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[OBF-390119-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 19. Januar 1939.

Meine liebe, gute [Hilde]!

Das neue Jahr nimmt einen stürmischen Anfang, wieder in mancherlei Hinsicht. Die politische Atmosphähre ist geladen mit starken Spannungen. Diese Woche brachte mir zwei wichtige Entschlüsse. Ich spüre es, in dieser Woche muß sich manches entscheiden. Ich bitte Gott um seinen Segen. Dem Mutigen hilft Gott. Der eine Entschluß, der schwerere, betrifft unsre Freundschaft nicht. Ich erzähle Ihnen davon.

Und der andere? Habe ich Sie recht erschreckt, liebe [Hilde]? Es ist ein bedeutsamer Schritt, einmal muß er getan werden. Am Sonnabend erhielt ich von Ihrer Mutter einen lieben Brief, über den ich mich sehr gefreut habe. Ich habe ihn schon so oft gelesen, um Zuversicht und Vertrauen aus dem Mund Ihrer Mutter zu hören. Vielleicht hat es mir Ihre Mutter im Vertrauen geschrieben, aber ich mag es Ihnen nicht vorenthalten: „Öfter beobachtete ich, daß sie in vielen Dingen anders ist, als die Mädel in ihrem Alter. Innerlich bin ich stolz darauf”. Das aus dem Mund Ihrer lieben Mutter bestätigt zu hören, hat mich so froh gemacht, meine liebe [Hilde]. In diesem Briefe äußert Ihre Mutter frei den Wunsch, mich einmal zu sehen und zu sprechen. Dieser Wunsch ist mir nur zu verständlich, und ich faßte den Entschluß, ihn recht bald zu erfüllen. Heute morgen zwischen sechs und sieben faßte ich ihn, nachdem Sie geschrieben hatten, daß Ihre Erkältung noch gar nicht recht ausgeheilt sei.

Ich lege alles in Ihre Hand, liebe [Hilde], Sie dürfen alles aufhalten, wenn Sie wollen. Ich treffe 1851 [Uhr] in Limbach ein. Sie sollen mich dort erwarten. Ich möchte dann mit Ihnen sprechen und ein Stück gehen, sodaß wir gegen ¾ 8 in Ihrer Wohnung sein können, als ob wir vom Zug, Oberfrohna 1935 [Uhr], kämen. Hoffentlich treffe ich Sie recht gesund und munter. Liebe [Hilde], Sie dürfen es mir glauben: ich fürchte mich nicht, ich bin zuversichtlich, der Entschluß ist mir leicht gefallen, nachdem mich Ihre liebe Mutter im Brief so herzlich willkommen geheißen hat.

Ein wenig Herzklopfen werde ich wohl haben, vielleicht kann ich nicht viel essen, in welchem Kleid ich Sie an diesem Abend gern sehen möchte; in dem weißen amerikanischen Sommerkleid (wie ich nur darauf komme, den Wunsch werden Sie wohl gegen Ihre Mutter schwerlich durchsetzen können), mit den Stufenärmeln*– doch ich will jetzt nicht weiter darüber nachdenken.

Und der Sonntag soll dann uns gehören.

Ob wir uns wiedererkennen werden? Es ist so lange her, daß wir uns zuletzt sahen. Es liegt so viel zwischen den Begegnungen, auch ein paar lange, dicke Briefe. Der letzte zeigt mir, wie gut Sie mich verstehen. Ich danke Ihnen.

Und nun soll ich diesmal büßen, und dabei liegt kaum noch Schnee, und warum nur? Da war ich nun bereit, alle Schuld auf mich zu nehmen: „es kam nicht nur von unser[e]m Ausgange!” (Vielsagendes Ausrufezeichen). Also freigesprochen? Keineswegs: „Sie hätten mir diese verwünschte Schwitzkur ersparen können”. Also schuldig. — Hier versagt die männliche Logik. Ich glaube, das ist eine Probe von dem süßen Ungereimten der Frauen. Kann ich diese Drohung unbeantwortet lassen? Ich habe aber auch einen männlichen Grund dafür: 4 Punkte hinter dem Sie, das meine Person bedeutet, was verbirgt sich dahinter?

Das müssen Sie mir sagen — oder Sie sollen es büßen.

(So, nun werde ich wohl Frieden haben, jetzt wird sie sich fürchten).

Ja, nun drängt die Zeit. Ich bin schon ein bissel aufgeregt. Es fällt mir heute nichts Gescheites mehr ein.

Falls Ihre Eltern abschreiben, und Sie sind gesund, treffen wir uns in Dresden.

Oberfrohna ab 653 [Uhr]

Chemnitz ab D 742 [Uhr]

Dresden an 913 [Uhr]

Meine liebe [Hilde]! Mein Wunsch mit dem Kleid ist wohl recht töricht. Streichen Sie ihn!

Wären es nur Luftschlösser, die wir gebaut hätten? Hätten wir unsere Freundschaft nur auf Sand gebaut? Sollte ich in Ihren Eltern den guten Geist meiner [Hilde] nicht wiederfinden? Morgen müßte ich zeigen. Ich kann es nicht glauben. Sie aber sollen sich darüber beruhigen und mir darin vertrauen — ich habe ein wenig mich geübt, an den Menschen das Wesentliche zu sehen —: Den guten Geist will ich sehen, nur ihn. Bitte, glauben Sie mir das. Gott helfe uns! Meine liebe, gute [Hilde]!

Ihr [Roland].

 

* Es soll richtig ein bißchen faltig sein.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946