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[OBF-390301-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 01. März 1939.
Am 26. Februar 1939.

Mein lieber [Roland]!

Vor einer Stunde ging ich schlafen. Jetzt schlägt die Uhr 11 und ich liege noch wach. Du, ich denke an Dich! Ich sehne mich so nach Dir! Darum muß ich etwas für Dich schreiben, dann wird mir leichter werden. Schläfst Du schon? Ich sende Dir einen Gutenachtkuß, Du!

Da liege ich nun allein in meinem neuen Stübchen, schon die zweite Nacht, ganz ungestört. Mutter darf nicht wissen, daß ich nachts im Bett an Dich schreibe — sie würde zanken. Sie würde mich vielleicht nicht begreifen können, daß ich zu dieser Stunde mit Dir Zwiesprache halte. Soll sie ja auch nicht.

Ich habe nun mein Reich für mich, und das bedeutet ja auch so [v]iel: Hier kann ich herrschen, ganz frei. Damit soll gar nicht gesagt sein, daß ich die gebotenen Grenzen überschreiten will.

Diese Zuflucht gibt mir nur das schöne Gefühl, einmal unabhängig, losgelöst von allem, allein zu sein. Mit der Nacht, mit der Ruhe kommen die Gedanken, die tagsüber nicht Zeit haben, lange zu verweilen. Dann ist die Stunde da, wo es mich drängt, mich Dir mitzuteilen — oder auch nur Deine Nähe zu spüren.

Deine Nähe zu spüren, das hat mir unsere letzte Begegnung erleichtert — dabei hilft mir auch dein Bild, Du!

Zufrieden und geborgen fühle ich mich dann. Ich vergesse nicht, jeden Abend die Hände zu falten und Gott zu danken, daß er mir Deine Liebe und Dein Vertrauen schenkt. Ich vergesse auch nicht, Gott zu bitten um Kraft, und darum, daß er unsern Bund segnen möchte.

Diesmal haben wir es verstanden, unsre Briefe sich kreuzen zu lassen, und Deine lieben Zeilen haben mir so große Freude bereitet, lieber [Roland], Du. Frohen Mut und Zuversicht lassen sie erkennen, nicht Reue über das Geschehene — ich hab[e] Dich so gut verstanden.

Ich bin recht töricht. Einmal möchte ich alles wieder ungeschehen machen, ich habe Angst, Dich wieder zu sehen. Und einmal kann ich Dein Fernsein kaum mehr ertragen; dann möchte ich aufspringen und fortlaufen, hin zu Dir. Ich komme mir wunderlich vor.

Jetzt bin ich doch müde geworden und ich habe eiskalte Hände bekommen. Ach [Roland], Du glaubst ja nicht, wie gut es uns allen hier im neuen Heim gefällt. Es scheint alles, wie für uns gesc[haf]fen. Viel, viel Arbeit liegt hinter uns, und erwartet uns noch. Aber die wird mit Freuden verrichtet, sie bekommt ja nun erst Sinn. Immer und überall wo ich schaffe, ertappe ich mich bei dem Gedanken: Wird es so meinem [Roland] gefallen, wird er dies oder jenes gutheißen? Ach Du! Dieser ganze Umschwung ist doch trotz aller Strapazen etwas Schönes und Reizvolles. Du mußt uns recht bald einmal besuchen, Dir alles ansehen!

Wenn ich im Bett liege, habe ich die freie Wand vor mir. Denk mir, sie ist niemals im Dunkeln, die Bogenlampe von der Straße wirft ihr Licht durch mein Fenster.

Wie lange wohl wird sie mich noch so leer ansehen?

Gute Nacht, lieber [Roland]! Ich küsse Dich, Du!


Am 1. März 1939.

Mein lieber [Roland]!

Manchmal kann ich sehr geduldig sein, aber jetzt hab ich bald genug. Seit dem Sonntag kommen täglich nicht unter 4 Personen zu Besuch, zum Einzug gratulieren.

Ich hätte nicht geglaubt, daß wir so viele Freunde haben, die uns beglückwünschen wollen. Wir bekommen so viele Blumen und Geschenke. Aber wirklich darüber freuen kann ich mich nur mit Ausnahmen. Ich habe die Feststellung gemacht, daß sich etliche Leute aus purer Neugierde einfanden. Es ist mir nicht lieb, es ist vielleicht auch nicht schön von mir, wenn ich das sage. Aber es ist so, ich lasse mich darin nicht so leicht täuschen.

[M]an spricht im Ort von mir — man hat uns damals erkannt. Ja und unser Umzug gibt etlichen eine gewisse Bestätigung für das Gerede; es bietet sich die beste Gelegenheit, mal nachzusehen, ob vielleicht nicht doch etwas auszukundschaften ist. Doch das soll uns jetzt nicht verdrießen!

Die Neugierde ist eine böse Krankheit, man muß versuchen, sie am Schopfe zu packen, noch ehe sie recht zur Perfektion kommt. Ich freue mich, wenn Besuch kommt; aber Mutter wäre nach diesen Tagen der Anstrengung etwas Ruhe dienlicher gewesen. Jeden Tag wird es so spät, ehe wir ins Bett kommen. Mutter ist wieder auf der Höhe. Ich hab ihr öfter einen handfesten Grog bereitet und Fußbäder verschrieben! Heute war sie zum ersten Mal wieder im Geschäft. Mir macht das alles nicht so viel aus, ich bin ja noch jung. Nur eins bin ich noch ungewöhnt: Jedesmal wenn's klingelt, die 2 Treppen runter und aufschließen, da fühle ich abends die Beine. Es ist noch alles bissel fremd — es steht und liegt nicht alles mehr am alten Platze.

Der Dekorateur hat uns einer Hochzeit halbe um 2 Tage verschoben, der Tischler brachte nur die Betten, das übrige folgt am Sonnabend. Na, es wird schon nach und nach alles fertig und ich fühle mich sehr wohl hier.

Lieber [Roland], Du wirst doch nicht recht enttäuscht sein, weil heute, am Mittwoch, der Bote ausblieb?

O denke nicht, daß ich Dich einen Augenblick vergessen könnte! Wie war ich freudig überrascht, als ich gestern Deinen Brief im Kasten leuchten sah. Am letzten Monatstage der erste Brief im neuen Heim! Wie soll ich Dir danken? Du Lieber, Guter[!] Wie gut ist Dir das kleine Kunstwerk gelungen. Ich bewundere Deine Art zu beschenken — und ich bin stolz auf Dich! Du! Du beglückst mich! Du verwöhnst mich!

Gestern fand die verschobene Geburtstagsfeier bei meiner Kränzlschwester statt, es wurde viel gegessen und gelacht, nach 12 bin ich endlich heimgekommen.

Am Sonnabend hab ich ganz fest an Dich gedacht und ich freue mich mit Dir, daß alles so gut abging. Wirst Du denn kommenden Sonntag heimfahren?

Bleibe gesund! Behüt Dich Gott! Ich küsse Dich, mein lieber [Roland], Du!

Ich grüße Dich in Dankbarkeit recht herzlich

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946