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[OBF-390222-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 22. Februar 1939.

Mein lieber [Roland]!

Ich stelle voran, was ich mir auf der Heimfahrt, im Zuge aufschrie[b].
Wieder allein — mit meinem heißen Herzen. Voller Glückseligkeit schlug es diese Stunden. Und jetzt, da Du fort bist, ist alles verflogen, wie ein Rausch? Nein — o nein, es schlägt ja weiter, nur für Dich, immerfort! Die Glückseligkeit muß einer leisen Wehmut Platz machen.  ‚Abschied’, das Wort stimmt uns Menschen traurig.

Es erscheint mir fast ebenso hart, wie das Wort ‚Pflicht’.

Sie beide drängen sich uns gebieterisch entgegen. Sie fordern beide ihr Recht. Fragen nicht, ob uns Zeit und Stunde angenehm ist. Wir lassen uns aber so schnell nicht Bange machen, wir sind voll Mut und Hoffnung: Es gibt ja doch ein Wiedersehen! Und wenn ich daran denke, dann fühle ich, wie mir schon wieder [l]eicht und warm um’s Herz wird.

Zu denken, einmal immer bei Dir sein können! Ach, mein [Roland], ich wage gar nicht, daran zu glauben. —

Mir gegenüber sitzt der ältere Herr, der sich an der Abteiltür von einer Dame verabschiedete. Er hat die Augen geschlossen, ob er wohl schläft? Ein Lächeln spielt manchmal um seinen Mund, aber es ist nicht gütig. Ob wohl jemand diesen brutalen Mund küssen mag?

Die ältere Frau neben mir schläft auch. Müde und versorgt sieht sie aus. Nach Plauen fährt sie, ich hörte es, als sie den Schaffner um Rat fragte.

Und jetzt wirst du staunen. In einer Ecke, an ihren Mantel gelehnt, sitzt Swaantje und liest. Fast die selbe Swaantje von Angesicht, wie sie im Lönsbuche geschildert wird.

Sie hat langes, blondes Haar und trägt es geflochten, im Nacken aufgesteckt. Blaue Augen und ein zartes Gesicht; schade, daß sie so breite Backenknochen hat. Vielleicht kommt sie aus dem Theater. Sie trägt ein langes, blaues Samtkleid, das ist ohne jeden Aufputz, nur am Halsausschnitt ist eine [s]ilberne Nadel befestigt. Sie hat keinen guten Geschmack, braune Strümpfe und ein paar schwarze Trachtenschuhe, mit rotem Leder verziert, trägt sie dazu. 2 Ringe funkeln an ihrer Hand, sie hält ein arg zerlesenes Buch.

Weißt Du, ich will lieber nicht so schnell Vergleiche ziehen und meine Menschenkenntnis erproben. Ich glaube, ich hab mich in ihr sehr getäuscht. —

Öderau — 2220 [Uhr], meine Hoffnung sinkt, daß ich den Zug [2]230 [Uhr] nach Oberfrohna erreiche. Ich werde 11 Uhr mit dem Autobus heimfahren.

Wirst bald zuhause sein — Du! Behüt Dich Gott!

Am Mittwoch.

Mein lieber [Roland]!

Die Ahnung, daß mein Zug fort sei, betrog mich am Sonntag nicht. Kurz vor Mitternacht langte ich wieder daheim an. Die Eltern waren vorher an der Bahn gewesen — Mutter lag noch wach im Bett. So leid mir’s tat, ich mußte einen Schneeball an’s Fenster werfen — nicht sehr sanft — daß sie mir den Schlüssel herab werfen konnte.

Sie mußte aber nochmal auf ein Viertelstündchen zu mir in die Küche kommen und nach dem Rechten sehen! O, ich hab mich schon bewährt, nicht mal rot geworden bin ich, als sie fragte, wie schön es gewesen sei. Sie ging dann wieder schlafen und ich packte meinen Koffer aus, brachte gleich alles schön an seinen Platz und so merkte Mutter gar nicht, daß die Sachen ein bissel zerknittert waren.

Ich schlief sehr unruhig. Am Montag war ich wie zerschlagen; müde, die Arme schmerzten mir, wohl vom Festhalten? Mein Mund brannte, wohl von der kalten Luft?

Abends ging ich pünktlich 7 Uhr schlafen. Ich kann nicht mehr so tief schlafen.

Schon 3 Tage bin ich fort von Dir. Bin ich seitdem eigentlich mit meinen Gedanken schon einmal wahrhaftig zu Hause gewesen?

Im Geschäft schließe ich mich von der Außenwelt ab — daheim nehme ich mich zusammen.

Ich kann es immer noch nicht fassen — und doch, es ist alles Wahrheit, mein [Roland]!

Ich darf Du sagen! Du hast mich geküßt, wir waren so glücklich zusammen! Ich war ganz Dein, und ich fragte nicht: Darf ich das? Schickt sich das?

Ich entzog mich Deinen Blicken nicht, ich schämte mich nicht mehr vor Dir — weil ich Dich liebe.

Was Du von mir verlangst, ich schenke es Dir, mit einem tiefen, wundersamen Gefühl.

Es war nicht Spielerei, als ich Dir mein Herz gab; es war für mich ein heiliger Augenblick.

Du weißt das.

Du weißt auch, daß ich nur einem den Garten bereite. Ich bringe meiner Liebe jedes Opfer — ich kenne keine Reue — und ginge ich daran zugrunde.

„Mein Dornröschen“ nanntest Du mich.

Du bist mein Prinz, Du hast mich erweckt mit deinen Kü[ss]en, zu einem neuen Leben. Durch Dich bin ich so ganz erwacht. Ich weiß jetzt, daß ich kein Kind mehr bin — alles ist so wunderbar und beglückend zugleich.

Ach, ich denke so vieles durcheinander. Ich sehne mich nach einem Wort von Dir, Du Lieber.

Es kommt zu viel aufeinander. Mutter ist krank — Grippe. Ich wollte Dir’s nicht sagen; doch Du mußt mir verzeihen und mich verstehen, daß ich Dir nicht viel schreiben kann, bevor wir an Ort und Stelle sind. Bitte, sorge Dich nicht — ich schaff’s schon. Meine Eltern lassen Dich herzlich grüßen.

Ich wünsche Dir eine glückliche Reise in die Heimat und hoffe, daß Du recht frohe Stunden verlebst. Meine Gedanken werden immer bei Dir sein.

Voll Liebe und Dankbarkeit drücke ich Dich ganz fest an mich, mein lieber, guter [Roland] und grüße Dich recht herzlich

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946