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[OBF-381220-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 20. Dezember 1938.

Mein lieber [Roland]!

Weil es doch diesmal Ihr Geburtstagsbrief ist, darf ich diese Anrede gewiß gelten lassen. Vielleicht bleibt sie bestehen, im neuen Jahre?

Ist es Unrecht, wenn ich zuerst wage, den Anfang ein Grad herzlicher zu gestalten?

Beim Briefschluß trugen Sie sich als Erster mit dem Gedanken, ein wenig mehr Herzlichkeit hineinzulegen. Wir arbeiteten dann beide daran. Obgleich ich den Schluß Ihrer Briefe niemals ohne Nachdruck las, so ist doch eine große, heimlich Freude dabei, wenn ich die Unterschriften der Briefe vom Anfang bis jetzt durchgehe und sehen kann, daß die Freundschaft und das Vertrauen zwischen uns nun schon so groß sind, daß wir niederschreiben, was wir füreinander empfinden. Und ich kann nicht glauben, daß Sie mich jetzt verurteilen würden, nachdem ich doch am Sonntag etwas weitaus Schlimmeres tat — Sie waren nicht böse, oder entsetzt, wie ich das wagen konnte — ich musste, ich konnte einfach nicht anders. Ich habe Sie lieber als meine Mutter; denn sie küßte ich noch nicht auf den Mund.

Hinterher hab ich mich sehr geschämt. Was mußten Sie in dem Augenblick von mir halten?

Die Erklärung wurde mir, als Sie mich baten, nicht traurig zu sein; aus Ihren Worten spürte ich wieder, daß Sie mich doch ein wenig gern haben — daß Sie meine Impulsivität nicht erschreckte und abstieß. Soll ich Ihnen sagen, wie mir war, als ich Sie nahe bei mir fühlte?

Wenn im Vorfrühling die Schneeglöckchen sehnend die Köpfchen recken, nach einem Sonnenstrahl und er huscht dann schnell einmal über sie hin, küßt ihre blassen Gesichter — dann ist es, als wenn sie leise darunter erzittern und ein Ahnen sie erfüllt, eine selige Vorfreude auf den Frühling, der kommen wird.

Ebenso war es in meinem Herzen. Der Lenz des Lebens, der vor mir liegt, das Ahnen der Weltenseligkeit, das mehr Traum als Wachen ist. Mir hängt der Himmel voller jubelnder Geigen und begleitet mich mit seiner Melodie.

Freilich, es wird sich noch mancher Mißton einschleichen, das bleibt mir nicht erspart; aber es soll mich nicht anfechten.

Wir wollen beide glücklich sein. Ich will durch nichts irre werden an Ihnen.

Wie im Traum ging ich zum Zuge und ich bin gut zu Haus angelangt. Glücklich war ich und doch traurig zugleich. Traurig über unsere Trennung.

Glücklich denke ich an die beiden schönen Tage. O, ich habe Ihnen nicht einmal gedankt für ihre Güte, lieber [Roland]. Ich hole es nach und danke Ihnen recht, recht herzlich für alles.

Zu der Nacht vom Sonntag zum Montag schlief ich sehr wenig, immerzu dachte ich an Sie.

Heute habe ich das Herz gegessen, allein.

Welches schmeckte wohl besser?

Die anderen Pfefferkuchen schenkte ich den Eltern in Ihrem Auftrage! Sie freuten sich und lassen vielmals danken. Mutter war ein wenig stolz über Ihr Lob!

Mein linkes Ohr hab ich erfroren, doch es kommt wieder zu sich, es brummt tüchtig und sieht rot aus. Haben Sie keine Angst, es bleibt sicher dran.

Mein liebes Geburtstagskind, an Ihrem Wiegenfeste werden alle meine Gedanken bei Ihnen sein, alle meine Wünsche geleiten Sie ins nächste Lebensjahr. Möge es Gott Sie unter seinem Schutze recht und glücklich erfüllen lassen; Ihren Lieben, Ihren Kindern und Mitmenschen und nicht zuletzt auch mir zur Freude.

Ich will Gott bitten, daß er Sie mir noch lange, recht lange erhält, daß er uns beiden Kraft und Geduld schenkt und seine gütige Hand hält über unsere Freundschaft.

Ich hoffe, daß ich Ihnen ein wenig Freude schenken kann durch meine Zeilen und ich drücke Ihre liebe Hand voll Hoffnung und Vertrauen ganz fest, mein lieber [Roland]. Nochmals die besten Glückwünsche auch im Namen der Eltern und recht herzliche Grüße von

Ihrer [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946