
[390125–2‑1]
O., am 25. Januar 1939.
Mein lieber, guter [Roland]!
Unserer Vereinbarung gemäß will ich Ihnen meine gute Heimkehr mitteilen und ein paar Zeilen schreiben.
Wenn sich die Briefe zweier Liebenden kreuzen, so sei das ein gutes Zeichen, heißt ein altes Sprichwort.
Ob wir nun in der einen Hinsicht dieses Wort auf uns beziehen [k]önnen, getraue ich mich nicht zu behaupten. Aber an das gute Zeichen wollen wir glauben, nicht wahr?
Zweimal schon schrieben Sie mir: „Ich muß die Schreiberin dieser Briefe liebhaben.“ — Ich will ganz ehrlich sein.
Wenn ich an die beiden vergangenen Tage, besonders an den Sonntag denke, überströmt mich ein so tiefes Glücksgefühl. Ich bin nun einmal mehr gewiß, daß das, was Sie mir schrieben, die Wahrheit ist. Gezweifelt habe ich nie an Ihnen und [w]erde es auch nicht können. Ich konnte nur nicht fassen, daß Ihre Worte Wahrheit sind — ganz tief drinnen im Herzen bewahrte ich sie auf. Ich hatte Angst, Ihnen darüber zu schreiben, Ihnen davon zu sprechen; den ich meinte, es müßte dann alles zerrinnen wie ein schöner Traum.—
Auch Sie selbst können das Neue, das am Jahresanfang auf uns einstürmt, noch nicht ruhig und gefaßt hinnehmen.
Auch Ihnen kam das Gefühl eines leisen Zweifels — daß alles Hoffen, Wünschen und Planen vielleicht als etwas Unmögliches dasteht.
Mir ist eine große Last von der Seele genommen seit ich weiß, daß Sie der erste Besuch in meinem Elternhause nicht enttäuschte. Zuversicht und Gottvertrauen mögen uns weiterhelfen.
Lieber [Roland], auf die Eltern machten Sie einen sehr guten Eindruck. Durch Ihren Besuch haben Sie das Vertrauen, das sie Ihnen entgegenbringen, noch verstärkt. Das muß ich Ihnen sagen. Ich bin so froh. Ich mag an keine trübe Stunde denken.

Morgen, am Donnerstag glaube ich, daß ein Zeichen von Ihnen kommen wird — es wird mir Kraft bringen für den Abend.— Am Sonntagabend in O. angekommen, eilte ich f[roh]gemut heim in der Vorfreude, noch einige Stunden allein und ungestört mit meinen Gedanken bei unser[e]m Zusammensein weilen zu können. Etwas Weißes leuchtete im Briefkasten. Ein Schreiben von der N S D A P.–Kreisleitung Chemnitz. Die Kreisfrauenschaftsleiterin schickt mir eine Aufforderung, mich betreffs Hilfsdienst, Dienstag am 24. Januar 1939 16–18 Uhr in der Geschäftsstelle der Kreisfrauenschaftsleiterin einzufinden. Mit einem Paßbild, Lebenslauf und Stammbuch. Ich glaub[e], mein Gesicht sah nicht gerade geistreich aus in dem Moment. Jetzt haben wir also glücklicherweise beide die Partei auf den Fersen, so dachte ich.
Ich konnte mir nicht anders erklären, als daß ein Versehen, eine Nachlässigkeit von seiten der Ortsabteilungsleiterin Niederlein L. vorliegt. In meinem Schreiben vom 30.12.1938 an sie, stand klar zu lesen, daß ich eine Weitermeldung dankend ablehne. Sie wird unterlassen haben, die Kreisfrauenschaftsleitung in Chemnitz davon in Kenntnis zu setzen.
Bei mir stand fest, daß ich dieser Aufforderung nicht folgen würde. Montag, nach Geschäftsschluß machte ich mich auf zur Ortsabteilungsleiterin (sie ist übrigens die Gemahlin des Stadtrates Niederlein L.), um die Angelegenheit zu klären. Sie wohnt fast in P., und ich traf sie noch nicht mal zu Hause an.
Nun war ich gezwungen, nach Chemnitz zu schreiben. Ich bin mir im Klaren, daß ich mich jetzt nicht verpflichten werde in dieser [A]ngelegenheit. Aber wie das am besten diesen Leuten verständlich machen? Ich lege Ihnen eine Abschrift bei über den Inhalt meines Schreibens. Ich weiß nicht, ob ich’s so richtig machte; doch ich hoffe, daß sie mich nun in Frieden lassen werden.
Gestern sollte ich nochmal zum Arzt kommen. Er wurde plötzlich dringend abgerufen, und die Patienten im Wartezimmer durften wieder gehen!

Am Abend im Kränzl warteten wir vergeblich auf unsere Meldung [b]eim Wunschkonzert. Wenn ich nicht irre, wurden kurz nach Beginn die Schüler und Lehrerschaft der Schule L. vermeldet? (Badenweiler — Marsch.) Ich dachte an Sie, während Sie fleißig arbeiteten. Hörten Sie um 22 Uhr die Donkay [sic] Serenade? Ich war eigentlich sehr ärgerlich, daß das dumme Schreiben mir am Sonntag meine schöne Stimmung zerriß.
Doch weitaus wichtiger ist ja, daß nichts unsere Stimmung verdarb. Ich bin so froh und dankbar, weil wir im besten Einvernehmen voneinander Abschied nahmen.
An die Arbeit kann ich mich in dieser Woche ganz schlecht gewöhnen, meine Gedanken schweifen immer und immer wieder ab. Ich glaube, für heute hab[e] ich genug geschrieben.
Ihre schönen Tulpen sind noch so frisch wie am ersten Tage. Vor[‘]m Schlafengehen muß ich Ihnen noch schnell schreiben, daß ich so glücklich bin, weil ich Sie recht liebhaben darf, mein lieber, guter [Roland].
Gute Nacht! Behüt Sie Gott!
Ihre [Hilde].
Recht herzliche Grüße von den Eltern.