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[OBF-390401-001-01]
Briefkorpus

Kamenz am 31. März 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Was soll ich Dir schreiben? Es drängt mich nicht zu schreiben heute, ich sage es ehrlich. Warum? Ich weiß es nicht. Ich denke oft an dich: Du Daß Du jetzt fleißig sein mußt, dieweil ich ausruhe. Daß ich mit Dir jeden Tag nach der Arbeit 2 Stunden gehen möchte. Ich denke daran, daß ich Dich [e]inige Tage bei mir haben könnte, wenn ich Dich einlüde. Aber diesen Plan muß ich noch beiseite legen. Jetzt verstehe mich recht, Liebes: Es kann noch nicht sein. Wenn ich Dich meinen Eltern vorstelle, möchte ich mit Dir ganz sicher vor sie hintreten und mit dieser Sicherheit jedes Bedenken und jeden Zweifel ausschalten.

Liebe [Hilde], wir vertrauen einander bis ins Letzte. Aber wir sind gegenwärtig unsicher, unklar, es hat uns gepackt, wir vermögen es uns selbst nicht ganz zu deuten, geschweige denn andern. Durch diese Krise, diese Unsicherheit müssen wir erst hindurch. Ich möchte Dir beistehen in Deiner Verwirrung. Behalte mich nur recht lieb, ich will den rechten Weg schon finden. Gute Nacht, liebe [Hilde]!

Sonnabend, den 1. April.

Nun will ich Dir gewißenhaft berichten über jede Regung und Bewegung in meinen Ferien.

Mittwochabend ½ 8 Uhr kam ich hier an. Beim Tageslicht am Donnerstag konnte ich nun erst recht erkennen wie und wo. Aber alle, meist angenehmen, Eindrücke wurden getrübt durch das Gefühl der Fremde. Viele gute Hausgeister, Großmutters Geist vor allem, viel Geborgenheit ließen wir zurück. Aber dieses Gefühl wird weichen, wenn Verwandte und Bekannte uns hier aufsuchen, die Geschwister uns besuchen, wenn morgen Dein Brief mich auch am fremden Ort finden wird, liebe [Hilde], ¼ 9 [Uhr] kommt der Postbote schon, fast wie bei Euch.

Nein, ich kann sonst nur zufrieden sein mit der neuen Behausung, 3 Minuten vom Bahnhof, 5 Minuten zum Markt, 5 Minuten in Wiesen und Felder, ¼ Std. zum Hutberg, und wichtig, Wege auf denen man besinnlich gehen kann, gibt es auch. Und nun die Wohnung se[lbst:] Älteren Leuten gehört das Haus. Wir sind die einzigen Mieter und herrschen ganz allein im 1. Stock. Eine so große Wohnung hatten wir noch nie. Langer Korridor, Wohnstube 4,5 x 5,5; Gutestube 5,5 x 5,5; ‚Kinderschlafzimmer' 4,5 x 5,5; Elternschlafzimmer 5 x 2,5; Küche, Schrankraum, Badestube. Wir übernahmen die Wohnung ganz neu vorgerichtet, mit einem Gasbadeofen und zwei Gasöfen. Das war nur möglich, weil die Bahn für alles aufkam und diese Wohnung als Dienstwohnung in beschlag nahm. Wenn Vater also mal in Ruhe geht, müssen wir wieder raus. Was wir alle angenehm empfinden: daß wir so reichlich Platz haben, nachdem wir jahrelang so eng hausten. Du wirst das ja alles selbst noch begutachten können. Ja, Du! Denkst Du noch daran, daß ich sagte, ich werde dich einmal meiner Mutter 8 oder 14 Tage auf Gedeih oder Verderb ausliefern? Wenn ich durch die neuen Räume gehe, dann probiere ich Dich auch immer mit hinein.

Donnerstag am Vormittag habe ich holz geschichtet auf dem Boden. Gestern am Vormittag haben wir zu dritt, Vater hat noch Urlaub, die Bodenkammer eingeräumt.

An den Nachmittagen habe ich erste Bekanntschaften mit dem Städtchen und seiner nächsten Umgebung gemacht. Gestern haben wir das neue Bad probiert. Zum Duschen ist die Hilfe einer zweiten Person vonnöten, sonst werden Wände und Dielen vollgespritzt. Bücher und Noten auspacken und ordnen, das ist die Arbeit, die nun noch meiner wertet. Sonst hat mein Ferienprogramm nur [z]wei deutliche Punkte: Die Fahrt zum väterlichen Freund und eine Fahrt nach Radeburg, meiner Heimat, um noch Ahnen zu forschen. Radeburg erreiche ich h in etwa 1 ½ Stunde mit Rad. Ich berichte Dir von meinen Fahrten.

Was wirst Du angeben die vielen Ferientag? Wird am Ostersonnabend gearbeitet? Nimm Dir nur auch etwas vor, damit Du Dich freuen kannst. Besuche eine Aufführung am Karfreitag, ein Theater an den Ferientagen. Nicht ganz planlos müßiggehen, das bringt auf dumme und trübe Gedanken. Ich bin nichtganz ohne Sorge um Dich. Hüte Dich vor Deiner Freundin, hüte Dich auch von bösen Männern. Diese Warnung ist kein Mißtrauen, Liebes! Bis zum nächsten Wiedersehen soll noch eine lange Zeit vergehen. Wir wollen uns brav halten inzwischen. Unsere Briefe werden sich kreuzen.

Bitte, grüße Deine Eltern.

Und nun, Liebes? Gott behüte Dich.

Vertraue mir nur und Behalte mich lieb.

Meine Gedanken werden meist bei Dir sein.

Ich küsse Dich, Du, und grüße Dich recht herzlich,

meine liebe [Hilde],

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946