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[OBF-381207-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 7. Dez. 1938

Liebe [Hilde]!

Es war am Dienstagnachmittag. In der Lesestunde zwischen 3 u. 4 faßte ich den Entschluß, 1/2 5 zur Post zu gehen. Es muß etwas dasein, dachte ich. Es war, als hätte es mich hingezogen.— Alle Briefsachen waren durchgeblättert — nichts. Halt! Doch, ein Paket. Ich stutze, lese den Absender, Ihre Schrift. Ein Schreck durchfuhr mich zuerst. Auf dem halben Wege war ich im Ungewissen, was ich da noch heute traug [sic]. So leicht? Schickt Sie mir die Briefe zurück? — Doch dann wurde es mir zur Gewißheit: Sie schickt mir einen Kranz, einen Kranz! Und nun schnell hinauf und ausgepackt! Nicht aufschneiden, schön die Knoten auflösen, die Ihre Hände geknüpft haben.

Eine liebere Antwort konnten Sie mir nicht schicken. Ich danke Ihnen, liebe [Hilde].

Heute Mittwoch kam nun auch Ihr Brief.

Das war mein Zweifel:

Nach Ihren Worten malte ich mir das aus: Der junge Mensch hat Ihnen mit beredten Worten seine Zukunfstpläne entrollt, er hat Ihnen Lob gezollt für Ihr Verständnis und Ihre liebe Art — und Sie hätten, von der jungendlichen Schwung, Kraft und Wertschätzung beeindruckt, an der Kraft aber, mich zu gewinnen, zweifelnd, ihm ein ganz klein wenig Hoffnung gemacht. Wäre es so gewesen, ich hätte es verstanden und Ihren verziehen, liebe [Hilde]. Ich mache es Ihnen so schwer, ich lobe nicht so leicht; wir haben uns über das Loben schon einmal unterhalten.

Und darum bangte ich:

Sie sind bescheiden. Ihre Vorzüge fallen nicht so leicht in die Augen. Ich habe sie langezeit übersehen und Sie verkannt. Vielleicht würde ich leicht ein anderes Mädchen finden von ähnlichem äußerem Liebreiz. Aber wo ich lieben soll, muß ich auch wert schätzen. Das kann nicht auf den ersten Blick sein. Kommt hinzu, daß Umstände äußerer Art unser Kennenlernen erschweren.

Darum bangte ich: Daß Sie mir die Möglichkeit und den Weg, Sie recht kennenzulernen, versperren könnten dadurch, daß Sie Ihr Vertrauen teilten.
Es wäre mir sehr schmerzlich gewesen.

Ich werde kein Mädchen wiederfinden das so mir vertraut und mich liebt. Ich lernte manch anderen Vorzug an Ihnen schätzen.

Ihre Antwort aber, liebe [Hilde], Geschenk und Brief, in ihrem feinen Verständnis, in ihrer Hochherzigkeit, Güte und Liebe, hat meine Hoffnung steigen[,] steigen lassen. Ich drücke Sie voll Dankbarkeit fest an mich, liebe [Hilde]!

Ich lasse Sie so leicht nicht los.

Es bleibt nichts zu verzeihen.

Möchte Ihnen meine Sorge um unsere Freundschaft — ich schelte mich, daß sie übertrieben war, und daß ich Sie so damit ängstigte — ein kleiner Beweis meiner Wertschätzung sein. Gerade am Montag empfand ich es dankbar: Ich bin gewachsen, seit Freundschaft uns verbindet. Sie nötigten mich, mir Rechenschaft zu geben, streng und ehrlich zu mir selbst zu sein[,] mehr als vorher. Weil ich mich nun um meinen und Ihren Weg sorge, sehe ich klarer und schärfer.

Liebe [Hilde], ich möchte in Ihren Augen nicht als ein eifersüchtiger und engherziger Mensch stehn. Ich mag über den jungen Menschen nicht triumphieren. Sie sollen ihn vor sich selbst und vor mir nicht herabsetzen. Ich gönne ihm alles Gute. Es spricht für ihn, daß er an Ihnen Tugenden lobte, die nicht alltäglich sind und gleich in die Augen springen. Ja, daß die Sorge so dunkel vor mir aufstieg, war nur möglich, weil ich ihn für so ernst halte wie mich selbst. Ich versetzte mich in seine Lage: Er verehrt eine Dame. Sie sieht ihn gern. Er weiht sie in seine Pläne ein, sie zeigt Teilnahme und Verständnis, eine Hoffnung steht auf in ihm. Ist er ernsthaft und treu, wird er die Hoffnung festhalten — die Hoffnung wird greifbar mit den Erfolgen in seiner Laufbahn — — — — da erfährt er, daß die Dame schon gebunden ist. In dem Augenblick mußten Sie uns[e]re Freundschaft erwähnen, als Sie merkten, daß er sich Hoffnungen macht. Sie durften ihm auch im Vertrauen meinen Namen nennen, wenn er an der Güte dieser Freundschaft zweifelte.

Ich will nicht Rechenschaft über jedes Wort, das Sie geweschelt haben, ich vertraue Ihnen ganz. Sie dürften ihn täglich begleiten und sich lange mit ihm unterhalten, Sie dürften ihm schreiben, ich wollte nicht argwöhnisch sein, wenn Sie mir Ihr Vertrauen nicht teilen, bis wir uns kennen. An dem Tage, das wir uns erklären, sollen Sie frei entscheiden, ohne Rücksichten — Dankbarkeit und Mitleid wären falsche Rücksichten — Sie sollen um Aufschub bitten, wenn Sie noch schwanken, und wenn Sie dann erst noch die Bekanntschaft des Anderen zu machen wünschen, ich will es Ihnen nicht verargen — der Liebste muß ich Ihnen sein, wenn Sie Ihr Jawort geben.

Mein Dienst am Sonntag dauerte bis gegen 5. Ich war froh, als ich wieder allein sein konnte. An der Elbe entlang bin ich gegangen bis nach Rathen. Sie kennen ein Stück dieses Weges (Sie kennen schon eine ganze Anzahl meiner Wege). Liebe [Hilde], wenn ich daran denke. "Helfen will ich ihr wenigstens", das war die Summe dieses Tages. Ein wenig bang war mir zumute. Sehnte ich mich doch danach, selber mich anzulehnen. Sie sind gewachsen seitdem, und ich habe erfahren, daß Sie stark sind; einmal habe ich mich schon anlehnen dürfen.

Ihr schöner, grüner Kranz mit den 3 Kerzen steht neben dem Sofa auf einem Korbtischchen. Frau H. hat es ganz aus freien Stücken aufgestellt. Gestern stellte sie eine Vase mit den letzten Rosenknospen daneben. Noch am Dienstagabend habe ich die Kerzen angezündet. Da stand der Kranz noch auf dem Spiegeltischschen. Vom Sofa aus sah ich vier Lichter. Die vierte Kerze, liebe [Hilde], gebs Gott, daß ich sie übers Jahr dazubringen kann. Wie sie heißen müßte? —

Ich schicke den Brief so ab, daß Sie ihn schon Sonnabend in Händen haben. Sie sollen am Sonntagmorgen Ihr Köpfchen recht froh ins Kissen drücken, so froh wie am 1. Advent und noch ein bißchen mehr, liebe [Hilde]!

Sind wir so launisch? Heute froh und morgen betrübt?
Ich glaube, es sind die Fesseln, die wir uns freiwillig auferlegten, sie sind noch ungewohnt, Heute spüren wir sie froh, morgen schmerzend, und eben hatten Sie sich ein wenig verfitzt. Es wird besser werden. Unsre Freundschaft aber wollen wir davon nicht erschüttern lassen.

Bitte, sagen Sie Ihrer Mutter Dank für ihren Dienst und grüßen Sie Ihre Eltern. Sollten Sie um einen Büchereiwunsch verlegen sein[.] Lassen Sie sich einmal etwas von Theodor Fontane geben.

Morgen Sonnabend will ich einmal nach dem Weihnachtsmann ausschauen in Dresden. Am Sonntagnachmittag um 4 ist Kirchenkonzert. Hoffentlich bleibt mein Hals frei. Ich will mir recht viel Mühe geben, Gott zur Ehre, dem Werk zuliebe. Und was am Lob dabei abfallen mag, das möchte ich gern Ihnen schenken.

Verleben Sie den dritten Advent recht froh. Ich will fleißig Ihrer denken. Gott behüte Sie mir.

In Dankbarkeit, in Hoffnung und Vertrauen drücke ich Ihre Hand ganz fest, liebe [Hilde], und grüße Sie recht herzlich

Ihr [Roland].

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.381207-001-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946