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[OBF-380918-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 18.9.1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Diese vergangene Woche ist mir fast eine Ewigkeit lang vorgekommen, ich war so in Sorge um Sie. Ihre lieben Zeilen haben mich beruhigt. Nichts wäre mir schrecklicher, angenommen im Kriegsfalle, Sie müßten mit fort, ohne daß ich Sie noch einmal sehen könnte. Sie haben recht, die Leute machen si[ch] untereinander kopflos mit ihren dauernden Neuigkeiten; es beruht ja von dem vielen Gerede selten mal wirklich etwas auf Wahrheit. Ich hoffe fest auf einen glücklichen Ausgang dieser Lage. Gestern trafen hier 90 Flüchtlinge ein, sie wurden im früheren Arbeitslager untergebracht. Heute kamen noch 180 an, wie ein Samariter zu Vater sagte. Sie sollten einmal das rege Leben und Treiben sehen in Oberfrohna. Die Bauern fuhren stundenlang Stroh herbei; Bäcker, Fleischer, Krämer und wer nur irgend in der Lage ist zu spenden, setzt sich für die armen Menschen ein. Ich möchte nur wissen, wie lange sie noch aushalten müssen, ehe alles wieder geregelt ist.

Morgen werden Sie die Grüße erhalten von unserm Ausgang. Es war sehr schön — sogar das Wetter — ich hab oft an Sie gedacht. Vielleicht konnten Sie wieder mal nicht schlafen! Zu der elften Stunde traten wir alle hinaus auf die Veranda (wie Sie auf dem Bild sehen können), bei offenen Fenstern sangen wir. Wunderschön war das. Tiefe Ruhe ringsum — sternenklare Nacht — in der Ferne, ein wenig vom Nebel verhüllt, blinkten vereinselte [sic] Lichter aus den Häusern. In solchen Augenblicken wird mir der Sinn des Wortes „Heimat” so recht offenbar. Nur der weiß vielleicht die Frage, was „Heimat” ist, wahrhaft zu beantworten, der in seinem Leben einmal heimatlos war. Er allein weiß, was Heimat ist, welche Sehensüchte sie umschließt. Das hat sich tief eingeprägt in mir, dieser herrliche Abend, und friedlich lag das Land vor uns.

Ein Stück weiter — gehetzte Menschen, Unruhe, Not.

Wie grundverschieden bietet sich doch der Nacht der Anblick der Welt dar, wenn sie sich herabsenkt.

Ich wäre gern heimgegangen nachdem. Man muß sich gewaltsam zurückreißen in die anfängliche Stimmung — es ist dann ein gewisses Gefühl der Leere in einem, so vom Tanzen weg nach Hause. Man muß sich fügen, Einzelwünsche können nicht berücksichtigt werden, bei solch einem Anlaß. Wir f[u]hren gegen 1/2 1 Uhr geschlossen nach Oberfrohna zurück.

Heute sind Sie nun daheim bei Ihren Lieben. Geburtstag feiern, das ist schon ein Freudenfest und gar wenn zwei so d[ich]t beisammenliegen, wie bei Ihren Eltern. Möchten Ihnen die Eltern noch recht lange erhalten bleiben. Ich glaube, für einen der immer draußen ist, immer fremde Gesichter um sich hat, ist es ein glückliches Gefühl, zu sagen: Ich gehe heim!—

Könnten Sie mir zutrauen, daß ich Ihnen die Ferien nicht gönne? Ich habe Sie gut verstanden. Es tut mir nun Leid, daß ich Sie ein wenig traf damit. „Schämen Sie sich denn garnicht?” So war es doch, nicht wahr?— O ja, auch ich denke an die Schneeballschlacht und ich freue mich, daß Sie mich jetzt nicht sehen können. Sie gaben den Schlag gut zurück. Eigentlich denke ich gerne daran zurück, ich hätte Sie am liebsten mal so richtig gewaschen. Vielleicht gibt es wieder einmal so viel Schnee! Ich stecke oftmals so voller Übermut, na, wenn ich Geschwister hätte; so aber müssen die Eltern immer mal dran glauben. Sie bekommen doch nicht Angst vor mir?

Über Ihr Erlebnis mit der Hummel hab ich ja so lachen müssen. Ich hab mir Sie so recht vorgestellt. Stellen Sie sich nur mal mich vor in dieser Situation! Es gibt in Lichtenhain doch nicht so viele von der Sorte, oder ist es ratsamer wenn ich ein Moskitonetz mitbringe?

Mit einer erbosten Mutter haben Sie unterdessen Kampf gehabt? Darüber sprechen wir mal. Ja es wird Zeit, daß die ältere Dame kommt und nach dem Rechten sieht. Ich bin so aufgeregt und vor allem, das Lied spukt mir im Kopf herum. Ich weiß ja nicht was für eins.

Ihr Buch gefällt mir sehr gut, ich bringe es aber noch nicht mit, weil ichs gern in Ruhe lesen will. Nach dem Textbuch für die O[per] gehe ich morgen.

Ich glaube für Sonnabend ist der Zug am vorteilhaftesten, welcher Oberfrohna 14.36 [Uhr] verläßt und 17.26 [Uhr] in Dresden eintrifft. (So er pünktlich ist!).

Jetzt ist es 8 Uhr, Sie werden bald zur Rückreise rüsten und ich gehe schlafen. Wollen wir nun einen glücklichen Verlauf der nächsten Woche wünschen und hoffen auf ein frohes Wiedersehn. Nun gute Nacht, Bienenvater!

Seien Sie recht herzlich gegrüßt

von Ihrer [Hilde Laube]

Viele Grüße von den Eltern.

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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946