Bitte warten...

[OBF-380905-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 5. Sept. 1938

Liebes Fräulein [Laube]!

Lange hat der Sonntag in mir nachgeklungen, und es war kein Mißton in dem Klang. Ihre Frage am Briefende sagt mir, daß auch Sie zufrieden waren. Schon im Zuge habe ich mich über meine alberne Antwort geärgert: „Doch, es war sehr nett”. Sie hätten nicht fragen sollen. Sie dürfen nicht glauben, daß ein kleiner Verdruß mich so leicht verstimmen könnte. Daß Sie den Zuschlag lösten, hat mich nicht einmal verdrossen. Sie kennen meine Ansicht: Sie bringen das Opfer der größeren Reise; was Sie in 2 Tagen verdienen, habe ich in einem; ein Mädchen muß anders rechnen als ein junger Mann. Ich habe auf Ihren Brief gewartet. Wenn er am Freitag nicht gekommen wäre, hätte ich mir Gedanken gemacht.

Es war gut, daß unser Gespräch uns auf Ihre Bekanntschaft führte, unser Gespräch führte darauf, Sie sind ohne Schuld. Ich bin nicht neugierig. Ich werde nie in Sie dringen und weiß und erlebe es selbst, daß man oft schwer das befreiende Wort findet. Ich nehme an, daß Sie nichts mehr für den Bestand unsrer Fre[un]dschaft Entscheidendes verbergen. Damit Sie mich nicht mißverstehen: Was Sie am Sonntag vorbrachten, war nicht etwas Entscheidendes. Wenn ich Sie bitte, mir doch ganz gelegentlich noch einige Einzelheiten zu erzählen, dann nur, damit Sie sich freimachen und damit ich mittragen kann, denn ich bin mitschuldig.

Als Sie erzählten, dass er Ihretwegen den Dienst verlassen hat, bin ich ein wenig erschrocken, zuerst, weil ich dachte: so weit ist es zwischen ihnen gekommen, dann aber, daß dieses Verhältnis für den jungen Mann so folgenschwer wurde. Diese Bekanntschaft begann unter schlechten Vorzeichen. Sie suchten Vergessen, waren aber innerlich noch nicht frei. Er suchte voller Vertrauen, er wollte Sie ganz. Wir wollen froh und dankbar sein, wenn er sich weiterfindet. In meinen Augen haben Sie nicht verloren. Es war ja nicht rascher Sinn und Flattrigkeit, was Sie zu dem anderen führte. Aber Sie sind gestie[g]en. Ich bin nun einmal mehr gewiß, daß Ihre Neigung nicht oberflächlich ist. Wie stehe ich nun da? Sie kommen mit dem Reichtum einer Liebe — ich arm, mit Mißtrauen und Zweifeln, will erst prüfen, mich bedenken. Ich kann nicht anders. Es ist wohl so Mannes Art. Und es ist eine Sicherung; denn wenn ich ja gesagt habe, muß ich treu sein. Ich bitte Sie, haben Sie Verständnis dafür und haben Sie Geduld mit mir.

[S]ie dürfen schreiben, daß Sie sich verschmäht fühlten. Sie können aber nicht sagen, daß ich Sie verschmäht habe. Das möchte ich doch noch einmal klarlegen. Verschmäht, das heißt hier zurückgewiesen. Ich habe Sie nicht zurückgewiesen, ich habe mit der Möglichkeit einer Bekanntschaft einfach nicht gerechnet und habe zuletzt diese Möglichkeit als abwegig beiseitegeschoben.

Ich bin ein Mensch, der mit der Wirklichkeit rechnet.

Ich drängte meine Gefühle zurück, solange ich die Zeit noch nicht für gekommen hielt.

Ich wollte erst dann einer Frau gegenübertreten, wenn ich ihr etwas anbieten könnte.

Wenn ich Kameraden mit 16 Jahren schon mit Mädchen umgehen sah, so war mir daran unverständlich wie sie sich und das Mädchen 6 Jahre hinhalten könnten.

Wenn ich mich unter den Mädchen umsah, dann unter denen meines Alters.

Ich bezweifle beinahe, daß Sie auf der richtigen Spur waren, als Sie schrieben: „Ich weiß, daß Ihnen ein anderes Mädchen viel bedeutete”.

Sie schieden für mich schon des Alters wegen aus.

Ich zählte Sie zu den Jungen, den Mädchen leichten und flachen Sinnes, denen es auf eine Liebelei nicht ankommt. Ich weiß, daß ich Ihnen damit Unrecht tat.

Aber sagen Sie selbst, wie konnte ich glauben, daß ein junges Mädchen, ohne jede Ermunterung dazu, sein Herz an einen 13 Jahre älteren Mann verliert? Und das schreibe ich, so gut ich es weiß: Bis zu den großen Ferien 1937 bin ich mir keines schuldigen Blicks bewußt.

Es war im Herbst vergangenen Jahres. Wir gingen allein aus der Singstunde, Sie hatten [e]s wohl so eingerichtet. Beim Gutnachtsagen brach es aus Ihnen hervor, von bebenden Lippen, dunkel und unheimlich, mit heiterer, tiefer Stimme, meine Hand hielten Sie fest, ich wollte S sie Ihnen entziehen: „Ich habe gehört, Sie kommen fort, ich danke Ihnen – – ”. Weiter kamen Sie nicht. Mit einigen beschwichtigenden Worten schnitt ich Ihnen die Rede ab.

Es ist mir nun eigentlich erst heute recht leid, daß ich Sie nicht anhörte, daß ich diesem jungen, brennenden Herzen nicht wenigstens Erleichterung schaffte. Ich wollte diesen Gefühlsausbruch nicht, ich fürchtete ihn (die Erinnerung daran braucht Ihnen gar nicht peinlich zu sein), weil ich keine falschen Hoffnungen nähren wollte. Und ich fürchtete, er möchte sich wiederholen. Ich besinne mich ganz deutlich, daß ich beim nächsten Tanzen mit vielen leichten Worten auf Sie einredete, um zu verhindern, daß Sie an das Vergangene rührten. Von dem Abend an wußte ich, daß Sie ein Anliegen hatten.

Nun quälen Sie sich nicht mehr und seien Sie wieder froh.

Es mögen hier noch einige Gedanken stehen, die zum letzten Sonntag Verbindung haben.

Ich kann nicht zynisch sein.

Zynisch sein, das ist die Mundwinkel herabziehen und jemanden hochmütig belächeln.

Ein zynischer Mensch entbehrt der Güte.

Ich könnte Sie nicht belächeln, und wenn mir ein Mangel oder ein Fehler an Ihnen aufstö[ße,] ich würde Sie darauf aufmerksam machen, vielleicht nicht sofort, das bringt man nicht immer fertig, aber bei guter Gelegenheit.

Sie können nicht raffiniert sein.

Mädchen werden es im Umhertreiben mit zügellosen Männern. Raffinierte Mädchen spielen mit der Liebe, ihr Empfinden ist nicht mehr rein und tief, es ist angekränkelt. Raffiniert sein in der Liebe ist unsauber sein in der Liebe.

Sie sind dazu gutmütig und gütig, können nicht leicht etwas abschlagen. Das verraten d schon die weichen Züge ihres Gesichtes.

Sie stehen damit in einer gewissen Gefahr:

Sie bieten Männern einen Anreiz, die leichtes Spiel zu finden hoffen. Sie werden sich zudringlicher, raffinierter Personen nicht leicht erwehren können.

__________________

Wie man nicht alle Dinge anfassen darf, wenn sie ihre Schönheit behalten sollen, so darf man nicht über alles reden, wenn es nur teuer und heilig bleiben soll.

__________________

Das Seligste läßt sich nicht in Worte fassen.

__________________

Vieles wird erst dann gemein, wenn wir es ansprechen, wenn wir es in den Mund nehmen.

__________________

Sündigt uns[e]re Hand, dann ist es sichtbar; sündigt unser Mund, ist es deshalb nicht weniger schwer, weil es unsichtbar ist.

Diese Aussprüche sollen nicht auf Sie zielen.

Ich kam gestern nicht dazu, den Brief zu schreiben. Sofort nach der Schule habe ich mich hingesetzt. Jetzt nehme ich ihn mit nach Schandau und morgen weiß ich ihn in Ihren Händen, in ihren schönen kalten Händen.

Möchte er Sie gewiß machen, daß nichts Dunkles, Fremdes sich zwischen uns gedrängt hat.

Leben Sie wohl und seien Sie recht herzlich gegrüßt von

Ihrem [Roland Nordhoff].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946