommerfrischler. Ach Du! Ich hätte mich vielleicht in eine recht traurige Stimmung verloren, wenn Herr H. mich nicht so anregend unterhalten hätte! Auf dem Bahnhofe trafen wir einen Berufskollegen von ihm. Kannst Dir denken wie der Redefluß in Gang kam, es ging um alles Mögliche, große und kleine Sorgen; hauptsächlich die Steuern hatten es ihnen angetan. Ich mußte eifrig die Interessierte mimen. In Pirna dann noch ein herzlicher Abschied und: „Weg war der Husten!“ Kennst Du ihn auch, seinen Lieblingsausdruck? Na trotz alledem, ich mag ihn sonst gut leiden. —

Ach Liebster, erst zwei Tage sind vergangen, mir scheint es schon länger, daß wir uns küßten.

Der Mittwoch ist Dein liebster Tag, was hast Du wohl heute angefangen? Ob Du wohl mit dem neuen Gast und deren Söhnchen ein Stück gewandert bist? Sie ist so zart und blaß — bemitleidenswert kam sie mir vor. Auch Du fandest sie hilflos. Mir scheint, sie hat schon Schweres durchgemacht im Leben und sie verdient es, daß man lieb zu ihr ist. Wenn es der Zufall will, daß sie sich Dir auf einem Weg anschließen möchte, dann nimm das getrost an und hilf ihr ein wenig den Alltag vergessen, hilf ihr Freude finden, indem Du ihr die Schönheiten der Natur und Eurer herrlichen Landschaft erschließt. Man empfindet und genießt das unter Führung einer kundigen Hand besser als allein und wenn man wie sie, das erste Mal da ist. Ich werde gewiß keine dummen Gedanken dabei haben, Du! Ich kenne Dich.

Am Sonntag daheim wünsche ich Dir recht frohe Stunden und grüße bitte Deine lieben Eltern! Für heute soll es genug sein, mein lieber [Roland]. Gut Nacht! Liebster, Du! Behüt Dich Gott! Ich möchte in Deine lieben Augen sehen, möchte ganz nahe bei Dir sein, Dich küssen Du! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946