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[OBF-390306-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 6. März 1939.

Mein lieber [Roland]!

Mit dem Heimatpoststempel kam gestern früh Dein lieber Brief bei mir an. Ich danke Dir recht sehr dafür.

Bei Deiner Nachricht, daß auch Euch nun der Umzug winkt, habe ich eigentlich ein wenig bedauert, daß Du kein Mädel bist! Ich mein’ Dir hätte das gar nicht geschadet, wenn Du den ganzen Werdegang vom Anfang bis zum Ende mal mit erlebst.

Die Männer kommen meiner Ansicht nach beim Umzug immer am besten weg. Nicht, daß ich ihren Einsatz gering achte! Doch zum größten Teile liegt die Arbeit und die Verantwortung auf den Schultern einer Frau. Und

in diesem Punkte darfst Du mir auch nicht widersprechen!

Weißt, Du bist eigentlich zu beneiden. Jetzt warst Du daheim in Bischofswerda, fandest alles noch beim alten; dann besuchst Du vielleicht die Eltern erst wieder in Kamenz, und auch da ist sicher nichts mehr vom Umsturz zu sehen.

Oder vertrete ich da eine irrige Ansicht? Der 1. April fällt ja fast mit in die Zeit Deiner Osterferien, und wenn Du sie zuhause verleben willst, dann kann’s schon passieren, daß Du ein wenig mit angespannt wirst. Na, bedauern möchte ich Dich grade nicht! Ich glaube, am schwersten wird es Deinem Bruder ankommen. Er, und vielleicht auch die Schwägerin werden die Nähe Deiner Eltern schmerzlich vermissen.

Hoffentlich geht alles recht gut und zur vollsten Zufriedenheit aller aus. Und achte Du auch darauf, daß sich Deine Mutter nicht übernimmt. Ich stelle mir einen Umzug bei dieser Entfernung, und in Betracht einer solchen Einrichtung, wie sie in dem Falle zu transportieren ist, nicht mühelos und einfach vor.

Du hast ja keine Schwestern, die der Mutter beistehen könnten, eine Frau kann das unmöglich allein schaffen. Wird Deine Schwägerin mithelfen?

Sieh, wir haben erst gestern letzte Hand angelegt, an unsrer Einrichtung; es geht dabei unermeßlich viel Zeit verloren. Ach, wenn meine Wünsche alle berücksichtigt würden, brauchten wir gar keine andre Arbeit. Maßgehend noch ist das eine: Der Geldbeutel gebietet nun Einhalt! —

Und nun will ich Dir mal meine Pläne enthüllen, mein lieber [Roland].

Vorausgesagt: Du kannst alles umstoßen, wenn Du nicht einverstanden bist, oder etwas Andres, Schönes ausgedacht hast!

Den Theaterplan lege ich bei, mir sind sämtliche Stücke unbekannt. Findest Du an einem Gefallen, so hab ich gedacht, daß ich am Sonnabend nach Chemnitz komme, zur von Dir festgesetzten Zeit. Nachdem fahren wir heim zu mir, essen miteinander zu Abend. Und von den Eltern soll ich Dir bestellen, daß Du in meinem Stübchen schlafen kannst, wenn’s Dir angenehm ist. Mutter wird alles bereit machen — die Eltern gehen immer schlafen, (könntest sie also erst am Sonntag begrüßen). Ich würde mich freuen, wenn ich Dich bei uns empfange, ohne die Eltern dabei zu haben. Bitte, verstehe mich nicht falsch!

Nun ist noch etwas, worüber ich mir Gedanken mache. Sonntag — Heldengedenktag! Bedeutet für mich Dienst in der Kirche. Bliebe zu entscheiden, ob Du mitkommst, oder unterdessen schlafen willst, Dir anderswie die Zeit vertreiben möchtest. Oder müßte ich schwänzen.

Zu Mittag bist Du natürlich unser Gast.

Der Nachmittag soll uns gehören, darüber bitte ich Dich zu bestimmen. Sehr viel können wir uns ja nicht vornehmen, da Du Deine Zeit einhalten mußt.

Obendrein ist das alles auch vom Wetter abhängig.

Und mache Dir keine Gedanken um meine Eltern, sie sind ganz unabhängig und richten sich nach uns.

Ich glaube, das ist nun alles, was ich vorzuschlagen hätte — Überraschungen vorbehalten! Man weiß nie, ob alles nach Wunsch ausgeht. Du wirst mir bis zum Freitag Dein Einverständnis oder Deine Pläne mitteilen?

Die Bekannten in Oberfrohna. Lieber [Roland], weißt Du, ich habe nun die anfängliche Überraschung überwunden, hab mich damit abgefunden, daß unser zärtliches Geheimnis nun offenbar geworden ist. Wer war der Urheber? Ich habe keine direkten Beweise, nur Vermutungen. Wir mußten einmal damit rechnen. Ich bin jetzt so gefaßt, ich sehe den Dingen mit einer Ruhe und Zufriedenheit entgegen.

Eine sagte mir’s frei ins Gesicht, sie führte noch paar Sachen an und ich mußte mich wahrhaftig zusammennehmen, um vor Staunen nicht den Mund offen stehen zu lassen. Wie gut manche Leute beobachten können. Es war Frl. Sch. — ich konnte nicht leugnen. Mit meiner Antwort gegen sie war ich nicht ungezogen und taktlos; aber ich habe durchklingen lassen, daß unsre gegenseitige Vertraulichkeit noch lange kein Grund ist, über meine Privatangelegenheiten Rechenschaft abzulegen. Nachdem fürchte ich mich nun nicht, fremden Angriffen gegenüber zu verteidigen. Ich will erhaben sein über das Gerede. Ich glaube an Dich, Du! Ich habe Dein Vertrauen und Deine Liebe.

Durch Deinen Brief ist eine große Last von mir genommen, Du hast mich so froh und zuversichtlich gemacht. Bei meinen Worten dachtest Du etwas und Du hast mich so gut verstanden, mein lieber [Roland]. Einmal rein, unbefleckt an der Seite eines Mannes am Altar zu stehen, der göttlichen Weihe würdig. Ist es nicht das Wunschbild eines jeden Mädchens? Und wenn ich dieses Wunschbild meinen Freundinnen gegenüber vertrete und verteidige, werde ich verlacht. Ich glaube und sehe ja selbst, daß das in unserer Zeit fast nie der Fall ist. Aber alles in mir lehnt sich dagegen auf, auch eine von den vielen zu sein.

Der Weg zur Liebe, die nicht befleckt, beschmutzt, ist für uns Menschen, die wir ja unzulänglich sind, vielleicht mühsam und schwer. Doch erfüllt uns der Anblick des Zieles nicht mit tiefer, großer Freude? —

Die Liebe ist auch wie ein fremdes, betäubendes Gift und wer ihm einmal unterliegt, der ist verloren, so glaub ich. Stark bleiben, nicht die Beherrschung verlieren, das muß der Vorsatz sein.

Denke Dir das wundervolle Gefühl des Siegesbewußtseins, am Hochzeitstage sagen zu können: Nun bist Du ganz mein — vor Gott und vor aller Welt! — Deine große Liebe zur Freiheit bestärkt Dich, einer Leidenschaft Trotz zu bieten. Du schriebst einmal: Nicht gewöhnlich, nicht alltäglich soll unsre Verbindung sein, sondern selten, lieber [Roland] und so wollen wir es mit Gottes Hilfe weiterhalten.

Behüt Dich Gott! Ich wünsche Dir Gesundheit und eine recht gute Fahrt. Ich erwarte Dich voll Sehnsucht, mein lieber [Roland], Du! Ich grüße Dich und küsse Dich herzlich

Deine [Hilde].

Viele Grüße senden auch die Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946