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[OBF-381110-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 10. Nov. 1938.

Liebe [Hilde]!

Sie dürfen Ihren Beitrag zu unsrer Freundschaft nicht gering achten. Liebe und Güte sind Tugenden des Herzens. Sie sind heute so selten. Überall regiert der kalte Verstand, der Vater des Zweifels. Auch ich bin der Liebe entwöhnt. Hart war ich oft gegen mich selbst. Hart macht unser Beruf, auch der Bruder klagt darüber. Jahrelang schon bin ich auf mich selbst gestellt, ich freunde mich nicht leicht jemandem an, die meiste Zeit bin ich auf mich selbst angewiesen. Was Wunder, wenn es mir nicht gleich gelingen will, mich einem Menschen von Herzen zu widmen? Lassen Sie mich nicht so leicht los und verzagen Sie nicht so leicht, wenn ich mich wieder einmal verschließe und zurückziehe. Liebe werkt Zutrauen. Glauben Sie, ich hätte einem liebearmen, verstandeskühlen Mädchen meine geheimen Gedanken so schlicht und ernst anvertrauen können? Niemals. In dem Maße, in dem der Verstand über den Menschen Herrschaft gewinnt, verkümmern Herz und Gemüt. Ich glaube, daß mein ganzer Mensch sich ein wenig modelt an der Seite einer lieben Frau, daß er sich ändert und löst zu seinem Gewinn.

Wir Männer sind ungerecht und egoistisch: Wir messen ein Mädchen zuerst an den männlichen Tugenden. Ihre weiblichen Tugenden zu bewähren hatten Sie ja noch kaum Gelegenheit. Sie dürfen mir glauben, daß ich sie nicht gering schätze. Ich möchte schon gern einmal zusehen, wie Sie mit Ihren langen, gemessenen Bewegungen in Küche und Keller umsichtig und liebevoll schalten und walten. Diesen Tugenden in Ihnen vertraue ich voll und ganz, ohne daß ich sie kenne.

Die Sprache des Verstandes ist die scharfgeschliffene, wohlgeformte Rede. Das Herz bedarf der Worte nicht, wenn es sprechen will. Die Sprache des Verstandes ist mein tägliches Handwerkszeug. Der Umgang mit vielen Menschen, den der Beruf mit sich bringt, führt dazu, daß man oftmals sein Herz auf der Zunge trägt, daß man lernt, ein teilnehmendes Wort bereit halten und rasch hinwerfen. Das ist eine Sache der Übung und brauche deshalb noch nicht in Heuchelei auszuarten. Darin sind Sie noch unerfahren (dumm, schreiben Sie).— Sie sind mehr, als Sie scheinen. Das ist gut so. Demut und Bescheidenheit sind Eigenschaften aller tiefen Menschen. Nur, eine Lehrersfrau muß auch ein wenig repräsentieren, je kleiner das Nest ist, desto mehr. Wie könnten Sie darin schon Meister sein? Ungeduldig und ungerecht war es, daß ich unzufrieden wurde. Ungerecht auch deswegen, weil ich über dem einen Mangel die mancherlei Vorzüge Ihrer Person vergaß. Sie fallen nun in denselben Fehler und sehen an sich nur Mängel. Ich freue mich auf unser nächstes Beisammensein, bei dem wir hoffentlich ungestört sind, auf Ihr frisches, natürliches, unverbogenes Wesen, das Sie sich ja erhalten sollen,— es wird alles wieder gut werden.

Also waren Sie doch auf der richtigen Spur. Dora P.. Sie sahen so böse, als Sie erzählten, sie sei krank gewesen, wahrscheinlich meinethalben. Das war auch mein Gedanke, als ich schon vorher einmal von ihrer Krankheit hörte. Ich bin an diesem Mädchen schuldig geworden mit Blicken. Es ist zwischen uns nie ein Wort von Liebe gefallen. Meine Neigung zu ihr war ein Begehren. Ihr Gang, ihre Haltung, in der Stolz und Wehmut zugleich liegt, übten auf mich einen besonderen Reiz aus. O, die Oberfrohnaer Zeit war eine böse Zeit! Ich war nun so weit, daß ich mir erlaubte, mich nach einem Mädchen umzusehen, und fand doch nicht, was ich suchte.— Eben jetzt, da ich schreibe, weiß ich Sie aus der Singstunde heimkommen. Zu meiner Zeit waren wir meist zu viert. Unter der Lampe teilten sich die Wege. Diese trat ab nach rechts; mit jener hatte ich noch ein Stück Weg gemeinsam, ein kurzes Plauderchen meist, ein Gruß, mehr höflich als huldvoll — und Sie jungen Übermut und Wildfang habe ich langezeit kaum für voll angesehen u. [b]eachtet. Damit aber die Wahrheit nicht zu kurz kommt: In den letzten Tagen meines Aufenthaltes bin ich doch auch einigemal zu nächtlicher Stunde an Ihrem Haus vorbeigestrichen. Einmal haben Sie uns, mir und Fräulein P., einige Worte nachgerufen, ich habe es damals nur als Neckerei aufgefaßt, es hat mich aber sehr verdrossen. Es ist Ihnen längt verziehen. Eigenartig und seltsam genug für Sie, wenn Sie jetzt mit den beiden andern heimgehen, es sind beide auch im Grunde gute Mädels.

Soll dieser Kreuzweg auch Kreuzweg werden meines Schicksals?

[Ic]h vertraue darauf, daß Gott es wohl hinausführt.

Vergangenen Sonnabend erreichte mich in letzter Stunde eine Karte von Bruder Soldat, ich möchte doch nach Hause kommen. Er war aus Böhmen zurück und mußte diese Woche von Dresden nach Erfurt übersiedeln. Ich habe also schnell meinen Koffer gepackt und bin Sonnabend heim gefahren, am Sonntag dann von B. nach Dresden gefahren. Von 2 - 5 dauerte die Aufführung. Ich sah „Wilhelm Tell" zum ersten Male. Ich wünschte Sie an meine Seite.

Kommenden Sonntag soll ich den Kantor vertreten, am Dienstag will ich zur Tante (die Sie nun auch kennen) nach Großröhrsdorf, werde mich dort mit den Eltern treffen, und dann am Sonnabend, will's Gott, werden wir uns wiedersehen in Chemnitz. Ich komme dahin voraussichtlich mit dem Eilzug um 1600. Verfolgen Sie in den Zeitungen die Veranstaltungen. Ich denke, daß wir Sonnabend Oper oder Schauspiel besuchen.

Am Totensonntag sind in Chemnitz meist Kirchenkonzerte, sodaß wir auch bei Regenwetter etwas vorhaben. Einzelheiten dazu können wir uns noch mitteilen.

Diesen Brief werde ich morgen mit nach Sebnitz nehmen, wo ich ihm einige Bilder einverleiben will. Die fehlenden stecken noch im Apparat, der Film ist noch nicht verknipst. Frau H. läßt herzlich danken für Ihr Geldgeschenk.

Liebe bringt Lust und Leid.

Liebe bringt manche Süßigkeit, die ist mir noch verboten. Aber wenn wir uns die Hände reichen,— freilich, es ist ein Anfang — wenn wir unsre Köpfchen zusammenstecken — Sie dürfen es verweigern — aber daß wir uns die Hände reichen, nicht und darauf freue ich mich auch. Behüte Sie Gott! und Auf Wiedersehen! liebe [Hilde]. Bitte grüßen Sie Ihre Eltern,

seien Sie selbst recht herzlich gegrüßt,

von Ihrem [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946