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[OBF-380908-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 7. September 1938

Lieber Herr [Nordhoff]!

Es ist eigentlich schwer zu sagen wie froh, wie erlöst ich war, als ich Ihre lang erwartete Nachricht in den Händen hielt. Ich bin Ihnen zu doppeltem Dank verpflichtet, und ich tue das von ganzem Herzen. Ihre Sonntagsgrüße aus der Heimat haben dazu beigetragen, mich hoffnungsvoller blicken zu lassen auf das Kommende. Nun sind alle Schatten fort — ich kann wieder froh sein. Ich will heute die Geschichte ruhen lassen, es ist keine liebe Erinnerung für mich. Es kommt sicher wieder mal eine Stunde, in der unser Gespräch darauf zurückführt.

Was mich Gott danken läßt: Daß das Gefühl in meinem Innern trotz dieses Irrtums, trotz mancher kleiner Versuchung immer gleich und was wohl die Hauptsache ist, rein blieb.— Wie ich den Mut dazu fand, damals im Herbst Ihnen meine Gedanken zu offenbaren? Frage ich mich. Ich kann es mir nicht anders erklären, als daß mich die Angst dazu trieb, Sie nicht ahnungslos von dem, was mich bewegte, scheiden [zu] lassen. Und weil ich ahnte, daß Sie sich einsam fühlten, mußte ich Sie nicht durch irgend etwas erkennen lassen, daß ein Mensch zu Ihnen steht? Es war wohl Fügung, daß eine Trennung folgte, ehe wir zueinander finden konnten. Durch keine bösen, neidischen Blicke sollte unser Kennenlernen beeinträchtigt werden.— Ich habe Verständnis für Ihre Bedenken. Es ist nur gut, wenn Sie alle Schritte reiflich überlegen. Der Jugend Art ist: Zu handeln, ohne langes Wagen, wie das Gefühl es sagt; das Gute hoffend, dem Glück vertrauend — eine Enttäuschung aus diesem Glauben kann oft alles zerstören und unglücklich machen für immer.

Ein gereifter Mensch faßt Entschlüsse mit Vorsicht und Überlegung[,] er kommt vielleicht im Leben etwas langsamer vorwärts, dafür aber um so sicherer.

Ein Beispiel hierfür: Sie wissen, daß wir Dienstags Kränzel halten, zu dritt. Diesmal nun merkten wir es Hilde an, daß sie irgend etwas bedrückte. Auf unser Fragen hin gab sie anfangs ausweichende Antworten. Dann aber brach es hervor aus ihr — alles beichtete sie. Sie verkehrt schon 1 1/2 Jahr lang mit einem jungen SS Mann, da er aber in Weimar dient und selten kommt, nahmen meine Freundin Luise und ich an, daß dies nur ein Freundschaftsverhältnis sei. Sie ging ja jeden Sonntag tanzen, benahm sich also völlig frei. Nun hat er ihr einen Abschiedsbrief geschrieben, ihr erklärt, er könne die Verantwortung nicht auf sich nehmen und sie länger hinhalten, da jetzt die Zukunft so ungewiß sei und zumal bei einem Soldaten. Außerdem hätte er kein rechtes Vertrauen mehr zu ihr. Alle Versprechungen, die er ihr in dieser Zeit machte, sind vergessen — vergessen sogar das Schlimmste, daß Hilde ihm das Höchste, Heiligste gab, was ein Mädchen besitzt. Ich begreife nicht, daß zwei so junge Menschen, kaum 19 jährig so unüberlegt handeln können. Ich kann Hilde nicht einmal ehrlich bemitleiden. Wenn sie weiß, wie sie zueinander stehen, weshalb immer noch andre Interessen, neues Vergnügen? Fast meine ich, Partei für den jungen Mann zu ergreifen; denn wenn er solch ein Betragen erfährt, woher soll dann das Vertrauen kommen? Nun ist das Unglück fertig. Es ist eine goldene Regel, daß man die Menschen nicht nach ihren Meinungen beurteilen müsse, sondern nach dem, was diese Meinungen aus ihnen machen.

Ein Verzicht aus Vernunft ist zwar bitter, doch es zerbricht kein Herz daran. Aber ich finde es unverzeihlich, wenn junge Mädels ohne rechten Verstand, sich so betragen, daß ein Makel an ihnen bleibt für immer.

Nun hab ich Ihnen so eine rechte Kränzelgeschichte erzählt, vielleicht legen Sie gar keinen Wert darauf, weil Sie die Leute nicht kennen. Doch Sie sollen nur die Gewißheit haben, daß ich Verständnis und Geduld habe für Ihr Handeln. Wir wissen beide, auf Erzwungenem, Ertrotztem ruht kein Segen.

Ist es Gottes Wille, daß einmal unser Schicksal zum Guten ausgeht, so wird er Sie im rechten Augenblick erkennen lassen: Sie ist der rechte Mensch und Deiner würdig.

Voriges Jahr zum Kirchweihfest, auf dem Heimwege von der Kirche, fragten Sie mich, was ich wohl nun den ganzen Tag tun würde und ich sollte Ihnen raten, wohin Sie mal gehen könnten. Wissen Sie das noch? Ich was so verwirrt, vor Aufregung konnte ich Ihnen keine rechte Antwort geben. Dieses Jahr weiß ich was ich tue, zum Kirchweihfest am 24. September, auch Sie brauchen diesmal nicht danach zu fragen!! Ich freue mich aber vorher nicht wieder auf etwas, nur im Geheimen.

Gestern abend war ich so [sic] müde, um den Brief beenden zu können, Sie werden mir verzeihen? Nachher auf den [sic] Weg zur Singstunde besorge ich ihn.

Nun seien Sie recht herzlich gegrüßt vom Mädchen aus dem Westen,

Ihrer [Hilde Laube].

Die Eltern lassen bestens grüßen.

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.380908-002-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946