Bitte warten...

[OBF-390316-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 13. März 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Es drängt mich schon heute, der Erinnerung an den gestrigen Tag ein paar Zeilen zu weihen.
Wie mir zumute war als ich nach Hause fuhr?
Der Abschied ist leichter, wenn ich selber ziehe, als wenn ich Dich ziehen lassen muß.
Eine große, eigenartige Ruhe kam über mich, nicht die verdächtige Ruhe vor dem Sturm, dies Ruhe ist auch heute noch mit mir. Ich habe gut geschlafen.
Kann ich noch zurück?
Diese Frage drängte sich mir auf schon nach der letzten Begegnung.

Liebe [Hilde], ich gerate immer tiefer in Schuld bei Dir. Unsre Verbindung ist kein Geheimnis mehr. Sie wird immer mehr Wirklichkeit. Der Weg wird enger und schmaler, es gibt kaum noch ein Ausweichen und ein Zurück.

Diese Wirklichkeit macht mich ruhig und gefaßt.

Und das nächste Mal in Oberfrohna werde ich mich noch freier und froher fühlen.

Diesmal kam ich mir noch ein wenig wie ein Gefangener vor.

Meine liebe [Hilde]! Ich habe in meinem Leben noch nicht vor einer solch schweren Entscheidung gestanden.

Meine Berufswahl war keine Wahl, sie war ein Muß.

Der Entschluß, Musik zu studieren, war nicht schwer und auch nicht ganz frei.

Und nun? Meine liebe, liebe [Hilde]! Meine ganze Hoffnung, mein ganzes Vertrauen setze ich auf Dich. Du sollst darum nicht verzagen und bange werden. Und ich selbst bin dabei nicht verzagt. Ich weiß, daß Du stark bist. Und Du darfst auf meine Hilfe und Unterstützung rechnen. Ich vertraue auf Gottes Hilfe und meine Kraft, die mir beide voranhalfen im Leben.

Es wird auch unsre Entscheidung einmal keine freie Wahl sein, sondern ein notwendiger, vorgezeichneter Weg. Es gibt im Leben keine Entscheidung, die ganz frei ist, es gibt keinen freien Willen.

Haben wir uns zu rasch lieb gewonnen?

Prüfen wir uns noch ernst?

Mein Blick ist mir ein wenig getrübt.

Die sinnliche Liebe hat gewallt über mich gewonnen.

Außer Deiner Nähe und Deinen Liebkosungen scheint mir alles nichtig, belanglos.

Und nun spürte ich gar die süße Last Deines schönen Leibes. [Hilde, Hilde]! Welchen Sturm der Gefühle, welch kühnes Traumbild hast Du heraufbeschworen!

Ahntest Du das? Hast Du das bei mir erwartet?

Unaufmerksam war ich im Theater.

Die Bücher schiebe ich beiseite. Ich vergesse meine Pflicht, Dich zu fördern.

Liebe [Hilde], heute verstehe ich Deine Angst.

Ich weiß, das wird besser werden. Vielleicht wird es erst wieder ganz gut, wenn wir einmal ganz umeinander sein sollten. Aber daß ich stark bleibe, daran darfst Du nicht mehr zweifeln. Es kommt die hellere und bessere Jahreszeit. Für uns[e]re nächsten Begegnungen werden wir uns immer ein Stück Arbeit vornehmen.

Am Donnerstag.

Meine liebe [Hilde]!

Jede freie Stunde denke ich Deiner. Die Gedanken wollen sich gar nicht recht ordnen zum Niederschreiben. ich werde sie nicht zwingen. Es sind keine trüben Gedanken. Ich möchte Dich bei mir haben in meinem Alltag, wenn ich vernünftig bin. Für den Tag unsrer Begegnung ballen sich alle Erwartungen und Empfindungen zu einem mächtigen Gewitter, das sich entladen will. Hier und dort muß ich den guten Blitz ableiten, das Musizieren, entbehren.

Verfolge nur die große Politik ein wenig. Ich war zunächst sprachlos. Ich kann nicht recht froh werden über diese neueste Eroberung. Die Zahl derer, die uns fürchten und beneiden wird größer. Wehe, wenn sie uns einmal schwach sehen. — Es läßt sich mit Deinem Vater recht gut plaudern und ich komme mit ihm rascher zurecht als mit Deiner Mutter. Ich werde sie schon noch besser kennen lernen. Kein Zweifel, daß die Schwerhörigkeit sie im Verkehr mit der Umwelt etwas zaghaft und unsicher und zurückhaltend (Du schriebst einmal davon) gemacht hat. Wir werden dafür sorgen, daß sie immer etwas gutes zum lesen hat. Ich würde mich freuen, wenn Du mir ein Photo mit Deinen Eltern schicken könntest. Wir konnten so lange für uns sein. Wie auf Befehl (etwa auf Deinen?) zogen sich die Eltern zurück und ließen uns zum Abschied allein — Du! Süßes, Liebes! Ich danke Dir auch so sehr, Du! Meine liebe [Hilde]!

Es ist wieder dicker Winter. Der Schulbau ruft. Mächtige Wehen liegen vor Tür und Tor. Mag er sich austoben, der Winter, damit uns zu Pfingsten die Sonne lacht.

Eben denke ich daran: Vor Ostern ist Karfreitag. Da könnten wir uns treffen. Wir wollen den Tag im Auge behalten. Nun sind erst drei Sonntage ohne Dich. Sie sind schon alle besetzt und sind doch alle nicht so wichtig wie unser Sonntag. Für morgen hoffe ich auf Deinen Brief.

Und nun, Liebes?

Die mancherlei prüfenden Blicke der Mitwelt: Du darfst sie stolz und frei erwidern. Das Ansehen, das ich mir erwarb, man wird es insgeheim, zögernd zunächst, auf Dich übertragen und Deine Eltern. Ganz von selbst wird ein Abstand sich bilden zwischen Dir und Deinen Kameradinnen. Er ist eine Schutzhülle, die Du nicht zerstören sollst. Ich erinnere daran, was Du schriebst über das Heim (ich weiß noch immer nicht, woher Du das hast, wollte darnach fragen): Die Vorhänge, welche die Götter des Heimes vor den Augen der Unberufenen und Neugierigen verbergen, sind Diskretion, (= Verschwiegenheit).

Nun kenne ich das süße Gefängnis meiner Boten. Es ist ein dicker Packen, liebe [Hilde], mein und Dei[n], Du! Ich glaube, das beste Unterpfand!

Und nun denke ich an die Stunde des Abschieds, als Du mich einludest niederzusitzen. Du! Ich danke Dir. Gott behüte Dich.

Ich küsse und grüße Dich recht herzlich,

meine liebe, gute [Hilde]!

Dein [Roland].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946