[380803–2‑1]
O., am 3. August 1938.
Lieber Herr [Nordhoff]!
Wohlbehalten langte ich am Sonntag in O. an. In Chemnitz angekommen, bin ich im Höllentempo rüber nach unser[e]m Bahnsteig gerannt; einsteigen und abfahren, das war eins.
Ich möchte nur wissen[,] ob auch Sie so matt und abgespannt waren diese Tage. Unser Ausflug allein kann das doch nicht ausmachen, vielleicht liegt es viel an dieser schrecklichen Hitze und noch ist kein Tropfen Regen gefallen. Sie sind mir doch nicht bös[‘], weil Sie so lange auf Nachricht warten mußten? Am Montag früh hab[‘] ich die Filme fortgebracht, bis gestern nachmittag [sic] sind sie fertig geworden. Ich konnte sie aber erst heute morgen [sic] abholen. Gestern war ich mit Mutter in der Stadt (Chemnitz), einige Wege besorgen und dann sind wir raus nach G. gefahren zu den Verwandten; mit dem 7 Uhr Zuge fuhren wir wieder zurück.
Nun bin ich neugierig[,] was Sie zu den Aufnahmen sagen, sind sie nicht herrlich geworden? Ich freue mich, das [sic] auch die von mir geknipsten gelungen sind. Doch das eine, wo ich an der Brüstung stehe, sieht furchtbar aus. Weil es nun einmal entwickelt ist, schicke ich[‘]s trotzdem mit; seh[e]n Sie sich das dumme Gesicht an und vernichten Sie es bitte! Ihre Aufnahmen vom Harz finde ich sehr schön, bitte schreiben Sie mir doch, in welcher Stadt und Gegend Sie sich befanden, ich kenne das nicht. (Ich war ja nur im Geiste mit dort!)

In meinem Album beginnt nach meiner Seereise ein neuer, großer Abschnitt. Ich führe ein Tagebuch in Bildern und es wäre herrlich, könnte ich von einem jeden Beisammensein einige Aufnahmen besitzen. Obwohl die Eltern — vielleicht später auch einmal Beka[nn]te [—] darin Einblick haben dürfen, verliert es doch seinen Wert und seinen eigenen Reiz darum nicht. Denn ich allein kenne und weiß die vielen großen und kleinen Geschichten und Begebenheiten, mit denen diese Bilder umwoben sind. Möchten doch noch viele solcher herrlicher [sic] Tage kommen. Wenn ich einmal älter bin — vielleicht einsam — dann werde ich oft dieses Album durchblättern und die schöne Zeit aus meiner Jugend wird wieder lebendig werden. Wenn ich die Bilder ansehe, wird alles wieder vor mir stehen, als sei es gestern erst gewesen; denn es gibt nichts, was mir die Erinnerung daran nehmen könnte. Darum will ich alles hüten, wie ein kleines Heiligtum.
Es ist sonderbar, und ich möchte wissen, ob Sie das wohl auch spüren, daß Freude stark macht. Es geschehen doch täglich Dinge und es treten Sachen an uns heran, die nicht immer nach unser[e]m Wunsche sind, die vielleicht Ärger und Verdruß in uns hervorrufen. Jetzt kann man das noch nicht so scharf beurteilen im Urlaub; aber nächste Woche, wenn wir wieder hineintreten in unser[e]n Pflichtenkreis, können wir[‘]s wahrnehmen. Doch ich fühl mich jetzt so frei, jeder Widrigkeit überlegen und ich hab[‘] mir vorgenommen: Frisch hineinmarschiert, wenn mir[‘]s auch manchmal ein wenig hart ankommt, wenn[‘]s nicht ganz nach meinem Wunsch und Willen geht. Ich will froh und dankbar sein[,] wenn ich gesund bin und leben darf. Wie ich es jetzt liebe, dieses liebe selige Leben.— Ob es immerzu Sonntag sein kann zwischen zwei Menschen, auch wenn sie dann täglich umeinander sind? So fragten Sie im letzten Briefe an, ich antworte Ihnen: Ich glaube es, ja, wenn Liebe diese beiden Menschen verbindet. Liebe, das völlige Sichhingeben für den ander[e]n und der Wille, immer das Gute vor Augen zu haben und die notwendige Achtung voreinander. Ich meine, dann kann es an nichts mangeln.—
Ich denke für heute ist es nun genug, sonst wird mir der Brief zu dick. Er könnte Ihrer Mutter in die Hände gelangen und sie würde sich wundern, was diese geheimnisvolle Person nur von ihrem Sohn will.
Die Abzüge und Bilder schenke ich Ihnen, bitte nehmen Sie es an, ich stehe tief in Ihrer Schuld. Den Eltern gefallen die Bilder sehr sehr gut, vo[n] den beiden großen[,] waren sie fast stumm vor Staunen.— Haben Sie den Sonntag gut überstanden und keine Beschwerden wieder?
Im Namen der Eltern grüßt Sie recht herzlichst
Ihre dankbare [Hilde Laube].