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[OBF-380724-001-01]
Briefkorpus

[undatiert, wohl 24. Juli 1938]

Liebes Fräulein [Laube]!

Eben komme ich von der Post, ich selber komme, und bin nun im Besitz Ihrer lieben Zeilen, sitze nun in meiner Kammer und beeile mich, Ihnen zu schreiben.

Als ich in Wernigerode abfuhr, war ich in großer Sorge, daß ich die Fahrt gut überstehen möchte. Noch in Leipzig dauerte es mir zu lange. In Dresden war mir dann merklich leichter. Ich bekam Appetit und trank in Bahnhof ein Kännchen Schokolade und kam dann zu Hause ziemlich frisch an. Der Gedanke, zu Hause nicht schwach zu erscheinen und die Gewißheit, daß mir nun geholfen würde, ließen mich zu Kräften kommen, sodaß ich am Doktor vorbei marschierte. Meine Mutter war gefaßt. Meine ganze Hoffnung setzte ich auf die gute Wirkung einer Leibwärmflasche, sie hat mir auch schon geholfen. Zuerst habe ich in Mutters Doktorbuch nachgeblättert über die Anzeichen von [B]auchfellenzündung und Blinddarmreizung. Daß ich diese Krankheiten mit mir herumtrüge, war meinen Sorge. Es traf nicht zu und so verließen wir uns zunächst auf unsre häusliche Heilkunst. Mutter hat mich eingepackt, das Stechen und Drücken rings um die Bauchhöhle hat nachgelassen, zog sich Sonnabend in den Rücken — also eine regelrechte Erkältung. Heute habe ich noch einen schwachen Magen, Kopfschmerz, ein leichtes Schwindelgefühl — ich bin guter Hoffnung, daß ich bald wieder hochkomme. Ich habe um die Postzeit ganz fest an Sie gedacht, nun Ihnen beizusteh[e]n und habe mir alle Vorwürfe wiederholt; Feigheit, Überängstlichkeit, zumal, als die Sonne sich nun wieder zeigte und meiner vorzeitigen Heimkehr zu höhnen schien. Es ist nicht recht und undankbar. Wen hätte ich um eine Leibwärmflasche [b]itten sollen, wo hätte man mich 2 Tage gepflegt? Ich kann so schwer fremde Leute bitten. Es ist schon so: das Geheimnis der raschen Besserung beruht hauptsächlich in den liebenden Händen und sorgenden Blicken, die um einen sind. Ich gräme mich nicht um die abgebrochene Reise, nicht über das viele Fahrgeld, einzig kränkt mich, daß ich Sie so hinhalten mußte, Sie so erschrecken und enttäuschen mußte, und Ihre Eltern mit Ihnen. Ich habe 2 Tage lang nicht mehr krank gelegen, habe eine gesunde Natur, bin noch von keiner schweren Krankheit ernstlich angefochten gewesen — und lasse mich so unterkriegen — freilich die Nerven, und das hat mancherlei Gründe, die sind schwächer geworden. Und daß ich mich da wieder etwas hochrappele, dazu sollen mir die 14 übrigen Ferientage dienen.

Es wird mir nicht schwer fallen, sie zu Hause [zu] verleben, es ist höchstwarscheinlich das letzte Mal, daß ich sie in Bischofswerda verlebe. Mein Vater ist vor 8 Tagen nach Kamenz versetzt worden, arbeitet schon dort, und sobald wir passende Wohnung finden, ziehen wir nach. ¼ Jahrhundert, 25 Jahre, haben wir hier gewohnt. Das Jahr 1938 ist also ein bewegtes Jahr in unsrer Familie. Da gilt es nun Abschied zu nehmen von manch liebem Spaziergang, es ist kaum ein Steg, den wir hierherum nicht kennen. Also ich halte es aus und habe schon daran gedacht, daß wir uns vielleicht nächsten Sonntag in Dresden treffen könnten. Doch das würde ich Ihnen noch bestimmter mitteilen. Aber Ihre Ferien sind nun zerrissen und verdorben und ich bin daran nicht unschuldig. Was soll ich Ihnen raten? Spannen Sie richtig aus, ruhen Sie, lesen Sie ein wenig, gehen Sie spazieren. Den Gemeindewald habe ich gemieden, er war mir zu feucht, ich will trocknen [Wal]d. Ich bin fast immer nach dem Hohen Hain gegangen. Die Fahrkarte geht meines Wissens zurückzunehmen, solange die Fahrt nicht angetreten ist. So jetzt muß ich aufhören, Mutter zankt, daß ich schreibe mit meinem Kopfschmerz. Seien Sie mit Ihren Eltern herzlich bedankt für Ihre Anteilnahme, verleben Sie nun in Ruhe Ihre Ferientage, ich bin gut aufgehoben.

Behüte Sie Gott. Es grüßt Sie recht herzlich

Ihr [Roland Nordhoff].

Um 5 Uhr holte ich mir Ihren Brief, um 6 Uhr bringe ich diesen zum Kasten.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946