[390705–2‑1]
O., am 5. Juli 1939.
Mein lieber [Roland]!
Aber konnten wir uns denn noch lieber haben?
Wir waren so glücklich und froh miteinander.
Dieses unbeschreiblich süße Gefühl des Sichnaheseins, des Sichfindens, machte uns stumm, ließ uns keine Worte finden. Aber gerade das ist das Große und Wunderbare dieser Stunden, wenn zwei Menschen stumm werden vor Glück — wenn ihre Herzen in Liebe sich finden.
Ach Liebster, Du! Ich schied doch so froh und beruhigt von Dir, wenn auch in der Abschiedsstunde Wehmut und Traurigkeit uns übermannten. Es muß sich ja doch immer wiederholen, Abschied und Wiedersehen. Daß Du mich liebst, macht mich so glücklich, frohgemut und stark. Nun gehören wir einander ganz. Liebster! Ich bin Dein — Du bist mein.
Daß wir uns wie vergangen, so in Sehnsucht nacheina[nd]er verzehren müssen, wird so leicht nicht mehr vorkommen, glaube ich — Du! Wenn nur noch drei Wochen dazwischen liegen! Ich bin so erfreut über diesen, Deinen Vorschlag. Noch zweiundzwanzig Tage bis zum 27. Juli und dieser Tag ist in meinem Kalender schon mit einem dicken, roten Kreuz versehen. In diesen Tagen habe ich erwogen, daß es vielleicht nicht ungünstig wäre, würde ich meinen Chef bestimmen können, daß er mir von dem Tag ab nochmal Urlaub gibt, an dem Du Dich von uns zu Hause wieder verabschieden willst. Es ist ja jetzt der momentan ungünstigen Verhältnisse wegen nicht möglich, schon etwas Bestimmtes in[‘]s Auge zu fassen. Gestern erst entschied sich, daß eine Arbeitskameradin einer Unterleibserkrankung halber 3 Wochen Ferien erhalten muß, um bei einem Seeaufenthalte Heilung zu suchen. Im gleichen Falle ist zur Zeit meine Nachbarin beurlaubt, sie schrieb mir heute aus Hoflößnitz, wo sie zur Kur weilt. Am Montag geht (mit einem heimlichen, tiefen Aufatmen meinerseits!) nun endgültig ein 18 jähriges Mädel zum Bauer nach Markersdorf bei Mittweida. Das sind schon 3 Fehlende, bis auf die, die ihren zuständigen Urlaub noch garnicht [sic] weghaben. Na, wir wollen die Hoffnung nicht sinken lassen. Zunächst liegt die Freude vor mir, daß Du zu uns kommst. —
Ja und nun möchte ich mich (anstandshalber!!) noch nachträglich entschuldigen für mein undamenhaftes Benehmen am Montag. Wir standen da und warteten auf den Omnibus, Herr Hoffmann besorgte sich dann noch etwas zum Rauchen. Unterdessen sah ich mich um nach Dir, im Zimmer vorne unterrichtete ein and[e]rer Herr. Also ging ich am Zaun entlang und — hörte Deine Stimme: „Du sollst nicht begehren!“ So sagtest Du. Sehen konnte ich Dich nicht, das wollte ich so furchtbar gern. Da lagen am Boden so schöne Steine — seltsam — meine Hand zog es richtig hin, ich konnte wirklich nicht anders und dann ist es eben passiert. Ein bissel erschrocken bin ich schon, mir wurde ganz heiß. Aber mein letzter Wunsch ging in Erfüllung: Ich konnte Dich noch einmal sehen. Du! mein Herzallerliebster!
Ich weiß aber nun, daß Du auch ohne meine Dummheiten gekommen wärst, ehe das Auto wegfuhr.
![Die Gartenlaube (1872), S. 801, [Public domain], via Wikimedia Commons](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/bc/Die_Gartenlaube_%281872%29_b_801.jpg/256px-Die_Gartenlaube_%281872%29_b_801.jpg)
Ach Liebster, erst zwei Tage sind vergangen, mir scheint es schon länger, daß wir uns küßten.
Der Mittwoch ist Dein liebster Tag, was hast Du wohl heute angefangen? Ob Du wohl mit dem neuen Gast und deren Söhnchen ein Stück gewandert bist? Sie ist so zart und blaß — bemitleidenswert kam sie mir vor. Auch Du fandest sie hilflos. Mir scheint, sie hat schon Schweres durchgemacht im Leben und sie verdient es, daß man lieb zu ihr ist. Wenn es der Zufall will, daß sie sich Dir auf einem Weg anschließen möchte, dann nimm das getrost an und hilf ihr ein wenig den Alltag vergessen, hilf ihr Freude finden, indem Du ihr die Schönheiten der Natur und Eurer herrlichen Landschaft erschließt. Man empfindet und genießt das unter Führung einer kundigen Hand besser als allein und wenn man wie sie, das erste Mal da ist. Ich werde gewiß keine dummen Gedanken dabei haben, Du! Ich kenne Dich.
Am Sonntag daheim wünsche ich Dir recht frohe Stunden und grüße bitte Deine lieben Eltern! Für heute soll es genug sein, mein lieber [Roland]. Gut Nacht! Liebster, Du! Behüt Dich Gott! Ich möchte in Deine lieben Augen sehen, möchte ganz nahe bei Dir sein, Dich küssen Du! Ich liebe Dich!