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[OBF-381220-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 20. Dez. 1938.

Liebe [Hilde]!

Nun ist Weihnachten heran. Als Kinder haben wir uns eigentlich nur darauf gefreut, auf diese freudvolle, geheimnisreiche Zeit, in der auch die Erwachsenen Freude empfanden und sich den Kindern so ganz widmeten. Heute beschränkt sich diese Freude bei mir wirklich nur auf die tiefe und ernste Freude, die uns Menschenkindern das Weihnachtsfest bringt: Gott erbarmte sich der Welt, er sandte seinen Sohn, nahm selbst an unsrer Menschheit teil, wir Menschen brauchen nicht mehr im Dunkel zu tappen.

Diese Freude schwingt in unseren schönsten Weihnachtsliedern. Am Heiligabend an der Orgel zu sitzen und in einem großen festlichen Lobgesang mitzusingen, das ist für mich der Inbegriff wahrer Weihnachtsfreude. Zweiten Ranges ist dann die Freude auf ein paar traute Stunden im Familienkreise. Je älter man wird, desto ernster stimmen alle die Feste, die nur einmal im Jahre erscheinen. Man denkt zurück und denkt voraus: Wo und wie werden wir es im nächsten Jahre erleben? Voriges Jahr spiegelten sich des Christbaums Lichter noch in Großmutters Augen. Auch bei ihr trat der Gedanke jedes Jahr mehr in den Vordergrund: Werde ich es noch einmal erleben? Wie sie es in letzter Zeit des öfteren tat, sie setzte sich abseits, als wollte sie sehen, wie sich unsre Familie ohne sie ausnehme. Der Gedanke an die liebe Großmutter kann mich recht traurig machen, vor allem deswegen, weil sie sich gegen Ende so allein, verlassen und unverstanden fühlte. Den letzten Kampf bestand sie ganz allein. Und wenn am Weihnachtsabend die Kerzen erstrahlen, dann werden meine Gedanken vor allem in die Zukunft gehen, zu Ihnen, wie könnte es anders sein?

Und es werden meist ernste Gedanken sein, und sie werden in dem Wunsche münden: liebe, liebe [Hilde], enttäusche mich nicht! Und weil die Erfüllung dieses Wunsches gar nicht bei Ihnen allein liegt, so werden sie in dem Gebet münden: Gott möge Ihnen Kraft schenken und alles zum Besten wenden.

Wir wären aber undankbar, wollten wir nicht auch froh sein. [sic] an diesem Weihnachtsabend. Mitten unter den anderen wird es mich mit heimlicher Freude erfüllen, ein Herz zu wis[se]n, das mir liebend und sorgend schlägt, einen Menschen zu wissen, der mich als sein Liebstes umfangen hält mit der Bitte: Laß mich nicht allein! Wurde uns nicht viel geschenkt im vergangenen Jahre mit uns[e]rer Freundschaft?

So froh und mit allen Gedanken dabei habe ich noch nie geschenkt als Ihnen dieses Jahr. So gesorgt habe ich mich noch um kein anderes Geschenk. Das schreibe mich, daß Sie sich recht darüber freuen sollen, liebe gute [Hilde]!

Nun wünsche ich Ihnen und den Ihren ein recht frohes Fest, erholen Sie sich auch ein wenig und ruhen Sie aus.

Hoffentlich kommt das Paket rechtzeitig und wohlbehalten in Ihre Hände.

Ist Ihnen der Sonntag gut bekommen? Haben Sie sich erkältet? 3/4 12 kam ich nach Hause. Ich bin wohlauf, die Ballen schmerzen heute noch ein wenig von dem Trippeln.

Die Eltern bekommen diesmal einen besonderen Gruß.

Gott behüte Sie mir!

Ich halte Ihre liebe Hand umfangen voll Hoffnung und Vertrauen und grüße Sie recht herzlich

Ihr [Roland].



Liebe [Hilde]!

Zu meinem Geschenk eine kleine Geschichte.

Gern hätte ich Ihnen ein seltenes, kostbares Geschenk gemacht. Kostbar ist dieses nun nicht, aber selten und seltsam ist es, selten ist es nach Herkunft und Geschichte, und wegen dieser Geschichte hänge ich selbst an diesem Geschenk. Und wenn Sie es noch liebgewinnen, dann ist es ein Geschenk, das uns verbindet.

Im Sommer 19361937 weilte ich auf der Nordseeinsel Amrum, die Insel, auf der ich nicht schlafen konnte. Ich wohnte bei einem Kaufmann, in Pension war ich bei A. Petersen. Die Pensionsmutter — ich habe kaum zweimal mit ihr gesprochen — sagte beim Abschied: „Wir werden noch von Ihnen hören.” Diese Worte berührten mich so seltsam, daß ich sie mir gemerkt habe. Auf Amrum trugen die Frauen zu Ihrer Tracht schönen Schmuck, und es gab 2 Goldschmiede auf der Insel, die schöne Silberfiligranhandharbeiten herstellten. Für Schmuck hatte ich mich kaum noch interessiert. Immerhin, einige Stücke gefielen mir. Ich kaufte aber damals nichts, ich hatte keine Verwendung dafür.

Alles das kam mir wieder in den Sinn, als ich an ein Geschenk für Sie dachte. Vor 4 Wochen war es, da durchschoß mich der Gedanke, du könntest eines von der Insel bestellen. Aber nun waren mir sowohl der Name meiner Wirtsleute als auch der Pensionsleute entfallen.

Ich grübelte und sann. Den Namen meiner Wirtsleute weiß ich heute noch nicht. ‚Petersen’, darauf kam ich, hieß die Pension. Aber Petersen gibt es da eine Menge. Nun der Vorname: Harald Petersen? ja, nein, ja, nein.

Ich gab den Plan nun halb auf, und wollte in Dresden nach Friesischen Filigranarbeiten fragen. Das tat ich denn auf — aber ich fragte vergebens. Nun lief ich recht bedrückt durch die Straßen. Ich dachte wieder an meine Insel. Harald Petersen.

Waisenhausstraße: Hadrian Petersen. Und auf der Schloßstraße — wie habe ich mich gefreut — fand ich den Vornamen: Arjan Petersen. Ich war so froh. Noch im Eisenbahnzug habe ich zwei Schreiben aufgesetzt, eines an Arjan Petersen, den ich bat, meinen Auftrag einem Goldschmied zu geben, und ihm für meine Vertrauenswürdigkeit zu bürgen, eines an den Goldschmied mit der Bitte, mir einige Armbänder zur Auswahl zu schicken.

Vorigen Freitag kam wirklich die Sendung an.

Ich übersende Ihnen das Geschenk in seinem ‚Originalpaket.’

‚Mein Mädchen aus dem Westen,’ das waren Sie bisher schon. [sic] und nun mit diesem Geschenk auch ‚mein liebes Friesenkind.’ Es ist ein wenig mehr als Spielerei, wenn ich Ihnen diese beiden Namen anhänge. Meine Sehnsucht geht manchmal so weit. Nach dem Westen habe ich von je einen Hang. Dreimal lieber fahre ich von uns zu Haus nach Dresden als ostwärts nach Görlitz. Von meiner Sympathie für die Engländer wissen Sie ja auch.

Und nach dem Norden, in das weite, unendliche Land mit seinen stillen, ernsten, schweren Menschen bin ich immer gern gereist, fünfmal war ich schon da in den großen Ferien. Mehr im Ernst als im Scherz, sagten meine Wirtsleute damals: Nehmen Sie sich doch eine Friesin mit. Die Friesin sind ein vorwiegend nordischer Volksstamm: blond, blauäugig, groß, schlank, von edlem Charakter. (Meine Wirtsfrau war freilich eine Ausnahme von der Regel, was den Körperbau betraf).

Wenn Ihnen dieses Geschenk gefällt, soll es mich recht freuen.

Es ist nicht kostbar, aber es ist selten nach Herkunft und Geschichte. Ich liebe das Seltene. Sie lieben es auch. Seltsam hat das Schicksal schon zwischen uns gespielt. Selten, liebe [Hilde], nicht gewöhnlich, nicht alltäglich, muß auch der Bund fürs Leben sein.

So wie dieses silberne Band in unmittelbarer Verbindung steht zu einer meiner seltsamer Sehnsüchte, so sei es als Geschenk sichtbares Zeichen meiner Sehnsucht und der Hoffnung darauf, daß mir in Ihnen die rechte Lebenskameradin geschenkt werden möchte.

Von den zur Wahl stehenden wählte ich dieses breite, es war die beste Arbeit (Handarbeit) und als Silberfiligranarbeit die originellste. So breit und fest, wie dieses silberne Band Ihren Arm umschlingt, so sollen Sie meine Hoffnung und meine Wünsche Sie begleiten und Sie in ihren Bann ziehen, mein liebes Friesenkind.

Ihr [Roland].

Die beiden wachthabenden Engel haben sich nun trennen müssen. Der eine wird nun auf Wache ziehn unter Ihrem Christbaum, der andere unter unserem, unter meinem Christbaum. Er soll nicht Familienbesitz werden, sondern Ihr Privateigentum bleiben. Wenn Sie ihn ansehen, dann denken Sie daran: sein Gesell steht bei mir.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946