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[OBF-380921-001-01]
Briefkorpus

20.9.

Lichtenhain am 21. Sept. 1938

Liebes Fräulein [Laube]!

Am Montag nach unsrer letzten Begegnung [h]abe ich im Kalender geblättert — 4 Wochen, so eine Menge Blätter. Und nun sind sie fast herunter, der nächste Sonnabend schon – – –.

Herzlich willkommen sind Sie mir. „Sie kommt zu mir.”, darin liegt so viel; ein Mädchen, kein Phantasiegebilde, ein richtiges, leibhaftiges Mädchen! Zum ersten Male habe ich Damenbesuch. Das mag Ihnen zur Freude [g]ereichen, das soll mich entschuldigen, wenn ich mich ungeschickt anstelle oder es an etwas fehlen lasse. 48 Stunden werden wir aufeinander angewiesen sein. Das bedeutet einen Schritt zu größerem Vertrautsein. Ich sehe ihm hoffnungsvoll entgegen. Wir werden nicht zu hasten brauchen, Sie werden am Sonnabend nicht nach Hause zu fahren brauchen, auch am Sonntag noch nicht — Sie werden es nicht dürfen. Lichtenhain ist trotzdem noch ein dritter, unpersönlicher Ort, und unsre Begegnung soll uns die Freiheit der Entscheidung nicht verkürze[n.]

Heute Mittwoch habe ich meine Wirtin eingeweiht und ihr den Besuch der älteren dann angekündigt. Wenn ich am Sonnabend sage, daß sie erst nachts gelaufen (!) kommt, wird sie wohl ein wenig stutzen. Sie gibt sich viel Mühe, tut mehr, als ich bezahle, und liest mir manches von den Augen ab. Sie wird ihre Fürsorge auch auf meinen Besuch übertragen. Am Sonntag wird sie Gelegenheit haben, eine Probe ihrer Koch[kun]st zu geben. Wie Sie sich den Wirtsleuten gegenüber geben, werden Sie schon selbst merken. Und nun muß ich selbst noch Hand anlegen, mein Kontor aufräumen — als Kontor mit Schlafstelle betrachte ich meine Wohnung — ein bißchen wohnlich machen, noch etliches besorgen, dazwischen noch Zensuren bauen — die wenigen Tage werden verfliegen.

Sie fahren am besten 1334 [Uhr] in Oberfrohna weg. In Chemnitz nur 5 Minuten Übergang. 1411 [Uhr] geht es [s]chon weiter, Personenzug freilich. Dafür sind Sie schon 1615 in Dresden, haben eine Reichsmark gespart, und wir können eine Stunde mehr verbummeln. Sonntagskarte lösen!

Sie werden mit der Zeit noch ein ganz gewiegter Reisender werden, Fahrplan können Sie schon lesen, das können nur ganz wenig Frauen, von einem Bahnsteig zum andern sausen, auch darin haben Sie schon Übung. Um das Wetter ist mir nicht bange, es war uns bisher hold, warum sollte es anders werden? [D]ie politische Lage ist immer noch gespannt, die schlimmste Gefahr scheint mir indes gebannt. Bis Freitag wird sich manches klären.

Seit Dienstag sind in unserm Ort 200 junge Männer untergebracht, Flüchtlinge, die angeblich ein Freikorps bilden. Sie sind in Zivil, ohne Waffen, auf dem Sportplatz treiben sie militärische Übungen. Wollen wir hoffen, daß die Weltgeschichte unsrer Lebensgeschichte, die mir nicht minder wichtig scheint, nicht störend in die Quere kommt. Man möchte hoffen, daß diese unruhigen Monate einmal von sicheren, ruhigen Jahren abgelöst werden.

Dieser Brief soll bloß als ein halber gelten.

Ich bin also wieder dran mit Schreiben.

Seien Sie Ihren Eltern dankbar für ihr vertrauensvolles Gewähren, sagen Sie ihnen auch meinen Dank und herzliche Grüße.

Und nun Glückauf, hoffen, gesund bleiben, glücklich reisen — an wieviel schwachen Fäden hängt das Glück! — Gott vertrauen!

Schlafen Sie noch einmal recht lang und tief, Murmeltierchen Sie, und seien Sie noch einmal herzlich willkommen und recht herzlich gegrüßt

von Ihrem [Roland Nordhoff].

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Roland Nordhoff lehnt an einen Baum, seine Hand zum Schutz vor das Gesicht haltend, schaut er in die Sonne. Im Hintergrund Nadelbäume..

Ba-OBF K01.Ff1_.A7, Roland Nordhoff, 1938, Ort und Fotograf unbekannt.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946