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[OBF-390127-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 23. Jan. 1939
Am Montag.

Meine liebe [Hilde]!

Eben komme ich von meinem Spaziergang nach Hause. Einen Blick mußte ich werfen nach dem Westen. Vergangene Woche war ich einigemale abends unterwegs. Wenn Gedanken und Gefühle mich bestürmen, dann treibt es mich hinaus. Es ist, als ob sie tief dann unter dem gleichmäßigen Puls meiner Schritte besser ordnen ließen. So war es am Mittwoch, so am Donnerstag, als ich den Brief an Ihre Mutter zum Auto gebracht hatte, so am Freitag, als ich Ihren Brief besorgte. Es war eine böse Woche, ein wildes Karussell der Gedanken und Gefühle.

Nicht ohne Bangigkeit fuhr ich aus, erfüllt von Dankbarkeit und Freude kehrte ich heim. Als ob das dazugehört hätte: Ganz pünktlich fuhren die Züge. Hoffmanns waren noch munter. Ich ging zu Ihnen ihnen [sic], mußte noch ein paar frohe Worte sagen, um jemandem meine Freude mitzuteilen. Ich mag diese Freude mit meinen Gedanken nicht sezieren, sie muß ja so lange vorhalten. So wohl wie gestern war mir noch nie an Ihrer Seite.

Ich war ja so froh, Sie so munter und froh zu finden, schon am Sonnabend. Mit Ihrer Zuversicht haben Sie es mir ja so leicht gemacht. Je schöner der Sonntag verlief, desto schwerer fällt einem der Montag. Nun ist er bald zurande und wir sind der nächsten Begegnung einen Tag näher.


Am Mit,[sic], Dienstag.

Meine liebe [Hilde]!

Wenn wir es auch schon aussprachen, so verdient es doch auch noch aufgezeichnet zu werden: Es wird ein denkwürdiger Tag bleiben, dieser 21. Januar 1939. Hatte nicht auch das Schicksal seine Hand im Spiele? Ich vermeine sie kaum je so deutlich verspürt zu haben wie vorige Woche.

1) Daß ich so rasch mich entschloß.

2) Was alles habe ich bedacht, um unser Geheimnis zu hüten: Abends kam ich. Fuhr 2. Klasse. Stieg in Limbach aus. Wir wählten Umwege zu Ihrem Elternhaus — da begegnet uns ausgerechnet sie. Es gab mir einen Stich. Sie haben gesehen, wie langsam und wenig ich aß, obwohl ich guten Hunger hatte, nach jedem Bissen mußte ich Messer und Gabel hinlegen. Vor diesem Schreck war alle andere Aufregung verschwunden. Ich fühlte mich gar nicht fremd bei Ihnen und war aufgeschlossen, das können Sie bezeugen. Zufall das alles? Nicht ¼ Minute später durfte sie kommen. Nicht ¼ Minute früher oder später durften wir uns zur Einkehr entschließen. Nun wird unsre Verbindung bekannt — es soll so sein. Ich habe mich gefreut, daß Sie gar nicht bange davor sind. Auch ich bin es nicht mehr nach meinem Besuch am Sonnabend. Dieser Besuch bedeutete nicht viel — und er bedeutete doch auch sehr viel. Ich wäre nicht leicht wieder froh geworden, wäre ich enttäuscht gewesen. Welcher Ausblick öffnet sich jetzt? Will das Glück uns hold sein? O [Hilde]! Wir wollen nicht vergessen zu danken. Schläft mein Kätzchen schon? Noch nicht? Dann will ich ihm noch ein wenig über das Fellchen streichen.

Gut Nacht, gut Nacht.


Am Freitag.


Meine liebe [Hilde]!

Ich stelle voran, was ich gestern auf einen Zettel schrieb.

Heute ist Donnerstag, Singestunde. Wir haben heute zur selben Zeit Elternabend. Ich werde an Sie denken.

Mehr Zeit fand ich gestern nicht. Bis zum Abendbrot war ich mit Vorbereitungen für den Elternabend beschäftigt. Der Zeichenlehrer wurde plötzlich zu einer Sitzung nach Sebnitz abberufen, sodaß ich die ganze Zeichenausstellung besorgen mußte.

Heute kam Ihr lieber Brief, 18 Pf. Strafporto, ich lasse nochmal nachwiegen. Es hat sich also nicht gekreuzt, schuldig bin ich, und dafür das Strafporto. Auch das Briefkreuzen will gelernt sein, und diesmal scheint es mir ratsam, das Orakel für ungültig zu erklären. Ich hatte mit Ihrem Brief morgen Sonnabend gerechnet.

Die arbeitsreiche Woche ist fast herum. Der Stoß Hefte ist korrigiert. Am Dienstag war ich ganz streng und unleidig. Aber die ganze Woche blieb ich ein froher Mensch. Ihr lieber Brief läßt mich aufs neue berauscht werden.

Die Briefe haben unsre Freundschaft gefördert. Eine Zeitlang waren wir uns — nach meinem Empfinden — in den Briefen näher als bei unsren Begegnungen, eine Zeitlang sah ich einen Unterschied zwischen Ihrer Person und der Schreiberin, der mich daran denken ließ (Bitte genau lesen!), daß manche sich ihre Briefe schreiben lassen. Klugheit, Verständnis, Feingefühl, ich fand sie eher im Geschriebenen als in Ihren Worten. Ich mag das nicht näher untersuchen. Und so schrieb ich damals: „Die Schreiberin dieser Briefe muß ich liebhaben”. In diesem Zusammenhang muß ich daran denken, daß ich bisher immer lieber Jungen unterrichtete, daß ich die Mädchen schwerer verstand. In den Tagen, da mich das Schreiben an den Kreisleiter bewegte, dachte ich auch einmal: Sollst du das alles auch [Hilde] erzählen, wichtig ist es eigentlich und auch aufschlußreich, und meine Hauptsorge ist es augenblicklich — ja, ich zweifelte daran, daß Sie dafür Verständnis aufbringen würden. Bitte, verzeihen Sie mir. Seit Sonntag weiß ich es: Alles kann ich Ihnen sagen. Und alles will ich Ihnen sagen, meine liebe, gute [Hilde]. Sie selber lösten mir die Zunge mit dem Vertrauen, daß Ihr Wesen mir am Sonnabend und Sonntag einflößte. Und nun bin ich froh bei dem Gedanken, daß ich Ihnen damit helfen konnte. Wie ein geübter Advokat haben Sie geschrieben. „Unvorhergesehene Umstände privater Art” (dabei kann man an mancherlei denken), gut, gut, wenn sie sich damit nicht zufrieden gibt, müssen sie noch deutlicher werden. Ich werde nächstens in einer ähnlichen Lage sein, wenn ich beim Bezirksschul[rat] wegen meiner Beförderung zum ständigen Lehrer vorstellig werde.

Ich habe mich ja so gefreut, daß Sie mir den Kleidwunsch erfüllten. Ich habe auch nicht vergessen, daß Sie mir am Sonnabend zweimal helfend beisprangen. Ich bin stolz auf meine große, junge, tapfere, gute Freundin. Ich habe Sie lieb um alles, was Sie mir schenkten. Ich will Sie ja noch viel lieber gewinnen.

Beiliegende Karte liefern Sie bitte Ihren Eltern aus.

Und nun zum Schluß eine Süßigkeit? Leckermäulchen!

Das macht mir Kopfzerbrechen. Denken Sie noch daran, was ich von dem Kleid sagte? Ich freue mich auf den Sommer.

Behüt Sie Gott, meine liebe, gute [Hilde],

Ihr [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946