Bitte warten...

[OBF-390104-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 4. Januar 1939.

Diesmal muß ich mit einer Erklärung beginnen. Sie dürfen nicht denken, daß ich in der vergangenen Zeit Sie vergessen habe! [sic] Heute fühle ich mich wieder wohl und ich will Ihnen alles schreiben, was ich aufzeichnete.

Am 29. Dezember 1938.

Mein lieber [Roland]!

[E]ine unerwartete Freude bereitete mir heute Ihr lieber Brief. Aber sie wurde doch ein wenig getrübt durch die traurigen Tatsachen, die Sie mir darin mitteilten. Das muß ich sagen, ich habe eine mächtige Wut über die Lumperei, (entschuldigen Sie!) die auf der Post herrscht. Da habe ich nun beim Verschicken der Blumen schon einen Tag dazu gerechnet. Denken Sie, am Montag vor Ihrem Geburtstage, also am 19. gab ich dem Gärtner den Auftrag und ich war dabei, als er die Nelken einpackte, sie sind pünktlich abgegangen. Ich hatte mir das so schön als eine Überraschung für Sie ausgedacht, und Sie sollten nicht am Absender erkennen, wer Ihnen das schickt.

Daß Sie das Weihnachtspaket auch noch nicht erhielten, darüber bin ich ja nun ganz untröstlich.

Armer, lieber [Roland] — nun waren Sie am Heiligabend ohne jedes Zeichen von mir.

Werden Sie es wenigstens nun in diesen Tagen erhalten? Und wenn ja, sich trotzdem darüber freuen?

Ich gab das Paket am Mittwoch (21.) früh schweren Herzens der Mutter, daß sie es besorge. 2 Tage rechnete ich bis Bischofswerda. Hoffentlich kommt es nicht schon am Freitag früh an, damit es Ihre Mutter nicht allein in Empfang nimmt — das waren meine Gedanken. Sonnabend glaubte ich es bestimmt in Ihren Händen zu wissen. Mir tut das recht leid um Sie.

Unser Chef schimpfte schon in der Woche vor den Feiertagen über den langsamen Betrieb auf der Post; denn seine Kunden überhäuften ihn mit Briefen, in denen sie über unpünktliche Lieferung klagten. Als nun gar 3 Tage vor dem Fest eine große Sendung Ware vom Berliner Hauptbahnhof zurückkam, (weil we[gen] Überfüllung gesperrt werden mußte) war seine Laune so, daß alle einen großen Bogen um ihn machten.

Auch meine Freundin wettert, ihr Pfefferkuchenpaket aus Nürnberg ist bis heute noch nicht angekommen. Sie hofft es zu Ostern in ihrem Besitze zu wissen.

Zu diesem Falle muß man sich einmal mit der Menge trösten.— Es freut mich, daß Sie mit Ihren Lieben gesund und froh beisammen waren. Daß die Großmutter so lieb für Sie sorgte und daß Sie auch sonst so reich beschenkt wurden.

Ich schreibe das alles im Liegen auf meinen Block. Wenn mir besser ist, schreibe ich's ab und Sie bekommen es als Brief.

Ich bin nun trotzdem noch zum Liegen gekommen, wie ich mich auch dagegen sträubte. Aber sorgen Sie sich nicht, es ist nur halb so schlimm. Am 3. Feiertag hatte sich mein Befinden etwas verschlimmert, wir zogen den Arzt zu Rate. Eine tüchtige Erkältung meinte er: Kehlkopfkatarrh, Husten und Schnupfen, ein wenig Fieber. Er verschrieb mir allerhand solchen Kram zum Einnehmen, verordnete feuchte Halsumschläge, Wärme und Ruhe.

Ich befolge das auch gut. Lange bin ich allein — und ich habe Ihr Bild bei mir, Lieber [Roland].
 

Am 31. Dezember 1938.

Mein lieber [Roland]!

Heute ist nun Silvester — ich liege nicht mehr. Ich will ja so gerne das neue Jahr gesund beginnen.

Am Vormittag war ich beim Arzt. Zufrieden ist er mit meinem Befinden noch nicht; aber er gestattet mir, daß ich ausgehe.

Vormittags von 9-12; nachmittags von 2-6.

Es ist so wunderbares Winterwetter, und jeden Tag schneit es mehr. Ich sehne mich danach, einmal so recht weit mit den Schneeschuhen hinauszufahren in die endlose, weiße Pracht.

Ich darf nicht. Und ich habe mich nun auch damit abgefunden; denn ich fühle mich, wenn ich ein Stück gelaufen bin noch recht matt und taumlig. Sie werden noch ein paar Tage Geduld haben, [b]is mein Brief kommt. Ich schicke Ihnen einen Neujahrsgruß. Ähnlich, wie auf dem Bild darauf, stelle ich mir jetzt den Wald und die Wege vor in Lichtenhain. Aber in Ihrer Heimat wird es nicht weniger schön sein.

Meine Plagegeister lassen schon wieder mal keine Ruhe, sobald die letzten Körner aufgepickt sind, klopfen sie mit dem Schnabel an den Fensterrahmen. Meisen, Amseln und Sperlinge sind's, und ganz gehörig ungeduldig können sie oft werden.

Hungrig und frech sind die Sperlinge zu jeder Zeit und ich muß immer mal dazwischenfunken, wenn der Lärm am Fenster gar so toll wird. Früh wenn ich aufstehe, sitzen sie schon alle auf dem Apfelbaum vorm Fenster und warten.

Sobald ich Futter gestreut habe, fallen sie darüber her und ich freue mich, weil's ihnen schmeckt.

Ich hab die kleinen Dinger richtig gerne. Das wissen sie vielleicht schon; denn sie werden immer zutraulicher.

Heute abend kann ich nun nicht in die Kirche gehen, das wird mir fehlen. Herr B. hält seine Abschiedspredigt und am Neujahrstage predigt er schon zum ersten Male in Lunzenau. Luise will mich nach dem Gottesdienst besuchen und mit mir Silvester feiern. Die Eltern sollen auf ein paar Stunden zu einer befreundeten Familie kommen.

Meine Gedanken werden bei Ihnen sein, lieber [Roland]!

 

Am 1. und 2. Januar 1939.

Mein lieber [Roland]!

Nun ist die Schwelle überschritten. Wir stehen im Anbeginn eines neuen Jahres, von dem wir hoffen, daß es segensreich für unsre Freundschaft sein möge. Segensreich möge es auch sein für unser Volk und für unser Reich.

Unbekannt liegt die kommende Zeit vor uns, von der ich glaube, daß sie unser Glück birgt.

Ich will glauben daran — wenn auch manche Stunde das Herz schwer ist und der Zweifel an mir selbst Macht gewinnt über mich.

Es wird alles noch gut werden! Diesen Glauben dürfen wir nie verlieren.

Die letzte Woche des alten Jahres stellte mich vor die Entscheidung, nach welcher Seite hin mein Schaffen mich in Zukunft führen soll. Ein Schreiben von der Ortsabteilungsleiterin für Frauenhilfsdienst (N. S. V.) enthielt die Mitteilung, daß meine Einstellung jetzt wegen Überangebotes nicht erfolgen kann. Außerdem wurde meine Entscheidung gefordert, ob ich mich bereit erkläre, für eine Anmeldung am nächsten Termin.

Und ich habe nach gutem Überlegen entschieden, ohne falsche Rücksichten, lieber [Roland]. Wie es mein Verstand mir sagte und im guten Glauben, daß es so recht ist auch in Ihrem Sinne.

Ich habe dankend abgelehnt.

Es ist mein Wunsch einen Beruf zu haben, in dem Körper und Geist gleichbedeutend in Anspruch genommen werden. Doch ein solcher Beruf erfordert den ganzen Menschen und er bringt nur dann Gewinn und Erfüllung, wenn man mit Leib und Seele dafür einsteht.

Ich kann das jetzt nicht mehr, weil mein Herz nicht ganz dabei wäre. Ich habe den Vertrag mit Ihnen geschlossen — mir aber deshalb keine drückende Fessel auferlegt.

Es ist unser beider freier Wille, daß wir uns ernst prüfen wollen. Man kann nur einer Unternehmung restlos dienen.

Und erfordert unsere Prüfung weniger, als den ganzen Menschen? Gewiß nicht.

Und ich will jetzt ganz ehrlich sein: Das Sehnen eines Weibes geht doch viel mehr dahin, einem geliebten Manne Kameradin, Frau und Mutter zu sein, als in einem Frauenberufe Genügen zu finden.

Dessen Ziel ist darum nicht geringer. Der Schwesternberuf ist der schönste und höchste Dienst an der Volksgemeinschaft.

Wenn unsere Prüfung den Wunsch vereitelt, dem sie entsprang, so bleibt mir diese eine Möglichkeit, meinem Leben Inhalt zu geben, doch noch offen. Ich bin ja noch so jung.

Mutlos das Leben hinter der Maschine verbringen, will ich nicht. Dann will ich versuchen, alles Nützliche und Gute in mir ans Leben zu rufen, um es denen zur Verfügung zu stellen, die es brauchen können.

Damit der Bildungsunterschied nicht hemmend wirkt auf unsere Freundschaft, deshalb suchte ich und mühte ich mich zu verändern.

Mein Elternhaus ist einfach, und mein Umgang und unser Verkehr bewegt sich nur in Kreisen unseres Standes.

Ich habe manchmal große Bange, daß Sie sich nicht wohlfühlen können, wenn Sie mein Elternhaus einmal betreten.

Ich danke Ihnen so sehr für Ihren Brief, mein lieber [Roland]. Sie schenken mir so viel — wie würde es leer um mich sein, wenn nie mehr ein Brief von Ihnen käme.

Ja, ich glaube daran, daß ich noch wachse und ich bitte Sie darum: Seien Sie mein Gärtner, denn ich brauche Ihre starke Hand. Ich will mich Ihnen immer anvertrauen, ohne Scheu. Ich sagte Ihnen schon einmal: Ich lasse Sie nicht, Sie schicken mich denn fort.

Und ich werde den Herrgott bitten um Kraft, daß ich Sie nicht enttäusche — daß Sie Freude haben können an der Ernte.

Ich glaube es und ich fühle es oft selbst, daß ich noch unfertig bin. Und ich danke es Ihnen, daß Sie es nicht als Mangel und einen Fehler ansehen — ich danke Ihnen, daß ich mich an Sie, als meinen Beschützer anlehnen darf.

Sie loben meine Güte. Ich verschenke sie manchmal, ohne mir dessen bewußt zu sein. Güte wird selten vergolten.

Ich kann nicht mürrisch und ungefällig sein deshalb. Aber im Inner[e]n bin ich manchmal doch ein wenig traurig darüber. Habe ich aber erkannt, daß ein Mensch meine Güte verdient, so schenke ich sie ihm ganz.

Sie halten sich für weniger gütig? Sie sind im Unrecht. Ihr Beruf und Ihre Lebensart lassen Sie das vielleicht garnicht so fühlen — es treten Strenge und Gerechtigkeit mehr in den Vordergrund.

Aber Sie sind von edlem Charakter. (Ich will garnicht schmeicheln! Auch der bescheidenste, anspruchslosigste [sic] Mensch, muß seines Wertes dann und wann einmal versichert sein).  Und glauben Sie, daß eine [s]olcher der Güte entbehrt? Das haben Sie mir bewiesen, das beweisen die Aussagen der Menschen, die um Sie waren.

Ich mühe mich gerecht zu sein, mit meiner Güte zu Ihnen.

Das eine, von dem Sie in Ihrem Briefe schrieben, habe ich recht verstanden. Es stimmt mich nicht traurig. Es ist etwas Heiliges um einen Kuß.  Bevor wir einander nicht gewiß sind, wollen wir dieses Heilige nicht entweihen. Ein echter Kuß will geschenkt sein aus dem Gefühl einer tiefen, innigen Zuneigung. In der Minute, in der wir das Verlangen in uns haben, den andern Menschen dieser Zuneigung gewiß zu machen, wird der echte Kuß geboren. So ist mein Glaube.

Ein echter Kuß läßt sich nicht befehlen. Und ich will Sie jetzt nicht wieder küssen. Ich schäme mich nicht gerne vor Ihnen. Daß ich mich einmal vergaß, haben Sie mir verziehen, lieber [Roland].

Die weiße Pracht ist nun zerronnen — aber heute schneite es schon wieder. Vielleicht kann ich mich doch noch mal am Wintersport erfreuen. Montag am 9. will ich wieder arbeiten, dann kann ich tun was ich will — dann bin ich frei!

Frei von den verhaßten Vorsichtsmaßregeln des ‚ollen Doktors' und der Mutter.

Ob ich am 14. und 15. nach Lichtenhain komme? Ich überlegte schon hin und her. Wir würden uns Sonnabends in Dresden treffen, gehen vielleicht ins Theater, kämen spät heim. Am andern Tag müssen Sie arbeiten. Ich würde mir natürlich die Aufführung auch ansehen.

Da sind die vielen Neugierigen, Ihre Kollegen! Sie würden mich vielleicht gegen Abend ein Stück heimbegleiten, müßten deshalb recht eilen. Womöglich klappt es garnicht mit der Zugverbindung. Und nach meiner jetzigen Pa[u]se könnte ich nicht erst am Montag im Geschäft anfangen, der ‚Gnädige' würde eklig sein. Ich denke es ist besser, wir treffen uns am 23. Januar. Was meinen Sie dazu?

Nun soll der Brief endlich in Ihre Hände gelangen. Sind sie wohlauf? Ruhen Sie sich noch recht gut aus, am Montag werde ich besonders Ihrer gedenken! Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Start! Mutter will Ihnen erst schreiben, wenn Sie wieder in Lichtenhain sind. Die Eltern lassen Sie grüßen.

Voll Dankbarkeit, voll Hoffnung und Vertrauen drücke ich Ihre liebe Hand ganz fest und grüße Sie recht herzlich, mein lieber [Roland],

Ihre [Hilde].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946