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[OBF-390206-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 5. Februar 1939.
am 6. Februar 1939.

Mein lieber [Roland]!

Einmal sagte ich Ihnen schon, daß ich fühle, wenn Ihr Bote naht. So auch heute. Kurz vor 8 erwachte ich — hörte die Uhr schlagen — lag dann mäuschenstill und lauschte. Bald darauf trabte einer den Gang herein und umständlich die Treppe herauf. Ich hörte den Brief fallen. Sobald sich des Briefträgers Schritte entfernten, sprang ich aus dem Bett. Hin zur Tür, gleich im Schlafanzug! Horchte, ob draußen jemand ist — dann flugs hinaus, und den Heißersehnten an mich drückend noch auf ein Viertelstündchen zurück ins Bett.

Hat er seines Herrn Auftrag gut ausgerichtet, so darf er ein paar Minuten mit auf meinem Kopfkissen liegen und ich drücke meine Wange an ihn. Dann denke ich mit ihm an ihn. [S]o ist mein Sonntagmorgen. Ist es nicht ein frohes Erwachen? Ach diesmal war die Nacht sehr kurz. Haben Sie gespürt, daß jemand Sie nicht schlafen ließ?

Gestern hatte die Kantoreigesellschaft im Saale des „Rautenkranz“ ihr Jahresessen. Ich mußte an voriges Jahr denken und sehr, sehr oft an Sie. Es sind unser weniger geworden seitdem. Außer den Ehrengästen war niemand anwesend.

Wie mir’s gefallen hat? Einigermaßen — ganz gut.

Eine echte, frohe Feststimmung kommt wohl in unserm Kreise kaum mehr auf. Woran das liegen mag?

Viele alte Gesichter bleiben weg, neue kommen nicht hinzu. Die nur zu festlichen Veranstaltungen erscheinen, blickt man scheel an. Fremden, den Gästen gegenüber ist man nicht so ungezwungen wie den Vereinsangehörigen.

Unser kleiner Kreis Mädels saß beisammen. Hätte die Kapelle nicht so fleißig zum Tanze aufgespielt, bestimmt würden wir uns gelangweilt haben. Es kam kein ungezwungenes Gespräch zustande. Wir mühten uns darum — es lag eine Spannung über uns.

Was wir vorderhand begraben wollten, drängt sich immer wieder in den Vordergrund. ‚Man munkelt im Völkerbunde’, so sag ich immer. Sie sind ihrer Sache noch nicht sicher, doch fragen sie oft mal an bei mir, ein bezug auf einen Freund.

Wenn ich’s offen sagen soll: Die Dämlichkeiten unsrer Singstunde sind eine rechte sensationslüsterne Gesellschaft. Wie nur die Freundschaft zweier Menschen die Neugierde anderer so in Anspruch nehmen kann, daß sie sogar störend in ein harmloses Vergnü[gen] eingreift. Ob wohl diese schwache Seite meiner Sangesschwestern schon immer so stark im Vordergrunde stand? Oder fällt mir das nur so auf, weil ich jetzt besonders auf der Hut bin und darauf achte? Ich habe einen breiten Rücken, man kann schon etwas darauf laden!

Bitte, lieber [Roland], machen Sie sich ja keine Gedanken darüber, ich erwähne das nur nebenbei.

Getanzt habe ich gestern viel, ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, und die Beine tun mir heute noch weh. Zur Tischdekoration trugen Alpenveilchenstöcke bei, die konnten am Schluße käuflich erworben werden. Herr W. schenkte mir einen. Durfte ich ihn nehmen? Ich mochte ihn nicht beleidigen. Um ½ 2 war ich erst zu Hause. Wir brachen gemeinsam auf. Das letzte Stück Weg hatte ich zusammen mit Dora zu gehen. Die Unterhaltung ging um Belangloses, und wir verabschiedeten uns schnell, wegen der vorgerückten Zeit.

Ihre Gedanken möchte ich ergründen, wenn sie so neben mir geht. Wir tanzten zusammen. Zweimal suchte ihr Blick den meinen, und fragend schaute ich sie an. Gesprochen wurde nichts. Besonderes konnte ich an diesem Abend nicht beobachten, sie saß ein Stück entfernt von mir. Ihr Bruder und dessen Frau waren auch anwesend.

Lieber [Roland], ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Ihre Sorge um Dora P. mitteilen.

Sie können auf mich bauen, ich werde helfen, wenn es sein muß, wo ich nur kann. Es war eine unselige Geschichte, die Sie mit ihr verband, und diese Geschichte quälte sie beide. Den tragischen Zug spürt man deutlich in den Versen, die sich an sie richten. Ich kenne sie, mein [Roland] — und ich weiß, daß Sie nicht leichtfertig über diesen Fall hinweg gehen können.

Wenn sie mein Vertrauen suchen sollte, ich will’s ihr nicht versagen. Soll es sein, so will ich versuchen, ihr in ein paar schlichten Worten alles klarzulegen.
Sie sollen vor ihren Augen den Blick nicht senken müssen. Ich will gar nichts beschönigen, will Sie nicht besonders verteidigen und herausreißen.
Sie sollen sich nicht gedemütigt fühlen.
Ich will ihr dann nur sagen, daß ich Sie liebe — daß ich Sie rief — und Ihr Vertrauen und Ihre Freundschaft gewann.
Ich will sie auch bitten, daß sie Ihnen die Blicke verzeihen möchte, mit denen Sie sich schuldig machten an ihr.
Ich will sie weiter fragen: Sind wir Menschen denn vollkommen? Können wir für jede Stunde unseres Lebens verantwortlich sein? Und wollen wir uns so in ein Wunschbild verstricken, daß wir selbst und noch zwei andre Menschen, die darum wissen, vielleicht deshalb unglücklich werden?

Es gibt Menschen, die Schmerz und Liebe treiben sich anzulehnen. Andre Menschen wieder zwingen Schmerz und Liebe zum Schweigen, lassen sie stolz und verschlossen werden.

Sorgen kommen und Sorgen gehen. Mein lieber [Roland], ich bitte Sie, quälen Sie sich nicht mehr so darüber.

All unser Tun geht nach eines Höheren Plan [sic]. Haben wir seine Fü[g]ung nicht ganz deutlich gespürt am letzten Male?

Durch irgend einen anderen Vorfall kommt vielleicht einmal völlige Klärung in diese Angelegenheit.

Wir wollen hoffnungsvoll und zuversichtlich sein! —

Jetzt kommt die große Offenbarung!

Am Freitag 18 30 [Uhr] wurden wir im Rundfunk vermeldet, ich selbst hörte es nicht. Das Schicksal war mir gnädig, es bewahrte mich — ein wehrloses Weib — vor Ihrer Bestrafung; (wenn überhaupt eine solche notwendig gewesen wäre); nähmlich — indem der Ansager nur unsere Namen und die Herkunft vermeldete. Weshalb er das Verschen wegließ? Es lautete:

„Aus Oberfrohna senden herzliche Grüße
Hilde, [Hilde] und Luise,
ihren lieben Freunden
Klaus, [Roland] und Helmut
und wünschen sich die Donkay-Serenade [sic].“

Natürlich war das erst Wort unseres Herrn Kantor am Sonnabend:
„Na und wo blieben die Grüße an die Bekannten?“ Begleitet von einem vielsagenden, verschmitzten Lächeln. Ich glaube, der Mann ist im Bilde.

Die Musik zur Arbeitspause, die Sie am Mittwoch hörten, kam von der Firma Erhard K., Karlstraße bzw. Reinholdstraße. Ich glaube nicht, daß unsre kleine Firma einmal das Vergnügen hat, die Funkmänner zu begrüßen.
Sie fragen sich, ob ich wohl auch gut folge? Bis auf einiges kann ich ohne Herzklopfen ja sagen. Wenn ich so im Geschäft bin und dem Treiben zusehe, wird mir manchmal ganz ungemütlich vor lauter Anständigkeit! Dem ist abzuhelfen, dann und wann ein klein bissel Frechheit schadet ja nicht. Die Rolle des Lämmchens, das alles mit sich geschehen läßt, liegt mir nun mal nicht.

Zum Frühstücken hab ich keine Zeit. Bei mir dauert das Waschen zu lange. Mir fällt auf, daß es unsre Uhr zu keiner Tageszeit so eilig hat, als früh zwischen 6 und 7. Ich werde sie mal reparieren lassen müssen.

Und mein Fuß, der manchmal über’n Onkel steigt, hat gar wenig Zeit sich morgens zu besinnen, so schnell muß er rennen. Aber warum soll ich Ihnen meine ganzen Vorzüge anpreisen? Ich weiß ja gar nicht, ob Sie alles auf einmal verdauen können. Nun sagen Sie mir nur, wie kommen Sie bloß aufs Fensterln? Ist das in Lichtenhain üblich, oder hab ich gar einen Zünftigen vor mir? Na, zu mir sollten Sie sich nicht mal wagen, ohne einer Lebensversicherung anzugehören; der sicherste Fallschirm würde Ihnen nichts nützen.

Sie wollen sich in einer wichtigen Angelegenheit vertrauensvoll an eine Person wenden, die sich gescheiter dünkt, als Sie es sind. Ich kenne diese Person und ich warne Sie, lieber [Roland]. Sie haben ja keine Ahnung, wie gefährlich sie ist.

Und eingebildet ist sie obendrein — darauf, daß sie meint, sie sei die Einzige unter ihren Freundinnen, die so schöne Briefe erhält von einem lieben Menschen aus der Ferne.

Heute war ich frech genug zu Ihnen und außerdem bin ich sooo müde! Verlebten Sie den Sonntag auch zu Hause? Sind sie gesun[d?] Behüt Sie Gott, mein lieber, guter [Roland] und seien Sie recht,

recht herzlich gegrüßt und

von Ihrer [Hilde].

Was ich am letzten Male vergaß: Die Eltern danken für Ihre Zeilen und lassen sagen, Sie sollen ganz unbesorgt sein, daß Sie ihre Pläne durchkreuzten. Nach Glauchau zu fahren, wäre auch zu andrer Zeit noch möglich gewesen. Sie haben nach unserm Vorschlag, doch zu fahren, auch einen frohen Sonntag verlebt. Sie lassen herzlich grüßen.

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.390206-002-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946