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Briefkorpus

Lichtenhain am 24. Mai 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Hochbetrieb in der Wilhelmstraße, am Quai d'Orsay und in der Downingstreet (das sind die Zentren der deutschen, französischen und englischen Politik), Hochbetrieb in der Politik, Notenwechsel, Pakte...  [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Heute kam Dein Brief, dem man das eifrige Rüsten zur Reise ansieht, heute erhielt ich auch Antwort von Hause. Die Eltern freuen sich auf Deinen Besuch. „Es bleibt dabei, Pfingsten seid Ihr hier!“ so schreibt Mutter. Du! Das ist ein Befehl. Da ist kein Entrinnen. Ich freue mich.

Nun packe Dein Köfferchen, es geht auf die Reise, Sonnabend!
Hier noch einmal der Fahrplan.

Oberfrohna ab 1333 [Uhr]
Chemnitz an 1406 [Uhr]
Chemnitz ab 1411 [Uhr] (wenn Du den 1405 [Uhr] noch erwischst, ist’s auch kein Fehler)
Dresden an 1615 [Uhr]
Dresden ab 1617 [Uhr]  Bahnsteig 19! Du steigst in Dresden aus, gehst vor, da liegt dieser Bahnsteig links oben!
Arnsdorf an 1705 [Uhr] (Durch die Unterführung, Treppe links hinauf, weit den Bahnsteig entlang, um das Bahnhofsgebäude herumgeschlängelt, immer den Menschen nach, Du hast Zeit, der Zug muß warten, Du darfst auch mal fragen. Wenn Du falsch fährst, lach ich Dich aus, wenn Du richtig fährst .... mal sehen. // Das pfiffige Mädchen möchte ich sehen !!!! Ich fürchte Deine Rache![)]
Arnsdorf ab 1710 [Uhr]
Kamenz an 1748 [Uhr]

Aus meinem Fahrplan ersehe ich, daß die einzige Ermäßigung, das wäre die Sonntagskarte, nicht in Betracht kommt, sie gilt nur bis zum 1. Juni, und wir wollen doch 8 Tage zusammen sein, Du! Du besorgst Dir also eine einfache Fahrkarte nach Kamenz.

Und nun will ich sehen, ob Du richtig fährst. Meistens links halten, Du, das ist die Herzseite. Glücklichen Rutsch! Ich werde am Tage vorher immer Bahne machen. Das Richtfest ist nämlich auf den 3. Feiertag verschoben.

Liebe [Hilde]! Nun sind wir über den mancherlei Ereignissen so rasch an unseren gemeinsamen Urlaub herangekommen. Wir haben ihn schon lange herbeigewünscht. Gott gebe, daß er glücklich und nach unserem Wunsche verläuft. Wir werden nicht so ängstlich nach der Zeit sehen müssen. Wir werden uns doch auch einmal gut ausgeschlafen zu sehen bekommen? Ach, 8 Tage ist ja nicht viel, aber doch mehr als 2 Tage.

Ich muß an unsere Verabredung im vergangenen Jahre denken. Daß sie so rasch zustande kam, dürfen wir heute als ein gutes Zeichen werten. Aber das wird mir heute auch recht deutlich: ein wenig abenteuerlich und gewagt war der Plan doch in Anbetracht uns[e]rer jungen Bekanntschaft. Ich verstehe rückblick[en]d kaum, wie ich es wagen konnte. Diese Zumutung an Deine Eltern! Und wenn ich bedenke, was alles noch dazwischen liegt bis zu unserem Du. Es ist gut so, wie es gekommen ist.

Wenn wir heute daran denken, 8 Tage gemeinsam zu verleben, so ist daran kaum etwas Abenteuerliches. Es verbindet uns größtes Vertrauen. Mißverständnisse, falsche Erwartungen und Hoffnungen sind ausgeschlossen, uns[e]re Freundschaft hat Boden unter den Füßen. Aus dem Zustand des Traumes, des Spielens mit dem Möglichen, ist sie in die Wirklichkeit gerückt. Ich glaube, daß sie damit nichts verloren, sondern gewonnen hat. Ein Schritt weiter auf diesem Wege ist Dein Besuch bei uns zu Hause. Es werden damit wieder mehr Zeugen unsrer Freundschaft. Das muß Dich froh und sicher machen. Ich gewinne damit vertraute Bundesgenossen und Berater und werde nun sicherer in meinen Entschlüssen. Gern denke ich auch daran, daß wir für uns[e]re Begegnungen einen neuen, guten Unterschlupf finden. Wenn Du die rechte bist, dann wirst Du in meiner Mutter eine unverdrossene, gütige und opferwillige Helferin finden. Liebe [Hilde], ich wünsche es von ganzem Herzen. Und wenn ich Dich nun selbst noch herzlich willkommen heiße in meinem Elternhause, so geschieht es frohen Herzens, und dankbar, in gutem Vertrauen. Ich glaube, daß ich ein gutes und tüchtiges Mädchen heimführe, auf das ich stolz sein kann. Du, meine liebe [Hilde]! Voraussichtlich am Dienstag werden wir nach Lichtenhain abreisen.

Ich glaube, Du hast in einer Deiner Taschen meine Sucherlupe zum Photo. Die vergißt nicht mitzubringen.

Sag Deinen Eltern Grüße und Dank und gute Wünsche zum Feste.

Und nun komm, Liebste, zu frohem Wandern, zum Kosen, Küssen und Herzen, Du!

Aus meinem Besuch bei Dir zu Hause konntest Du erkennen, daß ich es ernst meine. Daß Du nun bei uns zu Hause einkehren willst, daß Du nicht kneifst und Dich nicht sträubst, daran erkenne ich froh Deinen Willen, mit mir zu gehen durch Dick und Dünn, darin erblicke ich ein Zeugnis Deiner Kraft und Deines Mutes, Du Liebe. Dem Mutigen hilft Gott.

Gott behüte Dich, meine liebe [Hilde]!

Dankbar halte ich Dein Herz umschlossen, ich habe Dich recht lieb, Du, ich küsse Dich und grüße Dich herzlich

Dein [Roland].

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Der hohe Herr mit dem Ausrufezeichen wird Dir wohl einen derben Klaps eintragen.

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.390524-001-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946