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[OBF-381226-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 2. Weihnachtsfeiertag 1938.

Mein lieber [Roland]!

Am Heiligabend war ich fest entschlossen, auch mit den Eltern einig, heute bei Ihnen in Lichtenhain zu sein. Um den Weg hatte ich keine Angst, ich hätte Sie auch bestimmt irgendwo gefunden, wären Sie nicht zu Hause gewesen. Am Abend wollte ich zurück.

Sie dürfen sich nicht ängstigen, krank bin ich nicht. Nur sehr erkältet. Am ersten Feiertag war mein Hals fast zu, ich trank Tee und gurgelte, hielt mich warm — umsonst. Heute bringe ich keinen klaren Ton heraus, manchmal schwindelt mir ein wenig; doch sehr hoch ist die Temperatur nicht. Ich hab am Heiligabend in der Kirche gefroren. Ich bin ein wenig traurig, daß es so kommen mußte. Die Eltern lassen mich nicht hinaus, Mutter ist ängstlich weil in Limbach Diphteritis ausgebrochen ist. Doch mir tut ja der Hals nicht weh, ich bin nur stark heiser .

Die Eltern hatten Mutters Schwester in Chemnitz unseren Besuch für heute versprochen; sie wollten aus Rücksicht auf mich dableiben, doch ich hab alles angewendet sie zum Gehen zu bewegen.

Nun bin ich so froh — fast einen ganzen Tag allein, mit meinen Gedanken bei Ihnen, lieber [Roland].

Sie ahnen ja nicht, wie glücklich Sie mich gemacht haben, kein geschriebenes Dankeswort dünkt mich recht, Sie davon zu überzeugen. Ich selbst wollte zu Ihnen kommen und Sie sollten es sehen, Sie sollten in meinen Augen lesen, wie sehr ich mich freue und Ihnen danken möchte.

Am Sonnabend früh holte ich das Paket von der Post, voll heimlicher Erwartung trug ichs heim und stellte es unter den Christbaum.

Dann kam der Abend. In der Kirche kam ich mir vor wie ein großes, ungeduldiges Kind, das die Zeit nicht erwarten kann. Luise fragte mich, ob ich Fieber hätte, meine Wangen wären so heiß und die Augen würden glänzen.

Meine Gedanken waren nur bei Ihnen.

Es war eine rechte Weihenacht [sic]. Lautlos, unaufhörlich fielen die Schneeflocken; eine feierliche Stille umfing uns, als wir das Gotteshaus verließen. Gestärkt im Glauben und mitten hineinversetzt in das Wunder der Christnacht hatte uns der Geistliche mit seinen Worten.

Ach, ich bin so reich beschenkt worden.

Ihr Paket — mit zitternden Händen öffnete ich die Verschnürung, ich habe nichts aufgeschnitten. Am liebsten wäre ich ganz allein gewesen. Die Eltern waren dabei. Wie so liebevoll hatten Sie alles verpackt. Das herrliche Buch, Ihr Engel der liebe Gesell, dieses einzig schöne Armband, Pfefferkuchen und auch noch mein heimlicher Wunsch — Sie selbst, mein lieber [Roland], auf dem großen, schönen Bild.

Es war zu viel. Ich habe mich überfreut — das ist, wenn ich weinen muß. Einen so wunderschönen Heiligabend habe ich noch nicht erlebt. Ich hatte Ihre beiden lieben Briefe gelesen, den einen den Eltern gegeben — ich stand vor Ihren Geschenken und ich fühlte etwas in mir, das war wie ein großes, heiliges Feuer. Ich mußte weinen — haltlos. Daß dieser Heilige Abend ein ungewöhnlicher war, haben wohl auch die Eltern gefühlt. Mutter trat zu mir und umschlang mich mir ihren gütigen Armen, auch sie weinte — und Vater, sonst stets verschlossen, drückte meinen Kopf an sich und strich darüber hin mit den Worten: „Mein Mädel, ich wünsch Euch ja alles Gute!” Wenn er sich auch gleich darauf in der Küche etwas zu schaffen machte, ich war doch über diese seltene Liebkosung so dankbar und froh — weil ich gewiß war, daß unter seiner äußeren Gleichgültigkeit doch kein völlig liebarmes Herz schlägt.

Es waren keine Tränen des Schmerzes und des Kummers — sondern Tränen der Freude und der Rührung. Ich bin deshalb nicht senti[men]ta[l.] Es kam über mich, plötzlich — wie ein anderes Empfinden, dem ich Ausdruck geben muß und ich schämte mich nicht.

Es war wohl auch recht so, daß ich die Tränen nicht zurückdrängte; denn hätte ich sonst die Liebe der Eltern und die Zusammengehörigkeit so sichtbar gespürt?

Der Abend verlief in schönster Eintracht. Der Baum brannte und ich hatte ‚Geselle’ (so taufte ich ihn!) in jede Hand ein Licht gedrückt, auf dem Tische stehen, neben ihm Sie, im silbernen Rahmen.

Mein Kleinod am Arm. Ich wage es kaum anzufassen, so fein und hauchzart wie Spinngewebe ist die Arbeit. Ich sah noch nie so eins. Mir gefällt es ja so sehr, ich bin ganz selig und die Eltern haben gestaunt und sich mit mir gefreut. Doppelt wertvoll ist es mir durch seine Herkunft und Geschichte geworden. Ich werde es sehr liebhaben. Wie nur, wie soll ich Ihnen erkennen lassen, wie unendlich dankbar ich Ihnen bin.

Fast bin ich erschrocken, als ich die Schachtel in der Hand hielt mit der Aufschrift ‚Jagdschrotpatronen’ [sic]. Sie gefährlicher Mann, wie können Sie das nur einer ‚Dame’ antun?

O, Sie sind wieder um einige Grad gestiegen in meiner Achtung, wie Sie das Verpacken nach Ihrem Wunsche arrangierten. Die Anschrift des Schmuckpaketes, schön ausgeschnitten, kommt in meine Sammlung, als ewiges Andenken an das erste Weihnachtsfest.

Wir saßen alle drei auf dem Sofa und blätterten in Ihrem Buche. Ich wußte noch nichts von den Blauen Büchern, daß Sie mir damit eine sehr große Freude und Überraschung bereiteten, haben Sie sicher schon geahnt. Es fehlte nur noch ein Radio, am Heligabend lä[r]men ja die Glocken aller deutschen Dome die Christnacht ein; dann hätten wir außer dem Betrachten dieser herrlichen Bauwerke auch noch ihr Geläut gehört.

Denken Sie nur lieber [Roland], Mutter hat mir alles fehlende Silber geschenkt: 1 Dutzend Bestecks [sic], 1 Dutzend Kuchengabeln und die letzten 6 Speiselöffel. Dann schenkten mir die Eltern noch Bettücher [sic], Paradekissen, Unterwäsche, Frottierhandtücher. 2 Stück schenkte mi[r] Großmutter, nun hab ich zusammen 15 Stück, ob die reichen?

Seife und all die Leckereien, die zum Fest gehören.

Meine Chefin schenkte mir ein schönes Badetuch, Schokolade und Lebkuchen. Vom Chef bekam ich einen Briefumschlag mit 10 RM Inhalt. (Für die Reisekasse!)

Auch Vater und Mutter sind sehr zufrieden mit ihren Geschenken. Ich las den Brief den Sie an die Eltern richteten und ich sage Ihnen mein Lob und meinen Dank.

Mutter wird Ihnen schreiben.

Die Aufführung ist im Gange, wird alles gut gehen?

Ich glühe wieder sehr im Gesicht — werden Sie an mich denken, oder ist es das Fieber?

Waren Sie traurig, weil kein so schöner Weihnachtsbrief beilag? Ich kann das nicht so schön wie Sie. Aber ich schrieb die wenigen Zeilen mit viel Liebe.

Ich wäre froh, wenn Ihnen die Truhe gefällt. So schön und eigenartig wie das Armband ist sie nun freilich nicht. Doch es war die Schönste, die ich in Chemnitz fand; es sind nur wenig Geschäfte, in denen es Truhen aus Holz gibt. Gerne hätte ich sie ohne diesen Schmuckeinsatz gehabt, mir sagte ihre Form zu und ich liebe das Mahagoniholz. Und wieder spielte das Schicksal seltsam. Sie kauften den Schmuck und ich die Schmucktruhe.

Sind die Blumen wohlbehalten angekommen? Das ist meine Sorge gewesen. Ich bin jetzt doch ein wenig matt. Ich trinke fleißig Salbei und dann mache ich ein heißes Fußbad und gehe schlafen. Ich stelle Ihr liebes Bild aufs Nachttischchen; es wird schon wieder gut werden. Bis wir uns wiedersehen bin ich ganz gesund und munter.

In 6 Tagen beginnt das neue Jahr. Was wird es uns bringen? Lassen Sie es uns beide mit Hoffnung und Vertrauen beginnen und in Gemeinschaft mit dem, der uns leitet. Wir wollen den Glauben aneinander nicht verlieren und ich will Gott bitten um Kraft, Sie zu verstehen — Ihnen alles zu sein. Die Liebe zu Ihnen wird mir helfen, alles Schwere zu überwinden.— Nun wünsche ich Ihnen noch recht frohe Tage der Erholung im Elternhause, mein lieber [Roland]. Behüt Sie Gott! Ich drücke Sie aus tiefstem Herzen dankend ganz fest an mich und grüße Sie recht herzlich als

Ihr liebes Friesenkind [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946