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[OBF-380815-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 14. August 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Heute früh erhielt ich Ihren Brief. Die Nachricht vom Heimgange Ihrer lieben Großmutter hat mich erschüttert. Wie unerforschlich sind doch Gottes Wege. Sie haben alle die furchtbaren Stunden miterlebt, machtlos dem Schicksal gegenüber. Und für einen empfindsamen Menschen wohl das Schlimmste — Einsamkeit im Herzen.

Ich habe schon einmal einen Menschen mit dem Tode ringen s[ehe]n. Eine die den Tod suchte. Ich werde diesen Anblick niemals vergessen. Grauen und tiefes Mitleid, das waren meine Empfindungen damals.

Doch wie qualvoll und bitter muß es sein, wenn dieser Mensch zu uns gehört; wenn man ihn liebhat schon von Kindheit an. Und wieder müssen Sie Gott dankbar sein, daß er Ihre Großmutter abrief, ohne sie recht lange leiden zu lassen. Müssen Sie dankbar sein, daß er ihr ein so hoh[es] Alter bescherte, welches sie doch fast bis zuletzt mit sorgender Liebe für die Ihren ausfüllte. Sie waren ihrem Herzen am nächsten. Ob sie wohl durch ihre Aufopferung und Sorgsamkeit gegen Sie vergolten hat, was Ihre liebe Mutter in ihrer schweren Zeit zu leiden und zu ertragen hatte? Das frage ich mich. Sie, dessen Kommen man damals vielleicht nicht mit dieser übergroßen Freude erwartete, wie man in einer jungen Ehe das erste Kind erwartet. Daß man, sei es der Großvater oder sonst jemand, doch zu hart war gegen Ihre Mutter. Und deshalb hat Ihre Großmutter all ihre Liebe Ihnen geschenkt, war Ihnen innerlich besonders nahe. Wie gütig diese Frau war. Bitte nicht traurig sein, nehmen Sie es nicht als Kränkung wenn ich Ihnen jetzt weh tat. M[an] soll das was gewesen, ruhen lassen. Die Gedanken kamen mir so, und ich mußte es niederschreiben.

Wissen Sie noch, einmal schrieben Sie mir so schön über das Verhältnis der Menschen zu Gott. Jetzt erkennen wir sie wieder ganz deutlich, die unsichtbaren Fäden, die uns verbinden mit ihm. Die vielen großen und kleinen Begebenheiten, die unterdessen spielten, sei es nun Tatsache oder Aberglaube, sind sie nicht ein Beispiel dafür? Alles, wenn[']s uns anfangs auch noch so hart ankommt, hat seinen Sinn und erfüllt einen bestimmten Zweck. Man sollte sich nicht unnütz Sorgen, Gedanken machen. Er weiß den Weg für uns, auch ohne uns[e]re Vorsehung und Mühe.

Ihre Großmutter hat Sie und alle heimgerufen, sie hat es gefühlt. Das Schwerste ist nun vorüber. Sie werden es ertragen — die Zeit heilt alle Wunden.

/ Ich schämte mich meiner Uberängstlichkeit [sic], deshalb habe ich im vorigen Briefe geschwiegen. Am Sonnabend, den 6. d. M. kam ich mit meinen Gedanken von Ihnen nicht los. Meine Wangen brannten den ganzen Nachmittag, abends in der siebenten Stunde, bekam ich ein nervöses Herzklopfen, sodaß ichs nicht im Zimmer aushielt. Entweder ist Ihnen etwas geschehen, oder macht es die unerträgliche Schwüle, so dachte ich. Trotzdem sich die Wolken schon auftürmten bin ich hinaus ins Freie mit der Hoffnung, daß ich mich beruhigen würde. Ein wenig ruhiger, durchnäßt bis auf die Haut kam ich heim. Das Gewitter war ziemlich schwer verbunden mit einen wolkenbruchartigen Regen. Verschiedentlich hat es auch größeren Schaden angerichtet durch Blitzschlag, aber Menschen kamen nicht in Gefahr. Seitdem ist noch kein rechter Sonnenschein gewesen.

Heute Montag will ich den Brief beenden. Die Freundin kam gestern zu mir und wir haben, da der Sonntag verregnet war, bis abends Handarbeiten verfertigt. Am Donnerstag in der Singstunde erfuhr ich, daß Herr Vetter verunglückt sei. Zu Limbach, an der Kreuzung II. Schule, stieß er [mit] dem Fahrrade gegen einen Lieferwagen. Mit dem Oberschenkel in den Türdrücker und mit dem Arm durch die Fensterscheibe ist er gerammt. Er liegt im Limbacher Krankenhause, doch außer Gefahr. Die Schuldfrage ist noch

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nicht geklärt. Auch Herr B. besitzt jetzt ein Motorrad.

Am Sonnabend hatten wir das erste Mal wieder Dienst. Zu „Rautenkranz” wurde eine „Italienische Nacht” veranstaltet, verbunden mit der Eröffnung einer Freitanzdiele. Alle Vereine die in „Rautenkranze” tagen, waren mit ihren Angehörigen geladen. Es wurden allerhand Lieder geboten, wir sangen: „Heimat” und „Ich ging durch einen grasgrünen Wald”. Die Feuerwehrkapelle übernahm den musikalischen Teil und erledigte ihn mit viel Temperament und bissel zu wenig Rhythmus. Die Gesellschaft und [d]ie Unterhaltung war ganz nett, wir sind alle kurz vor 12 Uhr nach Hause. Herr Kantor hatte bis 12 Nachtzeichen.

Obwohl sich der Wirt viel Mühe machte zur Ausschmückung des Abends, ich glaube nicht daran, daß sich dieser Betrieb aufrecht erhalten wird. Vielleicht dann, fänden die Tanzabende von den Vereinen aus statt. Aber so wird sich wieder die Jugend austoben und da fliehen die älteren Herrschaften.

Ich würde mich freuen, könnten wir uns am 28. August wiedersehen. Die Zeit ist mir schon so lang vorgekommen. Für die beiden schönen Liedertexte danke ich Ihnen sehr, vielleicht gibt es doch einmal Gelegenheit wo ich auch die Musik dazuhören kann.

Bi[t]te versprechen Sie mir: Denken Sie nicht unnötig viel nach über das Vergangene — versuchen Sie ganz ruhig zu werden. Denken Sie an Ihre Gesundheit, Ihre Nerven.

Gott behüte Sie! Seien Sie recht herzlich gegrüßt von

Ihrer [Hilde Laube].

[** eingekreist]

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Ba-OBF K02.Pf1_.380815-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946